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„Ich dachte, dass ich komisch bin”Sängerin Stefanie Heinzmann kämpft gegen Mobbing

Lesezeit 6 Minuten
Heinzmann Lehel

Stefanie Heinzmann und Tom Lehel in Köln.

Köln – Stefanie Heinzmann kennt man als erfolgreiche Sängerin, Tom Lehel als gut gelaunten Kika-Moderator - was die meisten nicht wissen dürften: Beide haben Mobbing-Erfahrungen. Und engagieren sich jetzt im Kampf dagegen.

Angefangen habe es mit Plateauschuhen, erinnert sich Stefanie Heinzmann. „Meine Schuhe haben wohl gereicht, um doof zu sein. In den nächsten Tagen war mein Zettelkasten voll mit Beschimpfungen: Fuck you!, Verpiss Dich! Und Schlimmeres.“ Sie habe dann versucht, noch netter zu ihren Klassenkameradinnen zu sein, sie eingeladen und kleine Geschenke gemacht – „aber das ging voll nach hinten los. Ich war in einer sechs Klasse in einem kleinen Dorf im Wallis – und wurde von dem Tag an immer mehr ausgeschlossen“.

Ein Gespräch über die schwerste Zeit ihres Lebens

Tom Lehel, bekannt als Komiker und Moderator des Fernsehsenders Kika, sitzt Heinzmann in einem Klassenzimmer des Elisabeth-von-Thüringen-Gymnasiums gegenüber. Sie trägt die Haare raspelkurz, er wild abstehend, beide sind stark tätowiert und voller positiver Energie, während sie sich über die schwerste Zeit ihres Lebens unterhalten – die Zeit, als sie in der Schule gemobbt wurden. Gleich werden sie auf dem Schulhof des Gymnasiums gemeinsam auf einer Bühne stehen, um das Video für ihr Lied „Du bist richtig!“, produziert von Brings-Gitarrist Harry Alfter, einzuspielen. Alfters jüngste Tochter ist in der Schule gemobbt worden – genauso wie Lehels jüngster Sohn.

Fast jedes dritte Grundschulkind erfährt an seiner Schule einer Bertelsmann-Studie zufolge psychische oder physische Gewalt. Jede sechste Jugendliche erlebt in ihrer Schullaufbahn Mobbing (Pisa, 2017). Jede Woche sind in Deutschland rund 500 000 Schülerinnen und Schülern von Mobbing betroffen, zeigt eine Studie von Mechthild Schäfer, Psychologin und Anti-Mobbing-Forscherin an der LMU München. „Schulklassen sind dafür ideal, weil sich hier Menschen jeden Tag begegnen“, sagt sie. Begünstigt werde Mobbing bis heute dadurch, dass Erwachsene zu wenig darüber wüssten.

„Der Fokus auf die Opfer passt zu unserem humanistischen Menschenbild , ist aber nicht im Sinne der Prävention. Übersehen wurde lange Zeit, dass Mobbing immer ein Gruppenphänomen ist.“ Es gebe „nicht den einen Bösen. Es geht nicht darum, dass ein Täter direkt einem Opfer schaden will, weil er das Opfer hasst. Es geht bei Mobbing um Macht“.

Lehel tingelt durch Grundschulen im ganzen Land

Für Tom Lehel ist der Kampf gegen Ausgrenzung zur Lebensaufgabe geworden, nachdem er an verschiedenen Schulen über acht Jahre hinweg gemobbt und misshandelt wurde. Vor fünf Jahren hat er die Stiftung „Mobbing stoppen! Kinder stärken!“ gegründet, die seit einem Jahr auch von den Betriebskrankenkassen unterstützt wird. Er tingelt durch Grundschulen im ganzen Land, sein Team schult auch Eltern und Lehrkräfte. Es geht um Selbstreflexion – und Prävention, bevor Mobbing wie bei ihm ein ganzes Leben beeinflusst.

Als Lehel beginnen will, zu erzählen, bildet sich Gänsehaut auf seinen Unterarmen. „Seht ihr“, sagt er, „es arbeitet weiter, diese Dinge bleiben.“ „Ja, Mobbing ist nachhaltig, wahrscheinlich lebenslänglich“, sagt Heinzmann, die bislang noch nie öffentlich über das Thema gesprochen hat, momentan aber ein Buch schreibt und Kinder und Jugendliche ermutigen möchte, offensiv mit ihren Mobbing-Erfahrungen umzugehen.

„Ich habe nicht mit meinen Eltern darüber gesprochen damals, weil ich dachte, dass der Fehler an mir liegt. Dass ich komisch bin und irgendwie anders“, sagt Stefanie Heinzmann. Statt zu sprechen, sei sie zur Einzelgängerin geworden, „und auch zur Rebellin. Ich habe mich bunt angezogen, mich bewusst abgesondert. War auch ein bisschen Clown. Vor allem aber habe ich mich in der Schule angestrengt – ich wollte unbedingt auf die Sekundarschule, um dieser schrecklichen Klasse zu entkommen“. Zwischendurch habe sie sich selbst verletzt: „Ich habe mich gekratzt, um mich zu spüren, immer wieder. Ich fühlte mich als Opfer – und irgendwie schuldig.“

„Ich war als Kind ein bisschen dick”

Lehel nickt. Das Gefühl, nicht richtig zu sein, kennt er. „Ich war als Kind ein bisschen dick“, sagt er, „dazu kam, dass ich nach einem Unfall eine schwere Hand-Operation hatte.“ Er zeigt die Hand, sie ist vernarbt. Irgendwann habe ein Lehrer ihn vor versammelter Klasse gefragt: „Wie fühlt man sich so als Krüppel?“ Die Frage habe ihn so tief verletzt, dass er in der Folge schlecht schlief, nicht mehr zur Schule wollte, die Noten absackten.

Schließlich hätten die Eltern entschieden, ihn auf ein Internat zu schicken – „und dann wurde es ganz krass“. Tom Lehel erzählt jetzt von schweren Misshandlungen, die so weit führten, dass er um sein Leben fürchtete und panisch aus der Schule flüchtete. „Ich dachte, meine Hand sei schuld, oder die schiefen Zähne, oder, dass ich Übergewicht hatte.“

Heinzmann nickt. „Ich glaube, es hat auch etwas mit Selbstliebe zu tun“, sagt sie. „Man hasst sich, weil man glaubt, nicht gemocht zu werden und irgendwie falsch zu sein.“ Bei ihr hätten die Mobbing-Erfahrungen dazu geführt, „dass es mir irgendwann egal war, was andere über mich denken. Dass niemand ein Recht hat, mich über meine Klamotten oder meine Haare zu definieren“.

Heinzmann hat aufgehört, Instagram zu nutzen

Seit sie kurze Haare habe, spöttelten manche, das sei „unweiblich“ oder „lesbisch“. Sie wisse inzwischen, dass sie die Wahl habe, wie sie mit Spott oder Kritik umgehe. Sie habe auch aufgehört, Instagram zu nutzen. Es koste „einfach wahnsinnig viel Zeit. Und am Ende des Tages habe ich mich immer gefragt: Was hast Du da eigentlich gemacht?“

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Offensiv mit Spott und Kritik umzugehen, sei „am Anfang natürlich wahnsinnig schwer“. Am wichtigsten sei es, „Strategien zu finden, um sich selbst anzunehmen und zu lieben. Wenn man mit sich zufrieden ist, strahlt man auch nach außen“. – „Aber auch wenn man nicht strahlt, ist es niemals ok, gemobbt zu werden“, sagt Lehel.

Lehel und Heinzmann strahlen längst beide. Heinzmann begann irgendwann, ihre Gefühle in Liedern auszudrücken. 2008 gewann sie einen Talentwettbewerb in einer Show von Stefan Raab, seitdem ist sie als Musikerin erfolgreich. Lehel hat Karriere als Fernsehmoderator, Komiker und Musiker gemacht, inzwischen hat er zwei Bücher über Mobbing geschrieben, sein Anti-Mobbing-Präventionsprogramm für Grundschulen ist das erste seiner Art in Deutschland.

Wichtig: sich anderen anvertrauen

Natürlich sei es schwer, Mobbingerfahrungen in Stärke zu verwandeln, sagt er. Wichtig sei es, sich anderen anzuvertrauen. Und: sich nicht entmutigen zu lassen. „In schweren Momenten hilft auch mal der Gedanke: Es ist nur eine Phase, es geht vorbei“, sagt Lehel. „Jeder ist richtig, wie er ist. Es gibt keinen Grund, Mobbing zu rechtfertigen oder zu entschuldigen“ – obwohl auch er das als Opfer immer wieder getan habe. Niemand habe es jemals verdient, ausgeschlossen, bedroht oder verletzt zu werden. „Und niemand hat das Recht, andere schlecht zu behandeln."

Heinzmann und Lehel gehen jetzt raus und singen. „Denn du bist richtig!“, rufen sie ins Mikro. „Du bist wichtig! Kein doofes Gelaber mehr! Wie Du bist, bist Du legendär!“ Die Mädchen und Jungs vor der Bühne jubeln.