AboAbonnieren

„Endlich wieder konzentriert lernen“Immer mehr Kölner Schulen verbannen Handys aus dem Klassenzimmer

Lesezeit 7 Minuten
Schülerinnen und Schüler legen ihr Handy in einen Schrank.

In der Gutenberg-Realschule in Godorf legen Elif, Hama, Rania, Adriano und Vanessa jeden Morgen ihr Smartphone in das „Handyhotel“.

Suchtfaktor Smartphone: Was Schüler, Eltern und Lehrer vom Handy-Bann halten und warum die Stadt Solingen sogar noch mehr plant.

Wenn in der Johannes-Gutenberg-Realschule in Godorf die erste Stunde beginnt, geht in jeder Klasse erst mal ein Metallschrank auf. Dort wartet das Handyhotel auf die Smartphones. Das ist eine eckige Plastikbox mit 30 schmalen Fächern, die mit den Namen der Schüler beschriftet sind. Hier legen alle vor dem Unterricht ihre Handys rein. Dann wird der Schrank abgeschlossen. Erst wenn der Schultag zu Ende ist, werden die Geräte wieder ausgehändigt.

„Klar ist das aufwändig, so etwas einzuführen“, sagt Schulleiter Andreas Koch. Es habe Energie und Zeit gekostet, ein Konzept zu entwickeln und die Diskussion mit der Schulgemeinde zu führen, damit am Ende auch alle mitziehen. „Aber wir fanden das wichtig. Meiner Ansicht nach ist es fahrlässig, das Thema Handynutzung nicht als Schule anzugehen.“

Stetig sinkende Konzentrationsfähigkeit

Denn was Koch und sein Kollegium beobachteten, bestätigen alle Schulleitungen, mit denen der „Kölner Stadt-Anzeiger“ das Thema besprochen hat: Die Konzentrationsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler sinkt stetig. Lehrkräfte beobachten auch aufgrund der langen Nutzungszeiten außerhalb der Schule ein Suchtverhalten bei einer wachsenden Zahl von Schülerinnen und Schülern. Fokussierter Unterricht ist immer schwieriger möglich, die Ablenkung liegt stets griffbereit.

Hände verbringen Mobiltelefone in eigens für die Geräte bereitstehenden Boxen.

Ein solches „Handyhotel“ gibt es in der Godorfer Realschule in jedem Klassenschrank.

Zahlreiche Schulen reagieren auf diese Entwicklung, indem sie per Schulordnung die Handynutzung verbieten. Ein Problem aber bleibt: Das Verbot konsequent durchzusetzen, wenn die Handys in der Hosentasche oder in der Schultasche griffbereit sind, ist bei Klassen von bis zu 30 Kindern quasi unmöglich. Oft liegen die Geräte sichtgeschützt hinter den Mäppchen oder auf den Knien. Im Unterricht wird gezockt oder TikTok-Videos geschaut. Die Smartphones stecken im Socken, um beim Gang zur Toilette mal rasch die Nachrichten zu checken.

Die einzig verlässliche Methode ist, die Handys für den Schultag einzusammeln oder sie wegschließen zu lassen. Das Handyhotel wurde in Dänemark entwickelt. Es ist in Schulen in Skandinavien, in Großbritannien und den USA erfolgreich im Einsatz. Dabei ist bemerkenswert, dass gerade in Dänemark, das als Spitzenreiter bei der Digitalisierung im Unterricht gilt, das Bildungsministerium den Schulen empfohlen hat, die Smartphone-Nutzung wegen der hohen Ablenkungsgefahr zu verbieten.

Handyhotels sind in Skandinavien weit verbreitet

„Holt euch das Klassenzimmer zurück“, schrieb Bildungsminister Matthias Tesface im Frühjahr an die dänischen Schulen und empfahl die Einführung handyfreier Schulen. Er reagierte damit auf die aktuelle Pisa-Studie, die bei den Schülerinnen und Schülern abgefragt hatte, ob sie sich durch ihre digitalen Geräte im Unterricht abgelenkt fühlen. Ein Drittel der dänischen Schüler bejahte das. Außerdem gaben über die Hälfte an, ängstlich oder nervös zu sein, wenn digitale Geräte nicht in ihrer Nähe sind – zeigten also Anzeichen psychischer Abhängigkeit.

Das NRW-Schulministerium setzt bei der Diskussion über Handyverbote im Schulalltag allerdings auch künftig auf die Eigenverantwortung der Schulen statt auf eine zentrale Regelung. Die 5500 NRW-Schulen sollen mit ihren Schulkonferenzen, in denen neben den Schulleitungen auch Vertreter von Lehrern, Eltern und Schülern sitzen, individuelle Lösungen für die Handynutzung beschließen.

In der Godorfer Realschule war es ein langer demokratischer Prozess bis zum Votum der Schulkonferenz. Am Ende haben Eltern, Schulleitung und Lehrkräfte dafür gestimmt, die Schülervertretung stimmte dagegen. „Aber wir haben uns in den Debatten ernst genommen gefühlt“, erzählt Schülersprecherin Elif (15) aus der 10. Klasse. Sie stört, dass die Regelung auch für die Neunt- und Zehntklässler gilt. Sie hält diese „entmündigende Vorgabe“ für nicht altersgerecht. Trotzdem hätten alle die Entscheidung mitgetragen, als die Regelung mit Beginn des Schuljahres eingeführt wurde, sagt sie.

Auf dem Schulhof beobachten die Zehntklässlerinnen Elif und Rania seither, dass sich etwas verändert hat: „Gerade die Jüngeren spielen wieder miteinander. Fangen, Laufspiele und so was. Alle sind viel mehr in Bewegung oder hocken im Gespräch miteinander zusammen“, erzählt Rania. Auch die Ausleihe von Gesellschaftsspielen, die sie parallel als Angebot wieder reaktiviert haben, boome, sagt Schulleiter Koch. Und die Lehrkräfte würden ihm erleichtert berichten, dass konzentrierter Unterricht wieder viel besser möglich sei.

Drei Frauen stehen vor gelben Spinden.

Im Gymnasium Neue Sandkaul kommen die Handys in den Spind: Schulleiterin Kristina Kop-Weiershausen, Elternvertreterin Silvia Rick und Oberstufenschülerin Lilli Eichstädt finden das gut.

Während Schulen wie die Gutenberg-Realschule und auch das Dreikönigsgymnasium in Bilderstöckchen gerade erst mit den Handyhotels starten, blicken sie im Gymnasium Sandkaul in Widdersdorf bereits auf jahrelange Erfahrung zurück. Schon seit Gründung der Schule 2018 setzt Leiterin Kristina Kop-Weiershausen auf ein konsequent umgesetztes Handynutzungsverbot. In der Schule hat jede Schülerin einen Spind auf dem Flur. Dort muss das Handy vor der ersten Stunde eingeschlossen werden. Medienerziehung, das war Kop-Weiershausen wichtig, sollte ein zentraler Baustein an ihrer Schule werden. Dazu gehört für sie sowohl mündige Mediennutzung zu vermitteln als auch den Rahmen für fokussiertes, konzentriertes Arbeiten zu ermöglichen. Ihr Vorteil: Da sie als digitale Schule über eine 1:1-Ausstattung mit iPads verfügt, waren die Smartphones von Anfang an verzichtbar.

Eine solche 1:1-Ausstattung müsste es für alle Kölner Schulen geben, damit es mit dem Handynutzungsverbot auch organisatorisch einfacher wird, wünscht sich Schulleiter Koch. An seiner Schule gibt es die noch nicht. Sie arbeitet – wie die Mehrzahl in Köln – mit Klassensätzen, die die Lehrkraft für die einzelnen Stunden reservieren muss. Das macht digitalen Unterricht ohne Handy komplizierter und bedeutet viel Planung.

Handys dürfen bei Klassenfahrten nicht mit

Auch bei anderen Schulneugründungen – wie etwa am Deutzer Gymnasium Brügelmannstraße, das im Sommer an den Start geht – werden Mobiltelefone in die Spinde verbannt. Es sei wichtig, den Kindern auf diese Weise das Fokussieren zu erleichtern, erläutert der kommissarische Schulleiter Marcel Sprunkel. „Wir merken doch schon an uns Erwachsenen, wie schwer das ist, nicht draufzuschauen, wenn das Handy in der Hosentasche greifbar ist.“ Auch seine Schule wird mit einer 1:1-Tablet-Ausstattung starten.

Am neuen Gymnasium Neustadt-Nord sollen Handy-Taschen mit Magnetverschluss angeschafft werden, die die Schüler in ihren Schultaschen behalten können. Der Magnet verschließt morgens die Hülle, das Telefon ist unzugänglich wie in einem Safe. Der Magnet kann nur mit einem Gegenstück am Ende des Schultags von den Lehrern wieder geöffnet werden. So entfällt die Haftungsfrage und die Kosten sind mit zehn Euro pro Schuljahr überschaubar.

Am Gymnasium Neue Sandkaul müssen die Handys auf den Klassenfahrten ganz zu Hause bleiben. „Wer sein Smartphone trotzdem dabei hat und erwischt wird, für den ist die Fahrt beendet“, sagt Schulleiterin Kop-Weiershausen. Sie hält klare Regeln und Konsequenz beim Thema Handy für zentral. Zudem ist sie fest vom Wert der so gewonnenen analogen Zeit überzeugt, die die Kinder miteinander verbringen. Eine Selbsterfahrung, die im Alltag sonst überhaupt nicht mehr möglich sei. Die Kommunikation mit den Eltern laufe während der Fahrt über die Klassenlehrerin, so dass keiner sich um sein Kind Sorgen machen müsse.

Mir fällt es auch in meiner Freizeit nicht schwer, das Smartphone wegzulegen. Ich nutze das Handy sehr bewusst.
Lilli Eichstädt, Oberstufenschülerin am Gymnasium Neue Sandkaul

Eine Regelung, die im Vorfeld der Fahrt bei den neuen 5er-Eltern regelmäßig für Diskussionen sorgt, weil viele das als Kontrollverlust empfinden. Auch ihr sei das damals bei der Fünftklässlerfahrt ihrer Tochter schwergefallen, gibt Elternvertreterin Silvia Rick zu. „Aber sie kam total glücklich von der Fahrt zurück.“ Es sei eine tolle Erfahrung gewesen. Heute zeigt sich Rick sehr überzeugt von dem Konzept.

Silvia Rick sagt, sie sei als Mutter dankbar, dass die Schule im Hinblick auf die Handynutzung so konsequent agiere. Sie merke, dass das den Umgang ihrer Tochter mit dem Smartphone auch außerhalb der Schule positiv präge. Ihr Sohn besuche eine Schule mit anderer Handy-Politik – so habe sie den Vergleich.

Lilli Eichstädt ist Schülersprecherin am Gymnasium Neue Sandkaul. Die 17-Jährige war im ersten Fünftklässlerjahrgang und geht jetzt in die Oberstufe. Sie sei im Rückblick „ziemlich froh“, dass die Regeln an ihrer Schule so klar sind. Ihr habe es geholfen, einen gesunden Umgang mit dem Handy zu verinnerlichen. „Mir fällt es auch in meiner Freizeit nicht schwer, das Smartphone wegzulegen. Ich nutze es sehr bewusst.“ Freundinnen von ihr aus anderen Schulen „hängen einfach sehr viel mehr am Handy als ich“.

In Solingen wird Social Media für alle Fünftklässler verboten

Aber ihre Schulleiterin betont, dass die Schule die Medienerziehung nicht allein leisten könne. Denn auch die Folgen der privaten Handynutzung von Cybermobbing bis zu Verstößen gegen die Privatsphäre wirkten sich aus. Sie sieht die Eltern mit in der Pflicht. „Wir bilden das Kollegium ständig fort, behandeln das Thema in der Klassenlehrerzeit und an unseren Medientagen, bieten Infotage für Eltern. Aber am Ende haben wir einen gemeinsamen Erziehungsauftrag.“

Genau in diesem Sinne geht jetzt Solingen bundesweit voran: Dort haben alle weiterführenden Schulen mit Elternvertretungen und den städtischen Schulpsychologen ein deutschlandweit einzigartiges Bündnis geschmiedet: Sie wollen alle Fünftklässler so lange wie möglich von Instagram, TikTok und Snapchat fernhalten. Ab dem kommenden Schuljahr sind soziale Medien für die fünften Klassen verboten. Alle 42 weiterführenden Schulen machen mit. Der schulpsychologische Dienst hat das Projekt angestoßen. Die Idee: Wenn alle mitmachen, entfällt der soziale Druck.