Patenschaft auf dem FriedhofWarum diese Kölner fremde Gräber für viel Geld pflegen
Köln – Es ist nicht das Grab ihrer Eltern oder Großeltern, vor dem Anja Tiemann-Schiefer und ihr Ehemann Wilfried Schiefer stehen. Auch keiner ihrer Freunde oder fernen Verwandten ist unter dem eindrucksvollen Grabstein mit Engels-Figur begraben. Trotzdem besuchen die Kölner die Grabstätte auf dem Melaten-Friedhof mehrmals im Monat, ab April wollen sie sogar rund 5000 Euro in die Restaurierung der mit Algen, Flechten und Moose bewachsenen Statue investieren. Danach wird die 53-jährige Anja Tiemann-Schiefer das Grab weiter pflegen.
Die Restaurierung und Instandhaltung der Grabstätte ist Teil der Grabpatenschaft, die Tiemann-Schiefer und ihr Mann übernommen haben. Bereits seit 1981 vergibt die Stadt Köln diese Patenschaften.
Neben dem Grab mit der Engels-Figur aus Marmor ist das Ehepaar aus Ehrenfeld auch Pate einer stark beschädigten Jesus-Figur aus Muschelkalk, für dessen Aufarbeitung sie weitere 4700 Euro zahlen werden.
Dank Grabpatenschaft Bestattung auf Melaten
Die Entscheidung über eine Grabpatenschaft stand schnell fest, die Auswahl des passenden Grabs nicht. Die Kriterien, die das Ehepaar hatte, waren ähnlich wie die bei einem Hauskauf. Die Lage auf dem Friedhof sollte stimmen, die große Allee wäre schön gewesen, es sollte aber auf jeden Fall sichtbar sein. Die Nachbargräber sollten nicht ungepflegt sein, am besten sollte es eine südliche Ausrichtung sein. „Hier scheint die Sonne, hier ist es hell, hier ist ein Baum in der Nähe. Die Leute werden schmunzeln, aber all das war uns wichtig“, sagt Anja Tiemann-Schiefer.
Warum all das bedeutsam war, wird deutlich, als das Ehepaar von einem Umzug spricht. Denn mit der Patenschaft sichern sie sich die Möglichkeit, in einem der Gräber bestattet zu werden. „Wir setzen uns offen mit dem Tod auseinander“, sagt Anja Tiemann-Schiefer. Sich schon jetzt um ihr künftiges Grab zu kümmern, sei besonders wichtig für sie. „Wenn ich weiß, wo ich mal liege, wo mein Grab ist, da ist doch der Tod nicht mehr so abstrakt“, sagt Wilfried Schiefer. Auf dem Friedhof verschwinde die Angst vorm Sterben.
5000 denkmalgeschützte Grabstätten in Köln
Zur Auswahl stand allerdings nicht jedes Grab, denn Patenschaften können nur für denkmalgeschützte Grabstätten übernommen werden, von denen es in Köln 5000 gibt, davon allein 2800 auf Melaten. Der Kölner Stadtkonservator Thomas Werner entscheidet unter anderem, welches Grab es wert ist, geschützt zu werden. „Es ist ein Zusammenspiel aus historischer Substanz, der herausragenden bildhauerischen Gestaltung, aber auch der Bedeutung der Persönlichkeit, die dort begraben ist“, sagt Werner.
Die meisten dieser historisch wertvollen Gräber befinden sich allerdings in privatem Besitz. Übrig bleiben die Gräber, bei denen das Nutzungsrecht abgelaufen ist und es keine Verwandten mehr gibt. Bei einigen steckt ein Schild der Stadt Köln mit der Aufschrift „Erhaltenswerte Grabanlage“ im Boden des Grabbettes. Viele von ihnen sind auch an starkem Verfall zu erkennen, „Trotz eines jährlichen Budgets von 300.000 Euro schaffen wir es nicht, alle Grabdenkmäler in Köln perfekt zu erhalten“, sagt Manfred Kaune, Amtsleiter beim Grünflächenamt.
Deshalb freue man sich über das Engagement der Kölnerinnen und Kölner, die hier einen wichtigen Beitrag zum Erhalt dieser Denkmäler leisten. Neben den beiden Gräbern von Anja Tiemann-Schiefer und Wilfried Schiefer sind aktuell rund 300 Grabstätten in einer Patenschaft vergeben, zwölf davon an die Wilhelm H. Pickartz-Siftung. Das wohl monumentalste Grab, dass Christiane und Wilhelm Pickartz pflegen und vor knapp zehn Jahren für rund 15.000 Euro restauriert haben lassen, ist das Grab der Kölner Unternehmer-Familie Kaesen auf der Hauptallee auf Melaten.
Melaten-Friedhof erzählt einen Teil der Geschichte der Stadt Köln
„Unsere Stiftung sieht sich vor allem in der Denkmalpflege“, sagt Christiane Pickartz. Besonders der Melaten-Friedhof erzähle ein Teil der Geschichte der Stadt Köln und es liege ihr sehr am Herzen, diese zu bewahren. „Auf diesem Friedhof haben wir großen Handlungsbedarf gesehen, viele Gräber wurden im zweiten Weltkrieg stark beschädigt“, sagt die studierte Kunsthistorikerin.
Die 60-Jährige hält ein Bild in der Hand, auf dem man sieht, wie diese Kriegsschäden bei einer Grabstätte, dem Grab der Familie Weyers-Feith, ausgesehen haben. Es steht nur einen kurzen Spaziergang vom ersten Grab der Stiftung entfernt. Die Jesus-Figur hatte einen Knie-Einschuss. Die Stiftung musste einen speziellen Metallrestaurator für die Ausbesserung beauftragen.
Denkmal als Zeit-Dokument für folgende Generationen
„Das Material ist ein Zinkguss, das wird so heute gar nicht mehr gemacht“, sagt Pickartz. Der Experte war also unverzichtbar, denn bei der Erhaltung der denkmalgeschützten Gräber ist es wichtig, die Rekonstruktion konservatorischer Maßnahmen zum Erhalt so authentisch wie möglich zu machen, sagt auch Stadtkonservator Thomas Werner. „Jedes Denkmal ist ein Zeit-Dokument für die folgenden Generationen.“
Um dies zu gewährleisten, sind die Gestaltungsvorgaben für die Paten relativ streng. So streng, dass viele Interessierte womöglich abgeschreckt sind, eine Patenschaft zu übernehmen. Wer zum Beispiel wie Anja Tiemann-Schiefer und Wilfried Schiefer darüber nachdenkt, in der Grabstätte selbst begraben zu werden, darf den historischen Namen nicht einfach entfernen. Der eigene Name steht meistens nur auf einem Liegestein, der auf der Grabfläche platziert wird.
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Das Ehepaar aus Ehrenfeld kennt die Vorschriften; trotzdem haben sie bereits ein drittes Grab in Aussicht, von dem vor allem Wilfried Schiefer schwärmt. „Es hat die gleichen Stil-Elemente wie unser historisches Haus“, sagt er. Die Spitzbögen, die Türme und der leicht gotische Baustil erinnerten ihn sehr an den Altbau aus dem Jahr 1895. Dieses Kulturgut wolle er mit einer Patenschaft bewahren. „Natürlich sind die stilistischen Elemente von Denkmal und Haus nicht der gleichen Zeit zuzuordnen, aber mein Mann hatte beim Denkmal sofort die Assoziation zu Elementen des Kölner Doms, der für uns auch ein Stück Heimat bedeutet“, sagt Anja Tieman-Schiefer.
Im Fokus der Entscheidung, warum die Kölner fremde Gräber pflegen, stehen also nicht immer die Menschen, die dort begraben sind. Denn nur bei sehr wenigen Gräber kenne man die Geschichten der Menschen, sagt Christiane Pickartz. Vielmehr sind es also persönliche Gründe und die Erhaltung von historischen Denkmälern. Aber auch, und so sagen es alle drei Paten, müsse das Denkmal einfach gefallen. „Die Anmut spielt eine Rolle und dass das Denkmal eben auch erhaltenswert ist“, sagt Christiane Pickartz.