Jetzt rege ich mich aufGrün wählen – aber mit dem SUV zum Bio-Bauernhof
- In seiner neuen Kolumne „Jetzt rege ich mich auf” bewertet Frank Nägele die aktuelle Nachrichtenlage oder einfach nur das, was er täglich so erlebt.
- Diesmal regt er sich über Kölner auf, die mit dem Auto zum Bauernhof am Rande der Stadt fahren.
- Eine scharfe Abrechnung mit (Kölner) Klimasündern.
Hallo Köln, was für ein schöner Morgen. Die Luft ist gut, die Hitze hat sich verzogen, wir können atmen. Nach dem Regen des Wochenendes scheinen sogar manche Bäume wieder grün und gesund. Die Sommerferien haben gerade erst so richtig angefangen. Ach, was ist das Leben schön! Die Welt liegt uns zu Füßen.
Dies ist, im Telegrammstil, das Gefühl des Tages. Ich spüre es selbst in mir und ärgere mich darüber. Nicht über den fröhlichen Lebensmut, der dahinter steckt, sondern über diese elende Kurzfristigkeit unseres Gefühlsapparates, der sich einfach weigert, die Konsequenzen unseres Handelns zu akzeptieren, wenn es ihm gerade gut geht.
Kaltgepresstes Olivenöl vom Ökobauern aus der Toskana
Denn die Wahrheit bleibt: Nichts ist anders als vor drei, vier Tagen, als wir im Rheinland unter der Hitze des Irrsinnssommers fast verglüht wären. Nichts ist besser, nur weil wir die Auswirkungen der von uns verursachten Zivilisationsschäden an der Erde nicht direkt zu spüren bekommen.
Es mag sein, dass mehr Menschen als je zuvor ein Bewusstsein dafür entwickeln, was wir diesem Planeten schon angetan haben. Gerade in einer Stadt wie dieser. Aber der entscheidende Schritt vom Erkennen zum Verstehen ist noch nicht abgeschlossen. Und danach käme erst das richtige Handeln.
156.515 Kölner, 38,2 Prozent, haben bei der Europawahl 2019 Grün gewählt, in manchen Stadtteilen waren es fast 50 Prozent. Man hat sich ökologisch korrekt gefeiert und geglaubt, die Weltrettung sei dadurch schon ein wenig wahrscheinlicher geworden. Mir persönlich ist das Bekenntnis zur Natur sehr sympathisch, weil die Alternative dazu das Bekenntnis zum schnellen Weltuntergang ist. Aber die allermeisten von uns, mich oft genug eingeschlossen, handeln nicht konsequent danach.
Wer wissen will, was ich meine, sollte einem schönen Samstag einmal einen Bio-Bauernhof am Rande der Stadt besuchen. Er wird allerdings kaum das Eingangstor finden, weil ernährungsbewusste Besitzer viel zu großer Automobile alles bis zur Unkenntlichkeit zugeparkt haben, um kaltgepresstes Olivenöl vom Ökobauern aus der Toskana oder Biomöhren aus dem Rheinland nach Demeter-Standard zu kaufen, in die Stauräume ihrer riesigen SUV zu packen und nach Hause zu brausen.
Wer das Gegenteil behauptet, ist ein Lügner, Heuchler oder Ignorant
Wer etwas zur Klimarettung beitragen will, darf so etwas nicht tun. Punkt. Er darf auch nicht mehr fliegen. Ein Inlandsflug in einem flächenmäßig kleinen Staat wie Deutschland ist ein Verbrechen an der Umwelt. Ein Interkontinentalflug für den Bruchteil des Monatsgehaltes ist die Krönung unseres Lebensstils, der die Welt zur Geisel einer persönlichen Freiheit macht, die sich keine Grenzen mehr setzen lassen will.
Vergessen wir ruhig so etwas wie eine Ausgleichszahlung zur Verbesserung der persönlichen Co2-Bilanz. Das ist ökologischer Ablasshandel. Wer fliegt, hinterlässt riesige Fußabdrücke, die nicht weggeschwindelt werden können. Und wer immer das Gegenteil behauptet, ist ein Lügner, Heuchler oder Ignorant.
Aber so lange es spottbillig möglich ist, weil unsere Regierung Flugbenzin nicht besteuert, werden es viele Menschen weiterhin regelmäßig tun, weil man es sogar von ihnen erwartet. Die neue ökologische Welle hat jetzt laut einer Umfrage dazu geführt, dass ein Viertel der Deutschen erwägt, weniger zu fliegen. Richtiges Handeln auf der Basis von Freiwilligkeit ist für Menschen eine komplizierte Geschichte.
Wir empfinden es ebenso als unser Grundrecht, aus Spaß nach Neuseeland zu jetten, wie uns aus Bequemlichkeit einen Kasten Bier, eine Pizza oder ein Sexspielzeug direkt nach Hause liefern zu lassen und mit dem Auto, weil es sich so geil anfühlt, durch die Gegend zu rasen.
Jemand, der uns das verbieten wollte, hätte keine Chance, in ein wichtiges Amt gewählt zu werden. Ich sage das mehr noch zu mir als zu allen anderen: Wenn wir damit weitermachen, wird die Katastrophe noch schneller passieren. Klimakollaps, Gletscherschmelze, Meeresspiegelanstieg – das ganze Programm.
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Aber heute ist kein solcher Tag. Die Luft ist gut. Wir können atmen. Die Welt liegt uns zu Füßen.