- Mit scharfen Worten spricht sich Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker in der Coronakrise gegen eine vorzeitige Lockerung des Kontaktverbots aus.
- Vorschläge, sich bei der Isolierung auf die Risikogruppe kranker und älterer Menschen zu beschränken, bezeichnet sie als zynisch.
- Ein Gastbeitrag.
Köln – Diese Zeilen schreibe ich am ersten Tag nach meiner eigenen häuslichen Quarantäne. Noch vor wenigen Wochen hätte ich nicht gedacht, dass ich einen solchen Beitrag einmal so beginnen würde. Wir durchleben derzeit eine Zeit, die für uns alle eine Prüfung ist. Wie geht man mit einer Pandemie um, wie sie die globalisierte Welt noch nie erlebt hat? Welche Maßnahmen ergreift man? Was ist verhältnismäßig, wie viele Einschränkungen darf, wie viele muss es geben, um Leben zu retten?
Diese Fragen stelle ich mir zurzeit Tag und Nacht – wie viele Politikerinnen und Politiker, aber auch Medizinerinnen und Mediziner weltweit. Sie zu beantworten und die richtigen Entscheidungen zu treffen, fällt nicht leicht, egal ob auf der Ebene des Bundes, der Länder oder der Kommunen. Es ist immer ein Ringen und Abwägen in einer Zeit, in der keiner genau voraussehen kann, wie die Lage in einer Woche, einem Monat, geschweige denn einem Jahr aussieht. Es ist die Stunde der Politik und des klugen Verwaltungshandelns – in enger Abstimmung mit den medizinischen Experten. Dieser Verantwortung sind wir uns alle bewusst. Wir müssen gut überlegt, aber zügig handeln. Trotz täglich neuer Entwicklungen dieser Krise alle Aspekte einbeziehen – und am Ende des Tages Entscheidungen treffen. Jede Krise ist einschneidend, die aktuelle ganz besonders: wegen der steigenden Zahlen schwerer Krankheitsverläufe und der Todesfälle, aber auch wegen der vielen Einschränkungen und der Gefahren für die Wirtschaft.
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So kennen wir unser Land nicht: leere Straßen, keine Kontakte, geschlossene Läden, keine offenen Grenzen mehr, deutschlandweit, europaweit, weltweit. Kein demokratischer Politiker schränkt ohne gewissenhafteste Prüfung und im Bewusstsein der möglichen Konsequenzen Grundrechte ein, untersagt persönliche Kontakte und bringt kleine Betriebe, Selbstständige, Mittelständler, große Firmen, Kulturschaffende, Sportvereine in eine derart schwierige, oft existenzbedrohende Lage. Mir ist die Dramatik bewusst. Wir müssen aufpassen, dass aus der existenziellen Herausforderung keine Überforderung wird. Deshalb versuchen wir mit allen uns möglichen Mitteln, Hilfspakete zu schnüren, die noch unabsehbaren Folgen auszugleichen. So auch in Köln: Wir steuern als Stadt dagegen und unterstützen in allen Bereichen. Wir senden ein Signal der Verlässlichkeit.
Gesundheit hat höchste Priorität
Eines ist klar: Niemandem geht es um einen Wettstreit immer weiterer Einschränkungen – ganz im Gegenteil. Aber die Gesundheit hat höchste Priorität. Daran arbeiten alle unter persönlichem Einsatz mit. Die vielen Ärztinnen und Ärzte, Krankenschwestern und Krankenpfleger, Altenpflegerinnen und -pfleger, Beschäftigte in Supermärkten und „kritischen Infrastrukturen“ tun dies rund um die Uhr. Ihnen gilt unser aller besonderer Dank und Respekt. Gleiches gilt für Sie alle, die Sie sich immer konsequenter an die Regeln des Abstands und der Kontaktvermeidung halten.
Der Zusammenhalt unserer Gesellschaft wird nicht durch die Maßnahmen und Entscheidungen gefährdet, die wir treffen mussten und müssen, um die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen – sondern durch diejenigen, die einer „Rebellion der Jugend“ das Wort reden, weil diese vom Coronavirus doch gar nicht betroffen sei. Das ist eine zynische Sicht der Dinge – und sie ist obendrein falsch. Jetzt ist die Solidarität aller gefordert. Ich wende mich entschieden gegen jede Form der Spaltung unserer Gesellschaft.
Isolation wäre die Ausgrenzung älterer Menschen
Nichts anderes wäre die alleinige Isolation, die Ausgrenzung älterer Menschen; der Generation, die – auch daran darf erinnert werden – dieses Land wiederaufgebaut hat. Wer einem neuen Generationenkonflikt das Wort redet, der irrt. Das Gegenteil ist der Fall! Diejenigen, die Hilfe und Schutz brauchen, bekommen ihn von denen, die weniger betroffen sind. Jeder leistet seinen Beitrag.
Wir dürfen deshalb nicht die aktuellen Kraftanstrengungen der gesamten Gesellschaft konterkarieren. Wir dürfen nicht die Risikogruppen, die momentan am dringendsten unser aller Solidarität bedürfen, an den sozialen Rand drängen. Nicht ohne Grund haben unsere Gründerväter und -mütter das System der sozialen Marktwirtschaft als gesellschafts- und wirtschaftspolitisches Leitbild gewählt.
Wir schaffen das nur zusammen. Völlig klar ist, dass wir täglich – je nach Entwicklung und im Austausch mit Experten aus allen Disziplinen – neu zu prüfen haben, was das Gebot der Stunde ist und ob wir uns weiter auf dem richtigen Weg befinden. Wir dürfen nicht den Fehler machen, die Gesellschaft zu spalten, das Durchschnittsalter der Corona-Toten auf inhumane Weise zu instrumentalisieren oder die Verantwortung, sich nicht zu infizieren, den Menschen mit erhöhtem Risiko überlassen. Wir dürfen nicht zulassen, dass verschiedene Gruppen gegeneinander ausgespielt werden: Risikogruppen und Wirtschaft, Junge und Alte, Kranke und Gesunde. Gerade wir direkt gewählten Politiker haben eine Verantwortung für unsere Gesellschaft insgesamt. Wir befinden uns in einer Phase der Krise, in der die Zeit noch nicht reif ist für fertige Rezepte.
Ja, wir müssen nach vorne blicken. Wir müssen sehr genau darauf achten, wie lange wir unserer Gesellschaft welche Einschränkungen zumuten können. Welche Alternativen es gibt und wie wir auch mittel- und langfristig mit dieser Pandemie umgehen. Unser Kompass hierfür muss aber sein: Solidarität – von allen, für alle. Und ich erlebe: Dafür steht Köln!