Kölner Infektiologin im Interview„Festivals würde ich nicht unbedingt empfehlen“
- Clara Lehmann ist Professorin und Infektiologin an der Uniklinik Köln.
- Im Interview spricht sie über Festivalbesuche während der Pandemie, vierte Impfungen und erklärt, wieso sie für die Wiedereinführung der Maskenpflicht in Supermärkten plädiert.
Frau Professor Lehmann, die Zahlen steigen wieder. Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat eine vierte Corona-Impfung für alle Menschen empfohlen, die zur Risikogruppe gehören. Wie sehen Sie das?
Lehmann: Ich halte eine weitere Impfung für sinnvoll. Einem dreimal geimpften Menschen, der zur Risikogruppe gehört und sich Sorgen wegen der Sommerwelle macht, würde ich auf jeden Fall jetzt zur vierten Impfung raten. Wir erwarten aber auch, dass die Influenza-Zahlen im Herbst sehr ansteigen stark werden. Deshalb ist es vielleicht auch sinnvoll zu sagen: Wir kombinieren bei nicht-Risikogruppen die vierte Impfung im Spätsommer oder Herbst mit der Influenza-Impfung.
Was empfehlen Sie dreimal geimpften Menschen, die Omikron bereits im Winter hatten?
Da würde ich auch zwischen Risikogruppen und immunkompetenten Menschen unterscheiden. Immunkompetenten Menschen rate ich: Lasst euch im Spätsommer oder Herbst nochmal impfen. Bei Risikopatienten rate ich jetzt zur einer vierten Impfung.
Wie stehen Sie zu einer Wiedereinführung der Maskenpflicht in Geschäften?
Das sehe ich ganz pragmatisch: Die Maske ist eine Maßnahme, die total wirksam ist, die nicht viel kostet und sehr einfach ist. Deshalb bin ich dafür – auch wenn ich weiß, dass ich mir damit nicht viele Freunde mache.
Der Sommer beginnt mit vielen Festivals: Rock am Ring ist schon vorbei, am Donnerstag beginnt das Hurricane-Festival. Ist es angesichts der Sommerwelle vertretbar, solche Veranstaltungen zu besuchen?
Ich würde es nicht unbedingt empfehlen. Aber natürlich verstehe ich, dass die Menschen gerne wieder auf Festivals gehen möchten, meistens sind es ja auch eher junge Leute. Solche Veranstaltungen wieder abzusagen fände ich schwierig, das würde auch zu Widerständen in der Bevölkerung führen. Aber man muss das Bewusstsein wieder dahingehend schärfen, dass Corona nicht vorbei ist. Es ist keine harmlose Erkältung, sondern eine Erkrankung mit möglicherweise längerfristigen Auswirkungen wie dem Post-Covid-Syndrom. Das muss man sich bewusst machen.
Inwiefern müssen wir unser Verhalten dieser neuen Sommerwelle anpassen?
Eigentlich wissen wir ja längst, wie wir uns verhalten sollten. Sobald man symptomatisch ist, zieht man sich zurück, die Gruppen, in denen man sich trifft, sollten nicht zu groß sein. Wir kennen diese Maßnahmen alle, aber wir haben keine Lust mehr. Zwar hat sich das Virus verändert, es ist nicht mehr so aggressiv, wie es mal war und die Immunität in der Bevölkerung ist deutlich höher. Aber so sehr wir es uns wünschen: Die Pandemie ist noch nicht vorbei.
Der Virologe Hendrik Streeck befürchtet, dass die Fußball-WM im Herbst zum Superspreader-Event werden könnte. Wie sehen Sie das?
Das wird natürlich ein Problem. Wir sehen ja gerade: Es ist Sommer, die Leute sind draußen und die Zahlen steigen trotzdem. Im Herbst wird das noch schwieriger werden. Aber was wir aus der Pandemie gelernt haben ist auch: Wir wissen nicht, wie die Lage in sechs Monaten sein wird.
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A propos Fallzahlen: Viele Menschen, die einen positiven Selbsttest haben, machen gar keinen PCR-Test oder Schnelltest mehr, meist isolieren sie sich selbstständig. Inwiefern sind die Zahlen, die wir derzeit haben, überhaupt aussagekräftig?
Das ist tatsächlich ein riesiges Problem: Wir wissen in Deutschland nicht mehr, wie viele Menschen infiziert sind und haben eine sehr, sehr hohe Dunkelziffer. Die Hospitalisierungsrate ist dagegen nach wie vor aussagekräftig. Auch die Krankmeldungen könnte man zur Rate ziehen.