Hella von Sinnen über den Tod von Dirk Bach„Der Schmerz ist nicht weniger geworden“
- Am 1. Oktober jährt sich Dirk Bachs Todestag zum zehnten Mal.
- Zu diesem Anlass erinnern sich mehr oder weniger prominente Menschen in Briefen an „ihren Herzensmenschen“
- An diesem Dienstag erscheint das Buch „Dear Dicki – Erinnerungen an Dirk Bach“ (Rowohlt-Verlag, 445 Seiten, 25 Euro)
Köln – Große und kleine Geschichten über einen kleinen großen Mann verbinden sich zu einem Gesamtbild des Künstlers und des Menschen Dirk Bach, das sich vor allem durch die verbindenden Zwischentexte der drei Herausgeberinnen Hella von Sinnen, Cornelia Scheel und Pelle Pershing auch zu einer sehr lesenswerten Zeitreise ins Köln der 80er und 90er Jahre erweitert. Wir haben mit Hella von Sinnen über „Dear Dicki“ gesprochen.
Wie ist die Idee zu dem Buch entstanden?
von Sinnen: Pelle Pershing hatte die Idee im letzten Jahr. Er hat die Mail an einem Tag geschrieben, an dem ich das plötzlich denken konnte. Das ging die neun Jahre vorher nicht. Ich hatte nie ein Interview zu dem Thema geführt, die Aussage verweigert. Ich habe [meiner Partnerin] Conny von der Idee erzählt, und die war sofort dabei. Das war für mich die halbe Miete. Mit ihr habe ich eine ganz andere Sicherheit und Freude. Am folgenden Tag kam sie schon mit einem Titel. Sie denkt sich immer die Titel aus, ob „Genial daneben“ oder „Ich bremse auch für Männer“, der Titel meines Solos – alles von ihr. Und jetzt „Dear Dicki“. An Dickis 60. kam Dada Stievermann vorbei und ich sagte ihr, sie müsse auch ein Kapitel schreiben. „Ne, das kann ich nicht“, sagte sie. Das war ein Dämpfer. Ich hatte den Titel im Hinterkopf und überlegte, ob es für die, die nicht professionell schreiben, vielleicht die Hemmschwelle senken würde, wenn sie einen Brief schreiben an „Dear Dicki“. Briefe sind ja fast ausgestorben, ein rührendes, schönes Medium auch für den Schreibenden. Aber auch für die Voyeure, die das dann lesen. Dada war begeistert.
Aber im Buch gibt es nicht nur Briefe?
Nein, weil wir gemerkt haben, dass man erklären muss, wer die Schreibenden sind und woher sie den Dirk kannten. Susanne Frank, die Lektorin, kam dann, um persönlich die ganzen Fotos nach Hamburg zu bringen. Das hat mich so fertig gemacht, ich habe nur geheult. Sie hat dann tröstend gesagt, ich solle das doch als Trauerarbeit begreifen. Also wenn du mich fragst, habe ich eine posttraumatische Belastungsstörung. Da ist nix mit Trauerarbeit.
Jetzt ist das Buch fertig...
Vorgestern hatten wir es zum ersten Mal in den Händen. Da heule ich natürlich auch direkt los, aus Freude und Stolz, weil ich auch weiß, der Dicki freut sich. Aber heute Nacht habe ich kaum geschlafen, weil mir das – paddadapom – im Kopf rumpoltert. Jetzt könnte man sagen, geh doch in Therapie, aber ich bin halt eine Verdrängerin und wenn es mich kalt erwischt, erwischt es mich eben.
Wie erwischt Sie das dann?
Du sitzt im Taxi und fährst zum Studio. Dann kommt ein Lied, das du komplett mit Dicki assoziierst. Dann bist du sofort wieder da. Das heißt jetzt nicht, dass du auf dem Rücksitz in Tränen ausbrichst, das ist in zehn Jahren schon besser geworden. Aber der Schmerz, der ist nicht weniger geworden. Definitiv nicht. Die Liebe bleibt. Mir ist schon sehr bewusst, dass ich total privilegiert bin, dass ich diese 30-jährige Freundschaft und die Liebe mit diesem sehr außergewöhnlichen Menschen haben durfte.
Das sehen nicht nur Sie so.
Es wird nach der Lektüre der Briefe sehr deutlich, was er für alle Menschen bedeutet hat. Er hat den Unterschied gemacht. Dieser Eindruck, den er auf alle hinterlassen hat. Dass ich das Privileg hatte, dass er auf Kay Rays Frage nach der besten Freundin gesagt hat: „Die Hella natürlich, wer denn sonst?“, das erfüllt mich mit Glück und Dankbarkeit. Aber ich kann einfach auch nicht sagen: Jetzt geht es wieder.
Was geht denn wieder?
Susanne Frank hat erzählt, dass sie „Die Bürstenberaterin“ auf Youtube gesehen hat und Schnappatmung hatte. Es gibt ja eine DVD-Box mit der „Dirk-Bach-Show“ und auf der letzten DVD sind sechs Folgen „Hella und Dirk“. Wir haben ihr dann „Adolf & Eva“ gezeigt und die „Selbsthilfegruppe“. Das konnte ich nach zehn Jahren, aber vorher nicht. Und es ist schon erstaunlich, wie frisch diese Sketche immer noch sind. Man denkt immer, nach einer gewissen Zeit sind Sketche einfach um. Das ist bei uns nicht so, und das sagt die Lektöse auch, und nicht aus Solidarnosc. Das ist mein Beruf, und ich guck die Dinger an und hab’ nicht einmal gedacht, das könntest du heute nicht mehr machen. Gut, in einem Sketch habe ich eine schwarzhäutige Musikproduzentin gespielt, vielleicht wäre das mit der kulturellen Aneignung …
… so Black-Facing-mäßig …
… vielleicht haben Sie mal ein bisschen Distanz dazu, dass man als Künstler auch mal in eine andere Haut schlüpfen darf. Damals war das noch kein Thema. Heute würde ich eine Dieter-Bohlen-Perücke aufsetzen, mit Hamburger Akzent hätte das als weißer Mann auch funktioniert. Die Komik liegt ohnehin beim Dicki, der da so einen Völlig-schnarch-mich-an-Rap reimt. Um dieses Untalentierte spielen zu können, muss man viel Talent haben.
Das Buch ist auch eine Zeitreise ins Köln der 80er. Wenn ich mir vorstelle, wie Dirk Bach im weißen Fix-und-Foxi-Anzug ins Gymnasium Chorweiler geht ...
Kult! Die Heike Melba-Fendel, die das geschrieben hat, ist mir relativ spät eingefallen. Die hat mit „Barbarella“ ja eine sehr erfolgreiche Event-Agentur und ist mit Dicki zur Schule gegangen. Sie hatte damals einen Nachruf in der „FAZ“ geschrieben, was ich nicht wusste. Du glaubst ja nicht, dass ich sowas hätte lesen können. Aber der Brief ist toll geworden. Genau wie der von Galeristin Brigitte Schenk. Zwei saukluge, reflektierte Weiber – wie die schreiben, das ist ein tolles Entrée in diese Buch. Gut, dass mir die beiden noch eingefallen waren. Aber Conny hat mehr als einmal bei mir im Wohnzimmer gesessen und gesagt: „Da hat der Dicki doch dran gedreht!“, wenn etwas so ganz zufällig entstand.
Ein Beispiel?
Ralf König etwa, mit dem ich wirklich viel zu tun habe über meine Arbeit beim Comic-Talk. Den hatte ich gefragt, aber er hat’s vergessen. Ralf König und seine Comics haben zu unserem Leben gehört wie sonst nur Musik. Und auf den letzten Drücker hat er dann doch noch ein Bild gemalt, Helli und Dicki Arm in Arm. Das ist so ein schöner Rauswischer aus dem Buch, tolle Farben und wir beide leben. Drunter ein Bürstenberaterin-Zitat, ein Zitat unserer albernen Schaffenskunst, das passt wie Arsch auf Eimer.
Sind Sie denn mit Dicki im Daueraustausch? Das klingt so, weil Sie auch immer die Zeiten wechseln.
Ich habe mich im Buch den drei Buchstaben verweigert, ich spreche nicht davon, dass Dirk 'tot' ist. Ich schreibe im Präsens, was viele Briefeschreiber auch getan haben. „Wie geht es dir da oben?“ oder „Grüß David Bowie von mir.“ Dirk war so voller Energie, dass sich keiner vorstellen kann, dass der weg sein soll. Wir wollen das auch alle nicht. Natürlich ist das Verdrängung und Schmerzminderung.
Musik spielt eine große Rolle im Buch. In den Zwischentexten bekommt jeder einen eigenen Song.
Jeder Briefeschreiber sollte einen Song nennen, den er Dicki widmen würde. Lieder an eine gemeinsame Erinnerung, oder solche, die man trefflich findet. Angelika Lütte Mann hat den „Tanz der kleinen Schwäne“ von Tschaikowsky genommen. Selber eine kleine, runde, geniale Schauspielerin, widmet sie das Dirk. Großartig.
Was haben Sie ausgesucht?
Ich hatte doch nicht nur ein Lied. Ich hab’s mir leicht gemacht und habe acht, neun Songs genommen. Aber umblättern soll er mit „Rays Theme“ von John Williams, gespielt von Anne Sophie Mutter. Da kriege ich einen großen Dicki-Schwapp.
Mein Lied wäre „Ich will keine Schokolade“ von Trude Herr.
Das hat er auf dem Roncalliplatz gesungen 1995, da haben die Domtürme gewackelt. Im Buch ist es zweimal, weil sowohl Jürgen Becker als auch Jürgen Fritz es sich ausgesucht haben. Aber das ist okay, denn das musste er auch immer zweimal singen – ohne Zugabe kam er damit nicht von der Bühne, nie.
Bei einigen Leuten hat man die Connection nicht vermutet. Gerhard Polt etwa.
Das hat Pelle eingefädelt. Wir haben Gerhard Polt als Künstler sehr bewundert, ein Großer wie Will Quadflieg oder Elisabeth Flickenschild. Bei seinem Film „Kehraus“ haben wir uns weggeschrien. Ich habe Polt nie kennengelernt. Und dann kommt der mit so einem Zitat um die Ecke. „Lieber Herr Bach, Ihr Lachen wird uns nie vergehen.“ Da könnte ich niederknien.
Im Oktober ist der zehnte Jahrestag. Machen Sie da was?
Ich will, dass dann der Dirk-Bach-Platz neben dem Offenbachplatz eingeweiht wird. Und dann stelle ich mich gerne dahin in einem schönen, bunten Overall und lasse die Korken knallen. Wir bringen die Camping-Stühlchen mit und machen ein kleines Sit-in für den Dicki. Denn angefangen haben wir alle mit Performances auf der Hohe Straße.