Niedriger RheinpegelBinnenschiffer: „Wir haben noch sechs bis acht Zentimeter Luft"
Köln – Damit ist jedes Klischee bedient: René Menssen (26) hat gerade das Deck geschrubbt und sich um den Rostschutz gekümmert. So kann man sich schon eine Weile beschäftigen. Auf einem Tankmotorschiff, das 110 Meter lang und 10,50 Meter breit ist und so tief im Becken des Niehler Hafens liegt, dass man die in die Kaimauer eingelassenen Eisensprossen fast bis auf die letzte hinabsteigen muss, um an Bord zu gelangen.
Es ist Dienstag, halb zehn, der Steuermann der „Auriga“ kippt frischen Kaffee in seinen Becher. „Kein Problem. Wir haben Zeit“, antwortet Schiffsführer Steffen Beier (43) auf die Frage nach den Folgen des Niedrigwassers auf dem Rhein und dreht den wuchtigen Ledersessel im Führerhaus zum Ecktisch.
Statt 2600 Tonnen können nur 550 geladen werden
Sein Schiff transportiert Natronlauge im Charterverkehr ausschließlich für den Chemieriesen Covestro von den Ladestellen in Uerdingen, Dormagen und Leverkusen bis nach Rotterdam. Dort wird die Ladung gelöscht und weiter verschifft - vor allem nach Großbritannien.
Wäre es ein normaler Sommer, könnte Schiffsführer Beier die Edelstahltanks im Bauch der „Auriga“ mit 2624 Tonnen Natronlauge füllen. Jetzt werden es maximal 550 sein. Und das auch nur, falls Covestro möglichst bald einen neuen Transportauftrag erteilt.
Wegen des Niedrigwassers hätten die Werke die Produktion heruntergefahren, weil niemand garantieren könne, wie lange das noch gutgeht mit den Transporten auf dem Rhein, sagt Beier. Natronlauge ist ein Grundstoff für die Herstellung von Chemiefasern und Farbstoffen, von Waschmitteln und Spülmaschinentabs. Müssen die Briten bald alle mit der Hand spülen?
Schiffsführer ist für die Zuladung allein verantwortlich
Beier muss schmunzeln. Das werde sich wohl abwenden lassen. Doch für die Crew der „Auriga“, die es gewohnt ist, in 14-Tages-Schichten mit jeweils vier Mann Besatzung im 24/7-Rhythmus unterwegs zu sein, ist das extreme Niedrigwasser „schon anstrengend“, sagt er.
Der Schiffsführer allein trägt die Verantwortung für die maximale Zuladung. „Wir warten ab, bis sich Covestro meldet. Dann können wir auf den Steiger fahren und laden so viel, wie ich verantworten kann. Die letzte Instanz bin immer noch ich. Wir haben hier einen Stabilitätsrechner an Bord. Ich gebe die Dichte der Lauge ein, mache die Räume voll und sehe dann sofort, wie tief das Schiff liegt.“
Der Rheinpegel in Köln liegt am Dienstagmorgen bei 71 Zentimetern. Für den für die Schifffahrt besonders wichtigen Pegel in Kaub zwischen Mainz und Koblenz ist er nach Angaben der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes im Vergleich zu Montag zwar auf 33 Zentimeter gestiegen, doch eine Trendwende ist nicht in Sicht.
Dieser Stand zeigt nicht die tatsächliche Wassertiefe an. Sie betrug in Kaub genau 1,44 Meter. Die „Auriga“ hat einen Mindesttiefgang von 1,50 Meter. „Da kämen wir selbst leer nicht mehr rüber“, konstatiert Steuermann Menssen nüchtern. Stromabwärts könnte es noch ein paar Tage gutgehen.
Drehen auf dem Rhein wird immer schwieriger
Schiffsführer Beier schätzt, dass die „Auriga“ noch sechs bis acht Zentimeter Luft hat, bevor sich die Fahrt nach Rotterdam nicht mehr lohnt, weil die Zuladung zu gering wäre. Unter Druck setzen lässt er sich nicht. Als Angestellter einer Reederei und im Charterdienst für ein Großunternehmen, spiele die Zuladung für ihn auch keine Rolle. „Wenn ich sage, ich fahre jetzt gar nichts mehr, muss das so hingenommen werden.“
Schon jetzt kann die „Auriga“ von der Ladestelle Leverkusen nicht mehr direkt zu Tal nach Rotterdam fahren, sondern muss erst stromaufwärts bis zum Niehler Hafen und dort drehen. „Das Rückwärtsmachen funktioniert nicht mehr. Wir können mit dem Bugstrahlruder nicht mehr richtig arbeiten“, sagt sein Steuermann. „Das Schiff würde beim Wenden den Rheinboden ansaugen und den Propeller zerstören. Wir würden ins Land laufen und dann wäre Feierabend.“
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Unter ihrem alten Namen „Waldhof“ hat die 30 Jahre alte „Auriga“ auf dem Rhein im Januar 2011 eine Katastrophe ausgelöst. Als der Kapitän unterhalb der Loreley in die scharfe Kurve ging, kenterte das Schiff, trieb etwa zwei Kilometer stromabwärts und kollidierte dort mit einem entgegenkommenden Tankmotorschiff.
Zwei Matrosen kamen damals ums Leben. Der Rhein war 32 Tage lang gesperrt. Der Tanker war, so das Oberlandesgericht in seinem Urteil fast sieben Jahre später, um 633 Tonnen über- und zudem noch falsch beladen.
Binnenschiffer Beier hat das zum Glück nicht miterleben müssen. „Man hatte damals keine Beladungsrechner. Verschiedene Faktoren haben damals eine Rolle gespielt. Ein Schiff kippt nicht mal eben so um.“
Extreme Niedrigwasser hingegen hat er schon öfter meistern müssen, zuletzt 2018 und 2020. Gefährlich sei das nicht, aber sehr anstrengend. „Unter solchen Bedingungen macht das Fahren keinen Spaß mehr“, sagt er. Vor allem Begegnungen von tal- und bergwärts fahrenden Schiffen seien nervenaufreibend.
„Wenn wir Tal fahren und es kommt uns ein Bergfahrer entgehen, der ja auch das tiefere Wasser nutzen will, begegnet man sich dicht an dicht. Dann ziehen die beiden Schrauben sich gegenseitig das Wasser weg. Da kann es schnell passieren, dass man auf einem Dreckhaufen landet. Auch wenn uns das noch nicht passiert ist.“
Noch am Sonntag sei er hinter einem Camaro-Verband hergefahren, 145 Meter lang, 22,80 Meter breit, bei normalen Wasserständen beladen mit Hunderten Seecontainern, die bis zu 12.000 Tonnen schwer seien, sagt Beier.
Steuermann macht gerade sein Rhein-Patent
Steuermann Menssen ist der Respekt vor solchen Pötten deutlich anzumerken. „Das sind Riesenteile. Bei der Talfahrt braucht so ein Verbund die gesamte Breite des Rheins. Da musst du vor dem Bogen warten.“
Er stammt aus einer Binnenschiffer-Familie. „Mein Onkel hat noch ein eigenes Schiff, auf dem mein Vater als Angestellter fährt. Die haben nicht den Luxus, dass sie alle 14 Tage nach Hause kommen. Die kommen nach Hause, wenn sie gerade Zeit haben. In den letzten drei Monaten waren das zwei Tage.“ Nur noch einer von zehn Binnenschiffern arbeitet als Partikulier, der sich seine Aufträge auf dem freien Markt suchen muss.
Menssen fährt seit zwei Jahren auf dem Rhein, um dort sein Schiffsführerpatent zu machen, das dann für alle großen Flüsse mit Ausnahme der Elbe gilt. Achtmal müsse er dafür den Rhein rauf und runter fahren, um Deutschlands wichtigste Wasserstraße richtig kennenzulernen.
Niedrigwasser sei „das richtige Wasser zum Lernen“, sagt er. „Weil man jetzt alle Tücken sehen und erfahren kann. Wenn wir nach Rotterdam fahren, werde ich meinen Rheinatlas aufklappen, kann alles richtig schön sehen und einzeichnen.“
Wenigstens einer, der dem Extrem-Niedrigwasser etwas Positives abgewinnen kann.