HIV-Erkrankungen in Köln„Das alte Aids-Bild spielt immer noch eine große Rolle“
- Im Kölner Gesundheitsamt werden jährlich Tausende Kölner auf HIV getestet.
- Wie überbringt man Erkrankten die traurige Diagnose? Und wie steht es um die Aufklärung in Sachen Aids im Jahr 2019?
- Zwei Kölner Experten sprechen über dramatische Fälle, die Zahl der HIV-Erkrankungen in Köln und immer noch vorherrschende Tabus.
Köln – Frau Baumhauer, Herr Baumann, worin besteht Ihre Arbeit in der Fachstelle für sexuell übertragbare Infektionen und sexuelle Gesundheit im Gesundheitsamt Köln?
Katrin Baumhauer: Sie besteht im Wesentlichen daraus, dass wir Informationen kostenlos und neutral für alle Menschen bereitstellen. Wir haben fachärztliche Sprechstunden für Menschen, die keinen Zugang zur Regelversorgung haben, also zum Beispiel nicht krankenversichert sind. Außerdem kann man sich bei uns zum Thema sexuelle Gesundheit anonym beraten lassen und sich gegebenenfalls anonym und kostenlos auf HIV und andere sexuell übertragbare Infektionen testen lassen.
Aus welchen Gründen kommen Menschen in Ihre HIV-Sprechstunde?
Paul Baumann: Die Motive sind so unterschiedlich wie die Menschen, die uns aufsuchen. Da gibt es ängstliche Menschen mit eher geringem individuellem Risiko, Menschen die reflektiert und bewusst mit ihrem hohen individuellen Risiko umgehen und sich routinemäßig in bestimmten Zeitabständen testen lassen, oder Menschen, die uns bereits mit einer Vorahnung, dass da etwas sein könnte, aufsuchen. Ein häufiges Testmotiv ist ein Wechsel in der Partnerschaft. Oft steht auch das Bedürfnis über Konflikte in der Partnerschaft oder über sexuelle Neigungen zu sprechen im Vordergrund.
Wie läuft der HIV-Test ab?
Baumann: Es gibt zwei Verfahren. Der Labor-Test ist mittlerweile so gut, dass er alles, was bis vor sechs Wochen geschehen ist, abklären kann. Am nächsten Tag ist das Ergebnis da. Die andere Option ist der Schnelltest, wo das Ergebnis nach 45 Minuten feststeht. Der wird vor Ort durchgeführt. Dafür muss das Risiko dann allerdings schon drei Monate oder länger her sein.
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Wie erleben Sie den Umgang mit HIV im Jahr 2019?
Baumann: Das alte Aids-Bild spielt immer noch eine große Rolle, das ist auffällig. Dieses Gefühl, als Infizierter zu der „anderen Seite“ zu gehören. Das ist immer noch eine gesellschaftliche Diagnose. Wem muss ich das sagen? Mit wem kann ich darüber sprechen? In der Beratung vor dem Test besprechen wir, dass HIV behandelbar ist, es eine chronische Infektion ist und man nicht daran sterben muss.
Wie gehen die Betroffenen mit dem Ergebnis um?
Baumann: Bis 1995, bevor Aids behandelbar war, war die Frage eher: Will ich es überhaupt wissen? Da gab es häufig Gespräche, wo es darum ging: Könnte ich betroffen sein? Will ich mich dem stellen? Da kamen die Leute und wussten nicht: Sterbe ich bald oder nicht? Das war damals wirklich so. Heute ist das anders. Natürlich, das muss durchlebt werden, mal heftig emotional, mal eher gefasst.
Es braucht Zeit und man muss sich damit auseinander setzen und sich bewusst machen: Ja, ich habe das jetzt. Ich muss jetzt dauerhaft Medikamente nehmen. Wer kann mich da unterstützen? Kann es mein Partner sein oder der Familienkreis? Oder eben ganz im Gegenteil. Nicht in allen Familien ist das Thema Sexualität ein offenes. In manchen Kulturen und Religionen gibt es Vorurteile. In solchen Fällen können oder wollen die Betroffenen zum Beispiel zu Hause gar nicht sagen, dass sie HIV positiv sind.
Baumhauer: Man kann wirklich nicht verallgemeinern, wie die Betroffenen das Ergebnis aufnehmen. Jeder bringt seinen eigenen Rucksack mit. Manche haben sich damit schon vorher auseinander gesetzt und manche trifft das als totaler Schock.
Inwiefern können denn die Betroffenen ein normales Leben führen?
Baumhauer: Man kann mit HIV Opa und Oma werden. Man hat nicht unbedingt die gleiche Lebenserwartung wie ein gesunder, nicht infizierter Mensch. Aber man kann mit dieser Krankheit alt werden. Es ist genau wie Diabetes oder Bluthochdruck eine Krankheit, die einen ein Leben lang begleitet. Wenn ich meinen Status kenne und die Medikamente kontinuierlich nehme, bin ich nicht ansteckend. Dann kann ich auch ungeschützten Sex haben und gesunde Kinder bekommen.
Erleben Sie dramatische Fälle?
Baumhauer: Ja. Zum Beispiel Menschen, die zu uns kommen und teilweise schon sehr stark erkrankt sind, keinen Aufenthaltsstatus haben, keine Regelversorgung haben. Das ist schon ein richtiges Drama. Wir können dann nur gucken, dass wir alle bestehenden Hilfsangebote bündeln, um sie der Person anzubieten. Wir können natürlich nicht alle Probleme lösen, aber wir versuchen so viel wie möglich zu unterstützen.
Macht Ihnen Ihre Arbeit Spaß?
Baumann: Es geht hier um die wesentlichen Themen des Lebens. Und das reizt mich sehr an meiner Arbeit. Sexualität ist ein wesentlicher Bestandteil des Lebens und wenn man dazu beitragen kann, dass Kommunikation besser gelingt und Menschen eine befriedigende Sexualität ausleben können, selbst wenn sie anders ist als die landläufig „normale“, erfüllt mich das sehr. Nicht nur auf persönlicher, sondern auch auf politischer Ebene.
Ist die Zahl der HIV-Tests bei Ihnen gestiegen?
Baumhauer: In den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl kontinuierlich gestiegen. Im Jahr 2007 haben wir bei uns im Fachdienst rund 3000 HIV-Tests durchgeführt, mittlerweile sind es rund 4000 jährlich. Allerdings haben wir im Gesundheitsamt positive Testergebnisse nur im unteren zweistelligen Bereich pro Jahr. Diese niedrige Zahl räumt auch so ein bisschen mit dem alten Aids-Bild auf. Es ist nicht so, dass jeder zweite, der hier sitzt, ein positives HIV-Ergebnis zurückbekommt. Das passiert eben höchstens ein- bis zweimal im Monat.
Zu den Personen
Dr. Katrin Baumhauer leitet den Fachdienst STI und sexuelle Gesundheit im Gesundheitsamt Köln. Paul Baumann ist Sozialpädagoge im Gesundheitsamt Köln. Baumhauer arbeitet seit fünf Jahren im Gesundheitsamt, Baumann bereits seit 1987.
Wie hoch sind die Zahlen für Köln insgesamt?
Baumhauer: In Köln hatten wir 2016 insgesamt 140 Neuinfektionen, 2017 93, 2018 114 und 2019 – Stand jetzt – 85 Neuinfektionen. Auch deutschlandweit gehen die Zahlen pro Jahr immer weiter runter. Aber darauf können wir uns nicht ausruhen. Es gibt in Deutschland immer noch über 10.000 Menschen, die mit HIV infiziert sind, es aber nicht wissen und zu viele, bei denen die Diagnose erst sehr spät gestellt wird. Darum müssen wir mit unserer Arbeit weitermachen, die Menschen erreichen und für ein offenes, nicht diskriminierendes Klima in unserer Gesellschaft arbeiten.
Sprechstunden
Im Fachdienst für sexuell übertragbare Infektionen und sexueller Gesundheit am Neumarkt findet jeden Vormittag Mo-Fr.,von 08.30 bis 10.30 parallel zur kostenlosen, anonymen HIV-Tests-Sprechstunde (Räume 140-143) eine fachärztliche Sprechstunde statt für Menschen, die keinen Zugang zur Regelversorgung haben (Anmeldung in Raum 131).