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„Es war so furchtbar“Weitere Lehrerin berichtet von Untersuchung an Kölner Gesundheitsamt

Lesezeit 6 Minuten
Warteschlange vor dem Kölner Gesundheitsamt am Neumarkt in der Kölner Innenstadt.

Warteschlange vor dem Kölner Gesundheitsamt am Neumarkt in der Kölner Innenstadt.

Wie eine Ewigkeit kam Rebecca Kramer die Prozedur vor, in der sie halbnackt vor einem Arzt lag. Die Erfahrung der Lehrerin ist grenzwertig.

Als Rebecca Kramer (alle Namen geändert) den Lokalteil des „Kölner Stadt-Anzeiger“ liest, werden bei ihr unangenehme Erinnerungen wach. Was sie bei ihrer Eingangsuntersuchung im städtischen Gesundheitsamt vor einigen Monaten erlebte, lässt der inzwischen verbeamteten Lehrerin immer noch keine Ruhe. Die Minuten, in denen sie halbnackt vor einem Amtsarzt lag, fühlten sich für sie an wie eine Ewigkeit.

Im „Kölner Stadt-Anzeiger“ hatte eine 29-jährige Kölnerin Entsetzen über ihre Untersuchung vor einigen Wochen geäußert. Ohne erkennbaren Grund sei sie aufgefordert worden, ihren Oberkörper frei zu machen und ihren BH abzulegen, schildert sie darin. Mehrere Minuten habe sie halbnackt vor einem Arzt gelegen. „Es war so furchtbar, dass ich es einfach nur hinter mich bringen wollte“, sagte sie. Das Gesundheitsamt leitete eine noch andauernde Aufklärung ein und sprach mit der Betroffenen, dem Arzt und einer Ärztin, die ebenfalls im Raum war. „Inhalte zu vertraulichen Gesprächen darf die Stadt Köln nicht weitergeben“, teilte eine Sprecherin mit. Mehrere Frauen meldeten sich anschließend ebenfalls beim „Kölner Stadt-Anzeiger“ und schilderten ähnliche Erfahrungen. Auch, um der 29-Jährigen beizustehen.

Untersuchung in Kölner Gesundheitsamt ohne BH

Rebecca Kramer ist ebenfalls eine Betroffene. Auch sie sei aufgefordert worden, für große Teile der Untersuchung den BH abzulegen und habe sich währenddessen sehr unwohl gefühlt. Auch bei der Stadt selbst gingen mehrere Beschwerden ein, in denen „das Thema Bekleidung im Vordergrund stand“, wie eine Sprecherin mitteilte. Zwei der Beschwerden seien von Frauen gekommen. „Nach dem Eingangsgespräch hat mich der Arzt aufgefordert, den Oberkörper komplett frei zu machen und mich auf die Liege zu legen“, sagt Kramer. Sie habe da zwar gestutzt, sich aber unter Druck gesetzt gefühlt, dass das Gutachten nicht negativ ausfalle. Schließlich hing ihre Verbeamtung davon ab. Die 33-Jährige berichtet: „Also legte ich mich mit nacktem Oberkörper auf die Liege. ‚Wenn ich Ihre Füße auf der Liege sehe, weiß ich, dass Sie fertig sind. Dann komme ich‘, sagte der Arzt.“

Dann seien – bei komplett entblößter Brust – ihre Reflexe getestet worden. „Ich habe einfach nur geschwiegen und an die Wand geschaut“, sagt Kramer. „Ich wurde erst richtig stutzig, als er mich mit dem Stethoskop abhörte. Damit drückte er auf meine Brustwarze.“ Der Arzt soll daraufhin gesagt haben: „Oh, entschuldigen Sie bitte, ich war so von Ihrem Bauchnabel-Piercing fasziniert, dass ich nicht geschaut habe, wo ich drücke.“ Kramer habe sich auch in dieser Situation nicht getraut, etwas zu sagen – „Weil der Arzt bis dahin so nett war.“

Kramer berichtet, von der Situation „komplett überfordert“ gewesen zu sein. „Ich lächelte darüber hinweg, fühlte mich aber zunehmend unwohler“, sagt sie. „Dann tastete der Arzt meinen Bauch ab. Er bat mich, den Slip noch weiter herunterzuziehen. Dabei sagte er: ‚Ich würde ja selbst Hand anlegen, aber dann würde ich in Teufels Küche kommen.‘ Ich war wie paralysiert und perplex. Ich war froh, dass er kurz darauf von mir wegtrat und mich bat, mich hinzustellen. Er untersuchte daraufhin meine Wirbelsäule und tastete meinen Rücken ab.“ Auch da noch war Kramers Oberkörper ihrer Schilderung nach komplett entblößt – ohne BH.

„Systematischer Machtmissbrauch“ bei amtsärztlicher Untersuchung

„Zum Abschluss sollte ich mich seitlich zu ihm stellen, dabei immer noch oberkörperfrei, und Gleichgewichtsübungen machen“, schildert Kramer weiter. „Ich war sehr nervös und schwitzte. Ich wollte nur noch raus.“ Kurz danach habe sie sich „endlich wieder anziehen“ dürfen. Der Arzt habe ihr seine Prognose mitgeteilt und sich freundlich verabschiedet. „Als ich das Gebäude verließ, fühlte ich mich benebelt“, sagt Kramer. „Ich bin eigentlich eine emanzipierte Frau, die ihren Standpunkt zu verteidigen weiß und war entsetzt über mich selbst, dass ich diese Untersuchung so über mich habe ergehen lassen.“

Hat der Amtsarzt seine Stellung missbraucht? Für Rebecca Kramer zeugt der Vorfall „von einem systematischen Machtmissbrauch“. Anders als beim Hausarzt oder Gynäkologen kann niemand die untersuchende Person aussuchen – auch nicht, ob es eine Frau oder ein Mann sein soll. „Klientinnen werden von Ärztinnen begutachtet. Klienten werden von Ärzten und Ärztinnen begutachtet“, teilte eine Stadtsprecherin grundsätzlich mit. „In Einzelfällen“ könne es aber dazu kommen, dass Frauen von Ärzten begutachtet werden, etwa „wenn eine bestimmte fachärztliche Qualifikation erforderlich ist oder Fristen eingehalten werden müssen“. In diesen Fällen werde sichergestellt, dass „für die Dauer der körperlichen Untersuchung zusätzlich eine Mitarbeiterin zugegen ist“. Rebecca Kramer schildert aber, sie sei während der gesamten Untersuchung allein mit dem Arzt gewesen. Die Stadt kündigte auch für diesen Fall eine Aufarbeitung an, Genaueres könne zu diesem Zeitpunkt noch nicht gesagt werden.

Keine universellen Richtlinien für amtsärztliche Untersuchung

Universelle Richtlinien dazu, welche Körperteile untersucht und dafür entblößt werden müssen, gibt es nach Angaben des NRW-Gesundheitsministeriums nicht. „Seitens des Ministeriums ist kein standardisiertes Verfahren für die Untersuchungen festgelegt“, teilte eine Sprecherin mit. Vielmehr entscheide jedes städtische Gesundheitsamt selbst und in diesen jeder Arzt und jede Ärztin einzelfallabhängig.

Dr. Rudolf Lange ist Sprecher des „Arbeitskreises Qualitätssicherung für das Amtsärztliche Gutachtenwesen NRW“ und hat sich mit den im Raum stehenden Fragen beschäftigt. „Entscheidend ist, was die Zielsetzung der Untersuchung ist“, sagt Lange. Eine komplette Entblößung des gesamten Körpers etwa, um Geschlechtsteile auf Krebssymptome zu untersuchen, schieße weit über das Ziel hinaus. „Die Frage, ob es bei Frauen aber erforderlich sein kann, die Brust freizumachen, ist mit einem klaren Jein zu beantworten“, sagt Lange. Je nach Größe und Form des BH etwa könne dieser für spezielle Untersuchungen hinderlich sein, zum Beispiel für das Abhören mit einem Stethoskop. In Sondersituationen sei auch ein EKG nötig, für das der BH ebenfalls hinderlich sein könne.

Auf keinen Fall aber sei eine „grundsätzliche Komplettentblößung des Körpers für die gesamte Dauer der Untersuchung gerechtfertigt“, betont Lange. Vielmehr sei es angebracht, für einzelne, in der Regel kurze Untersuchungsabschnitte nur Teile des Körpers freizumachen. Bei allen Begutachtungen, die auch bekleidet durchgeführt werden können, wie etwa das Balancieren, sei das aber explizit nicht nötig.

Angst vor schlechtem Ergebnis unbegründet

In diesen Situationen, in denen Teile des Körpers nackt sein müssten, sagt Lange, sei Professionalität auf beiden Seiten wichtig. „Es gibt zwar auch Frauen, die kein Problem damit haben, ihre Körper freizumachen, aber bei einigen mag das großes Unbehagen auslösen, da sie den untersuchenden Arzt ja nicht kennen“, sagt Lange. „Im Normalfall sollte eine solche Untersuchung fast geschlechtsneutral sein, unabhängig davon, ob die untersuchende und die untersuchte Person männlich oder weiblich ist.“ Ängste vor einem negativen Ergebnis seien inzwischen nicht mehr gerechtfertigt, betont Lange. Heutzutage müssten die Betroffenen schon gravierende Anzeichen für Krankheiten haben, um nicht verbeamtet zu werden.

Bei Rebecca Kramer haben die Minuten im Kölner Gesundheitsamt nachgewirkt. Als sie kurz darauf bei einem privaten Arzttermin anzügliche Kommentare hörte, musste sie handeln und wechselte ihre Ärzte. „Ich lasse mich jetzt nur noch von Frauen untersuchen“, sagt Kramer. „Ich möchte nicht mehr darauf achten müssen, was ich anziehe. Das hat jetzt ein Ende.“


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