2019 kam er nach Köln, seitdem hat Johannes Nießen die Stadt geprägt, vor allem in Zeiten der Pandemie. Nun steht sein Abschied bevor.
Stelle wird neu ausgeschriebenWie Gesundheitsamts-Leiter Johannes Nießen die Stadt Köln geprägt hat
Fragt man Karl Lauterbach nach Johannes Nießen, dann antwortet er mit einer skurrilen Metapher: „Er ist so etwas wie der Mannschaftskapitän der Gesundheitsamts-Leiter in Deutschland“, sagt der SPD-Bundesgesundheitsminister. Nun hat die Mannschaft im Kampf gegen das Coronavirus wohl weder gewonnen noch verloren. Nießen allerdings tauchte deutschlandweit tatsächlich immer wieder in den Schlagzeilen auf. Jetzt bahnt sich sein Abschied an. Der inzwischen 66-Jährige geht in den Ruhestand, spätestens zum 1. April 2024, wie aus einer Stellenanzeige der Stadt Köln hervorgeht. Nießen bestätigte seinen bevorstehenden Abschied auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“.
Seine Impfbus-Kampagne in Veedeln mit einer niedrigen Impfquote wurde andernorts adaptiert, auch bei der Analyse von Abwasserwerten wurde sein Amt bundesweit schnell zum Vorbild. „Sein Wirken für den öffentlichen Gesundheitsdienst geht weit über Köln hinaus“, sagt Lauterbach. Das Gesundheitsamt in Köln habe er „hervorragend“ aufgestellt, auch jenseits der Pandemie. Den Hitzeaktionsplan der Stadt etwa nehme sich Lauterbach gerade zum Vorbild, um den Hitzeschutz in ganz Deutschland zu verbessern. „Köln ist beim Hitzeschutz im Gegensatz zu anderen Städten sehr gut aufgestellt, auch das haben wir Johannes Nießen zu verdanken.“ Die beiden kennen und schätzen sich schon lange, inzwischen ist Nießen auch offiziell Berater der Bundesregierung. „Ich schätze ihn sehr und werde weiterhin auf seine Expertise zurückgreifen“, sagt Lauterbach.
Kölner Gesundheitsamt wurde unter Johannes Nießen zum Ort der Innovation
Dabei lief in Nießens Gesundheitsamt nicht alles rund. Im Winter 2021/2022 sind rund 2000 Kölnerinnen und Kölner mit abgelaufenem Impfstoff gespritzt worden und mussten sich erneut impfen lassen. Eine Panne zweier Dienstleister bei den mobilen Impfungen, die das Gesundheitsamt beauftragt hatte. Bei der Kontaktverfolgung kam das Amt von Nießen zwischenzeitlich nicht mehr hinterher. Bei der Ermittlung von Virusvarianten wollte Köln genauer sein als andere Städte, stellten die Nachforschungen dann aber wieder ein – was im selben Winter bei einigen Infizierten zu Verwirrung führte.
Nießen scheiterte im Kleinen mehrfach an seiner Ambition, die Stadt möglichst effektiv vor dem Virus zu schützen. Regelverschärfungen, die der Kölner Corona-Krisenstab, in dem auch Nießen saß, beschlossen hatte, gerieten immer wieder in die Kritik. Fragwürdige intime Untersuchungen eines Amtsarztes, der diese nach entsprechenden Recherchen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ nicht mehr durchführen durfte, fielen in seine Amtszeit. Fehlerfrei hat Nießen sein Amt nicht geführt. In Erinnerung bleibt trotzdem vor allem das große Engagement, mit dem Nießen versucht hat, das Kölner Gesundheitsamt eben nicht als Behörde im klassischen Sinne zu verstehen, sondern als Ort der Innovation im besten Sinne.
Lange war Nießen nicht in Köln aktiv. Erst im Sommer 2019 hat er das Gesundheitsamt übernommen. Seine Amtszeit war durch und durch geprägt von der Pandemie und ihren Folgen, an den Kliniken wird mit großer Anerkennung von Johannes Nießen gesprochen. Er war in diesen Zeiten nicht nur ein medizinischer Fachmann, sondern auch eine wichtige kommunikative Schnittstelle zwischen Krankenhäusern, Kassenärzten, Feuerwehr und Stadtspitze. Dabei konnte er auf viel Erfahrung zurückgreifen.
Der promovierte Mediziner war von 1988 bis 1995 am Bonner Gesundheitsamt tätig und spezialisierte sich auf die Viruserkrankung der 1980er-Jahre: AIDS. Es folgte fast ein Vierteljahrhundert in Hamburg, wo er verschiedene Gesundheitsämter leitete und zum Spezialist für unterschiedlichste Themen wurde, von der Suchthilfe bis zur medizinischen Betreuung Geflüchteter. Auch hier hat Nießen in einer Krisenlage Verantwortung übernommen, für seine Konzepte zur Versorgung der geflüchteten Menschen, die 2015 in Hamburg ankamen, wurde er mit einem wichtigen Innovationspreis ausgezeichnet.
Karl Lauterbach als enger Vertrauter in der Bundesregierung
In Köln kehrte Nießen zurück in die Nähe seiner Geburtsstadt Leverkusen, einen Namen hatte er sich unter den Gesundheitsfachleuten in Deutschland längst gemacht. Nießen bewahrte sich auch in den unruhigen Pandemie-Zeiten seine Gelassenheit, er warb stets für Vorsicht und bewahrte dennoch eine kritische Distanz zu lauten Meinungsführern aller Art, an einigen Stellen auch zu Karl Lauterbach. Als sich dieser einst missverständlich und wenig hilfreich in eine lokale Diskussion einmischte, bemerkte Nießen dies sofort, kritisierte ihn öffentlich aber nicht. Auf diese Art ging er auch mit weniger prominenten Mitstreitern um. In Lauterbach sah er stets jemanden, der medizinische Fachkenntnis in die Bundesregierung trägt. Die Wertschätzung ist beidseitig.
Zurückblicken will Nießen selbst noch nicht. „Ich bin gedanklich noch lange nicht im Ruhestand“, sagt er. Dafür hat er noch zu viel vor. „Da ist zum Beispiel der Drogenkonsumraum, der sich als Drogenhilfeangebot etabliert hat und dessen Öffnungszeiten wir weiter ausbauen wollen. Dafür müssen wir qualifiziertes Personal finden.“ Auch am „anonymen Krankenschein“ für die Versorgung von Menschen ohne Zugang zum offiziellen Gesundheitssystem arbeitet er. „Wichtig ist mir auch, das Gesundheitsamt noch besser für die Zukunft aufzustellen. Die Pandemie hat uns gezeigt, dass wir als Stadtverwaltung schnelle und auch digitale Lösungen finden konnten. Das wollen wir ausbauen und das Gesundheitsamt krisenfest aufstellen.“