Frühe ErkältungswelleKölner Kinderarzt: „Habe ich noch nicht erlebt“
Köln – Der Herbst hat gerade erst angefangen. Doch in vielen Kölner Kindertagesstätten herrscht schon Winter: Es wird gehustet und geschnieft wie sonst zu einem deutlich späteren Zeitpunkt im Jahr. Die Anzahl der Kinder mit Atemwegserkrankungen sei „ungewöhnlich hoch und auffallend“, sagt der Kölner Kinderarzt Marc Neukirch im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.
Behandelt würden aktuell vor allem Kinder mit RS-Viren. Diese lösen Atemwegserkrankungen aus – von einer banalen Erkältung bis hin zu Bronchitis oder Lungenentzündung. „Schwere Erkrankungen sind aber aktuell die Ausnahme und meist auf Risikogruppen begrenzt“, sagt Neukirch. „In zehn Jahren habe ich einen solchen September noch nicht erlebt. Wir haben doppelt bis dreifach so viele Fälle wie sonst in dieser Jahreszeit üblich.“ Axel Gerschlauer, Kinderarzt und Sprecher des Berufsverbands Kinder- und Jugendärzte Nordrhein, bestätigt diesen Eindruck: „Die Erkältungswelle ist in diesem Jahr sehr viel früher gestartet als sonst und in einem Ausmaß, das wir so nicht kennen.“ Gerschlauer spricht von einem „vorgezogenen Herbst und Winter“.
Erkältungen hängen mit Pandemie zusammen
Die verfrühte Erkältungswelle habe dem Kinderarzt zufolge unmittelbar mit der Corona-Pandemie zu tun. Lockdown, Schul- und Kita-Schließungen, Hygienemaßnahmen und Kontaktbeschränkungen hätten dazu geführt, dass Kinder weniger Infekte hatten. Während der vergangenen eineinhalb Jahre hätte das Immunsystem Pause und so gut wie nichts zu tun gehabt. Jetzt sei es umso mehr gefordert, aber zugleich weniger trainiert. „Das Immunsystem holt jetzt die verpassten Infekte geballt nach.“ Dem Gefühl mancher Eltern, die Infekte seien auch hartnäckiger, widerspricht der Mediziner: „Das Kind hat nicht drei Wochen lang einen Schnupfen, sondern drei Schnupfen gleich hintereinander.“ Die typische Erkältung dauere in der Regel sieben Tage lang.
Die beschriebenen Nachholeffekte treffen aber nicht nur die Kinder. In der Ehrenfelder Kita „Kinderarche“ haben sich so viele Erzieherinnen und Erzieher bei erkrankten Kindern angesteckt, dass die Einrichtung nur „haarscharf“ an einer Notbetreuung vorbei geschrammt ist, wie Leiterin Beate Robie berichtet. „Wir haben es gerade noch so hinbekommen. Und zwar nur, weil durch die vielen Krankheitsfälle auch deutlich weniger Kinder in den Gruppen zu betreuen waren. Deshalb konnten wir das mit weniger Personal stemmen.“ Doch Robie weiß, dass die Erkältungssaison erst begonnen hat. Der Krankenstand sei schon „akut“, manche Kinder hätten bereits den zweiten Infekt in dieser Saison. „Wir bitten die Eltern, frühzeitig die Bremse zu ziehen und das Kind lieber mal einen Tag zu Hause zu lassen, als es angeschlagen durch den Tag zu schleifen“, sagt Robie. Ein Großteil der Eltern sei diesbezüglich „kooperativ und einsichtig“.
Klare Regeln für den Umgang mit kranken Kindern
Wer in diesen Tagen mit Eltern von kleinen Kindern spricht, spürt die Verzweiflung insbesondere der Berufstätigen: Der Urlaub ist häufig aufgebraucht, einige haben Quarantäne-Zeiten hinter sich und nun hat das Kind eine Erkältung. „Ich werde beim ersten Husten nervös, zucke bei jedem Niesen innerlich zusammen und hoffe, dass das Kind nicht krank wird“, berichtet eine Mutter. Denn in Corona-Zeiten reicht schon eine laufende Nase aus, damit das Kind nicht in die Kita gehen darf.
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Nach den Vorgaben des NRW-Familienministeriums ist klar geregelt, wie im Krankheitsfall zu handeln ist. Demnach muss das Kind bei ersten Symptomen wie Schnupfen, Husten oder Halsschmerzen, die auch auf eine Covid-19-Infektion hindeuten können, zumindest für 24 Stunden zu Hause beobachtet werden. Kommen keine weiteren Symptome hinzu, darf es am folgenden Tag wieder die Einrichtung besuchen. Nach diesen Vorgaben richten sich auch die städtischen Kitas, wie eine Stadtsprecherin sagt. Der Leiter einer nicht-städtischen Kita im Rechtsrheinischen bestätigt, mit diesen Regeln gute Erfahrungen im Alltag zu machen: „Viele Eltern handeln sehr konsequent und lassen ihr Kind auch mal eher einen Tag zu Hause.“
Kinderarzt Axel Gerschlauer appelliert in diesem Zusammenhang an Eltern und Erziehende, den „Allgemeinzustand“ des Kindes im Blick zu haben: „Wenn ein Kind fieberfrei und ansonsten fit ist, kann es auch mit einer banalen Atemwegserkrankung in die Kita. Soll es sogar. Kinder haben ein Recht auf Bildung und Betreuung.“ Die Eltern müssten sich aber darauf einstellen, dass die Erkältungssaison noch etwa bis Ostern dauern werde.