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Familienglück nach TransplantationWie die einjährige Lucy mit einem neuen Herz ins Leben startet

Lesezeit 4 Minuten
Mutter Leuschen hat ihre Tochter im Arm, der Vater hat den Arm um ihre Schulter gelegt.

Im Sommer vergangenen Jahres benötigte Lucy noch eine Ernährungssonde sowie einen Sauerstoffschlauch. Heute ist sie beides los.

Vor einem halben Jahr haben wir über Familie Leuschen berichtet. Nach einer Herztransplantation benötigte ihr Baby von beiden Eltern Pflege rund um die Uhr. Heute arbeitet Jens wieder, Lucy trinkt eigenständig.

Es ist ein warmer Sommertag Ende Juli, als Lucy sich selbst befreit. Sie schreit, durchdringend. Ihre Eltern Sandra und Jens Leuschen eilen zu ihr. Da hat sie das Ende des Schlauchs in der Hand, der bislang in ihrem Körper steckte und sie ernährte. „Wir sind total erschrocken, aber die Ärzte aus dem Transplantationszentrum rieten uns: Vielleicht ist Lucy bereit. Probiert es doch einfach mal aus“, erzählt Sandra Leuschen.

Lucy (Name von der Redaktion geändert) ist eineinhalb Jahre alt. Sie war noch ein Baby, als ihr erstes Herz zu schlagen aufhörte. Im Juni vergangenen Jahres haben wir die fünfköpfige Ehrenfelder Familie besucht und uns über den Alltag mit einem pflegebedürftigen, herztransplantierten Kind berichten lassen. Damals trübten viele Beschwernisse das Familienglück. Lucy hat einen Gendefekt, eine dilatative Kardiomyopathie, das kindliche Herz blieb immer wieder stehen, erwies sich letztlich als unbrauchbar. Eine Herztransplantation rettet zwar das Leben des Kindes, bringt aber große Sorgen und Probleme mit sich: Medikamente, Sauerstoff, Quarantäne, einmal wöchentlich die aufreibende Fahrt zur Transplantationsklinik nach Gießen.

Sie lutscht an Salzstangen und zermatscht ihr Gemüse

Ein halbes Jahr später offenbart ein Anruf: Bei den Leuschens ging es steil bergauf. Lucy, die bei unserem ersten Besuch noch verkabelt durch die Wohnung robbte, steht nun aufrecht neben dem Sofa – ohne Ernährungssonde, ohne Sauerstoffschlauch. Sie trinkt jetzt hochkalorische Milch. Sie lutscht gern an Salzstangen. Sie zermatscht mit Lust ihr Gemüse beim Essen. In ihrem Mund sind eine Menge Zähne gewachsen. Kontrolltermine in der Gießener Klinik stehen nur noch alle drei Monate im Kalender.

Lucy feierte mit bei der Einschulung ihrer großen Schwester und reiste gemeinsam mit der Familie in die Eifel. Durften die großen Geschwister vor einem halben Jahr noch nur mit Maske zum Kuscheln ins Schlafzimmer zu Lucy, können sie jetzt ganz ungeschützt mit dem jüngsten Familienmitglied spielen. Und streiten. „Lucy wehrt sich lautstark, wenn ihre großen Geschwister ihr ein Spielzeug wegnehmen“, sagt Sandra Leuschen und man hört ihr an, wie froh sie über dieses Geschrei ist.

Das Ehepaar Leuschen im Halbporträt mit Baby auf dem Mutterarm.

Lucy und ihre Eltern bei dem Besuch im vergangenen Sommer.

Ja, es gab ein paar Rückschläge. Lucys Corona-Infektion im Oktober und deren Nachwehen: „Da hat sie sich nächtelang übergeben. Das war die Hölle.“ Die Sauerstoffsättigung sinkt bedrohlich. Eine Woche muss sie in der Klinik verbringen. Aber letztlich verläuft alles erstaunlich positiv. Auch die routinemäßige Untersuchung per Herzkatheter im Januar erfordert nur drei Tage Klinikaufenthalt.

Vater Jens arbeitet in Teilzeit, Mutter Sandra plant ebenfalls die Rückkehr in den Beruf

„Uns geht es gut“, sagt Sandra Leuschen. Auch die existenziellen Sorgen sind geschrumpft. Über eine Spendenaktion haben die beiden bislang nahezu 100.000 Euro gesammelt, um die drohende Armut als Vollzeitpflegende abzuwenden. Jens hat im August wieder angefangen zu arbeiten. 15 Stunden in der Woche während der Elternzeit, sein Arbeitgeber ist ein Papiergroßhändler. Einen Tag in der Woche muss er ins Büro, die übrige Zeit kann er flexibel von zu Hause erledigen. Auch seinen Nebenjob in einer Kneipe hat er wieder aufgenommen. Wenn alles gut läuft und Lucy eine Inklusionsbegleitung genehmigt wird, dann kann sie ab August den Kindergarten besuchen. Dann will Jens auf 20 Stunden aufstocken.

„Mein Ziel ist es, irgendwann wieder 34 Stunden in der Woche und damit weitgehend Vollzeit zu arbeiten“, sagt er. Und auch Sandra Leuschen träumt davon, ihre Rolle als Vollzeitmutter und Hausfrau wieder zu verlassen. „Nur zu Hause zu sein tut mir am Ende nicht gut. Ich merke, wie ich dadurch unmotivierter werde.“ Weil sie wegen der Infektionsgefahr ihren früheren Job als Tagesmutter an den Nagel hängen musste, plant sie nun ein schon begonnenes Studium zur Sozialen Arbeit weiterzuführen. „Mein Wunsch ist, als Sozialarbeiterin Familien wie uns zu helfen.“

Aber erstmal genießen die Leuschens einfach den Alltag als ganz normale Familie. Gerade haben sie den siebten Geburtstag der Ältesten gefeiert. An Ostern geht es gemeinsam mit den Großeltern in die Niederlande. Ganz selten drängelt sich die Angst des ersten Lucy-Jahres wie ein lästiger Gast in den Familienalltag von heute. Im Großen und Ganzen aber trauen die Leuschens ihrem Glück. Sandra Leuschen sagt: „Ich habe vollstes Vertrauen in ihr Herzi. Das läuft.“