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Jetzt rege ich mich auf„Deutsche Bahn, Du hast nicht mehr alle Tassen im Schrank!”

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Die Deutsche Bahn – für viele ein Quell von Leidensgeschichten.

  1. In seiner Kolumne „Jetzt rege ich mich auf” bewertet Frank Nägele die aktuelle Nachrichtenlage oder einfach nur das, was er täglich so erlebt.
  2. In der vergangenen Woche ist er – weil Sommerferien sind – mehrfach mit der Deutschen Bahn verreist. Dabei wurden sämtliche Negativ-Klischees über die Bahn mehr als bestätigt.
  3. Nägele bedauerte während seiner Fahrten vor allem, nicht im Besitz einer Gegensprechanlage zu sein, um den Schaffnern seine etwas andere Sicht der Dinge zu schildern.
  4. Lesen Sie hier das Protokoll seines Bahn-Wahnsinns. Und weitere Nägele-Kolumnen.

Dies ist die Geschichte einer ganz normalen Fahrt mit der Deutschen Bahn. Keine Form von höherer Gewalt hat die Reise beeinträchtigt. Die Technik arbeitete im Prinzip einwandfrei. Nirgendwo stand verdächtig ein herrenloses Gepäckstück herum. Kein Sturm hatte Baumstämme auf die Geleise gepustet, kein Blitzeis die Leitungen verklebt.

Der ICE 625 nach München hatte den Kölner Hauptbahnhof mit wenigen Minuten Verspätung verlassen. Den Wartenden auf dem Bahnhof Siegburg/Bonn, unter denen ich mich befand, verhieß eine Durchsage lediglich, dass die Wagen nicht in der angekündigten Reihung eintreffen würden.

Frank Nägele ist Redakteur im Sport-Ressort. In seiner Kolumne schreibt er über alles, was (ihm) im Leben wirklich wichtig ist.

Niemand war überrascht. Man richtete sich schulterzuckend auf das bekannte Abteil-Bingo und hektische Sprints auf dem Bahnsteig ein, um sich nicht später vollbepackt mit Taschen durch einen halben Kilometer menschenbeladenen Zug kämpfen zu müssen.

Und dann kam, fünf Minuten zu spät: der halbe Zug. Die andere Hälfte fehlte. Niemand hatte den Reisenden am Bahnsteig vorsichtshalber die Nachricht überbracht, dass der Wagen, für den sie gebucht und bezahlt hatten, womöglich nicht erscheinen werde. Als der unplanmäßig und unerklärlich verkürzte ICE zum Stehen kam, bildeten sich sofort große Menschentrauben an seinen Eingangstüren. Allerdings war ein Eintreten kaum möglich, weil mittendrin, wie Zerberus, der Höllenhund, eine entschlossene Schaffnerin stand und der Menge entgegenschrie: „Reisende ohne Platzreservierung bitte nicht einsteigen! Bitte steigen sie NICHT ein!“

Durch puren Zufall gehörte ich zu den Glücklichen, die sich im Besitz einer gültigen Reservierung befanden. Einer Mischung aus Freude und innerer Unruhe folgend wollte ich, bepackt mit zwei Taschen, den Wagen betreten, doch die Schaffnerin brüllte mich an: „Hey Sie da, was fällt Ihnen ein, lassen Sie mich zuerst aussteigen!!!“

Zuvor hatte sie nicht den Anschein erweckt, als wollte sie ihre Dirigentenposition im Eingangsbereich des Waggons aufgeben. Bevor aus Erstaunen Empörung werden konnte, hatte mich die Masse in meinem Rücken bereits ins Innere gedrückt, wo es beim Versuch, sich ohne Gewissheiten auf engstem Raum zurecht zu finden, niemandem langweilig wurde.

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Meinen Platz gab es wirklich, aber da saß schon eine nette Person und hoffte, dass ich nicht erscheinen würde. Vergebens. Es fühlt sich schlecht an, Teil einer solchen Enttäuschung zu sein und nach dem Verlust jeglicher Form von Ritterlichkeit darauf hinzuweisen, dass man für 4,50 Euro das Anrecht erworben habe, auf diesem Platz zu sitzen. Das war der Moment, an dem mir wieder der Gedanke kam: „Liebe Deutsche Bahn, du hast doch nicht alle Tassen im Schrank!“

Es gibt keine vergleichbare Situation im Alltag, für die ein Mensch so viel Geld bezahlt, um sich mit vorhersehbarer Regelmäßigkeit in schlimme Situationen bringen zu lassen. Außer im SM-Studio vielleicht. Und ich war ja noch ein Glückspilz. Hätte ich Wagen 32 statt 23 reserviert gehabt, wäre es mir so ergangen wie vielen anderen, deren Reservierung sich in Nichts aufgelöst hatte und die nun vom Bordpersonal genötigt wurden, auszusteigen. Durchsage: „Bitte verlassen sie den Zug. Wir können nicht losfahren, weil zu viele Menschen an Bord sind.“

Wäre ich im Besitz einer Gegensprechanlage gewesen, hätte ich erwidert: „Nein, liebe Bahn, wir können aus einem anderen Grund nicht losfahren. Nämlich deshalb, weil nur der halbe Zug erschienen ist, weil man niemandem etwas vorher gesagt hat, weil ihr keinen Plan B habt, weil eure Planung ein Chaos ist. Weil ihr es einfach nicht könnt!!!“

Leider war ich nicht im Besitz eines solchen technischen Instruments. Es dauerte eine geschlagene Viertelstunde, bis so viele Leute aus dem Zug hinausbefohlen waren, dass er losfahren konnte. Das Schauspiel wiederholte sich in Montabaur und Limburg. Schließlich hatte der ICE so viel Verspätung, dass in Frankfurt garantiert alle Anschlussverbindungen verpasst wurden. Erst dann wurde am Hauptbahnhof der fehlende zweite Zugteil angehängt und ich kam irgendwann unversehrt am Zielort an.

Drei Tage Zeit zur Abregung

Drei Tage hatte ich Zeit, um mich bis zur Rückfahrt abzuregen und mir in Erinnerung zu rufen, dass es keine entspanntere, umweltfreundlichere und sicherere Reise gibt als die mit dem Zug. Was war das für eine Freude, als die Bahn bereits 20 Minuten vor Abfahrt blank geputzt am richtigen Gleis stand und mich zum Einsteigen lud.

Illusion einer heiteren Fahrt zerstört

Das Betreten des Abteils zerstörte die Illusion einer heiteren Fahrt quer durch Deutschland. Der Zug gegenüber hätte schon vor einer Stunde losfahren sollen, und weil es ein Problem gab, hatte man seine Passagiere geschlossen in den ICE 624 geschickt. Auf meinem Sitz saß wieder eine nette Person, und sie hatte sogar eine Reservierung für Wagen 23, Platz 82, aber leider in einem anderen Zug. Und als wir gemeinsam unbelegte Plätze suchten, kam ein Schwarm Menschen am Rande des Nervenzusammenbruchs aus Wagen 22. Sie durften da nicht bleiben, weil die Klimaanlage defekt war.

Als ich schließlich saß, der Zug sich in Bewegung setzte und viele Menschen immer noch verzweifelt nach einem Platz suchten, an dem sie die Reise ohne den gänzlichen Verlust ihrer Würde überstehen konnten, erinnerte ich mich an eine Bahnfahrt vor mehr als 30 Jahren in Sri Lanka. Da saßen Menschen in Gepäckträgern, auf dem Boden, aufeinander und sogar auf dem Dach des Waggons. Aber wenn man wollte, konnte man sich bei Tempo 50 auch auf den Treppen am Wagenausgang ausruhen, die Welt an sich vorüberziehen lassen und etwas rauchen. Für den Fahrpreis von umgerechnet einer Mark fünfzig für 200 Kilometer. Das war cool.

Und du, liebe Deutsche Bahn, bist genau das Gegenteil.