Der Film „Deutschlandlieder – Almanya Türküleri“ dokumentiert das Leben türkeistämmiger Musiker in Deutschland. Nedim Hazar hat Regie geführt, sein Sohn Eko Fresh ist einer der Protagonisten.
Film „Deutschlandlieder“Eko Fresh und sein Vater Nedim Hazar über Rassismus und Parallelwelten
Ihre Konzertreihe „Deutschlandlieder – Almanya Türküleri“ mit Liedern und Geschichten verschiedener Generationen ist ein Kaleidoskop der Geschichte der Türkeistämmigen in Deutschland. Von Berlin bis Istanbul wurden die Auftritte gefeiert. Jetzt kommt der Dokumentarfilm dazu in die Kinos. Wie kam es zu dem Projekt?
Nedim Hazar: Deutschlandlieder – Almanya Türküleri ist eine Musikgattung, die es gibt, seit die ersten Menschen vor mehr als 60 Jahren aus der Türkei nach Deutschland gekommen sind – und ihre Lieder von Liebe, Heimat, Sehnsucht oder Rassismus, auf Türkisch oder Kurdisch gesungen haben. Die Idee zur Konzertreihe kam nach einem Gespräch mit Imran Ayata, der 2013 das Kultalbum „Songs of Gastarbeiter“ veröffentlicht hatte und meinte: Ein Buena-Vista-Social-Club für türkische und kurdische Musik aus Deutschland, das wäre genial. Ich habe in meiner Musik immer thematisiert, was Ausländer in Deutschland beschäftigt – also haben wir das gemacht!
In den Songs in „Deutschlandlieder“ geht es viel um Zerrissenheit zwischen den Welten. Was sind Lieder aus Ihrem Leben, mit denen Sie spontan viel verbinden?
Nedim Hazar: Ich denke sofort an das Stück „Liebe Gabi“ von der Gruppe Derdiyoklar: eine Liebesgeschichte zwischen einem türkeistämmigen Mann und einer deutschen Frau – das Lied kommt auch im Buch Deutschlandlieder und im Film vor. „Helmut Kohl und auch Strauss liebe Gabi – Wollen Ausländer raus – liebe Gabi“ – singen sie da, auf Deutsch und Türkisch.
Eko Fresh: Ein Lied, das uns beide verbindet, ist „Köln-Kalk-Ehrenmord“. Auf den Text bin ich gekommen, als ich auf Platten nach Samples gesucht habe – auf einer alten Platte von Papas Band Yarinistan habe ich den Song „Max und Gülistan“ gefunden – so habe ich dann das Mädel und den Jungen in „Köln-Kalk-Ehenmord“ genannt.
Nedim Hazar: Bei mir ist „Max und Gülistan“ ein Liebeslied, das gut ausgeht, obwohl das Mädchen einem jungen Mann in der Türkei versprochen ist. Wir singen es auch in „Deutschlandlieder“.
In Ihrer Geschichte geht es nicht gut aus, Eko …
Eko Fresh: Nein. Ich habe dann aus der Grundgeschichte von Papas „Max und Gülistan“ meine Version geschrieben, die eine gesellschaftliche Bedeutung hatte, über die ich mir beim Schreiben gar nicht so bewusst war. Als ich fertig war, dachte ich: Oh, das ist etwas Besonderes – und dann ging es auch ziemlich ab.
„Köln-Kalk-Ehrenmord“ wurde millionenfach gehört, unter dem Video auf Youtube gibt es Tausende Kommentare, viele lobende, aber auch Kritik, Drohungen…
Eko Fresh: Es gab eine riesige Welle, der ich teilweise nicht mehr gewachsen war. Ich sollte ständig Interviews geben und galt plötzlich als Experte für Ehrenmord – das war schon komisch. Mich hat das auch überfordert: Ich wollte ja nie Politiker sein oder so. Aber das Lied hatte einen Nerv getroffen.
Nedim Hazar: „Max und Gülistan“ war unser Vorzeigestück. Das war 1987, 1988 haben wir dann gesungen: „Zigeuner sind lustig, Türken sind froh“ gesungen, „sie trinken viel Raki und putzen das Klo“. Ein bisschen den Rassismus der Deutschen durch den Kakao gezogen – fanden wir lustig, aber längst nicht alle.
Eko Fresh: Das könnte man heute auch so nicht mehr singen. Und das ist auch gut so!
Nedim Hazar: Das durfte man damals auch nicht. Es ging nämlich noch weiter mit einer deftigen Kritik an Deutschland.
Wie waren die Reaktionen?
Nedim Hazar: Sehr gemischt. Im Südwestfunk kam das Lied in eine Bestenliste, in Thüringen wurden wir von einer Bühne gebuht. In Deutschlandlieder singe ich „Max und Gülistan“, das Lied wird abgeschnitten, bevor wir auf die Brandanschläge von Solingen, Mölln und Rostock kommen. Die Anschläge auf Asylbewerberheime waren das Ende der Band Yarinistan – so eine Liebesgeschichte mit Happy End, das passte nicht mehr.
20 Jahre später brennen in Deutschland weiterhin ständig Asylbewerberheime, die AfD liegt in Umfragen bei mehr als 20 Prozent. Was ist aus Ihrer Sicht schief gelaufen, dass wir noch immer über die gleichen Themen reden?
Nedim Hazar: Mich beängstigt die hohe Zustimmung für die AfD – leider ist es ein allgemeines Phänomen, dass rechtsradikale und nationalistische Parteien hohe Wahlergebnisse erzielen – in Frankreich, Italien, den USA, Türkei, Ungarn. In Deutschland sehe ich, dass die Wiedervereinigung nicht vollendet ist.
Eko Fresh: Mich bedrückt das auch. Andererseits versuche ich, positiv zu bleiben. Es ist eine Zeit, in der viele Menschen verunsichert sind. Bei linker Politik geht es oft ums Abgeben oder einen moralischen Zeigefinger: Kümmere dich um die Natur, gib etwas von deinem Wohlstand ab, sei offen für Zuwanderung und so etwas. Der Zeitgeist ist eher günstig für rechte Ideen: Wir sorgen dafür, dass du etwas kriegst, dass alles beim Alten bleibt, Steuern sinken, weniger Ausländer ins Land kommen. Das ist dieses Nationalismus- und Populismusthema, das leider gut funktioniert gerade. Ich bin nur Künstler und kann mich dazu positionieren.
Sie können damit viele Menschen erreichen. Im Lied „Aber“ rappen ein AfD-Wähler und ein Deutsch-Türke, aggressiv, gehen aufeinander los – Sie versuchen, zu vermitteln. Kann Musik das?
Eko Fresh: Es gibt keine so große Superpower wie Musik, wo sich Menschen, die sich vielleicht nicht grün sind, danach in den Armen liegen – vielleicht noch Sport, Fußball, wenn man zusammen für einen Verein ist. Ob Musik auch die Gesellschaft verändert, ist eine andere Frage.
Nedim Hazar: Bei der Deutschlandlieder-Tour sind wir in kleiner Formation – mit sechs Leuten – im bayerischen Landtag aufgetreten. Der Innenminister war da und viele andere Landtagsabgeordnete. Nach dem Auftritt kam ein Politiker zu mir, lobte Atatürk, den Laizismus und erzählte mir dann etwas davon, dass wir ja ordentliche Migranten seien und viele andere nicht integrierbar sein. Er stellte sich als Vertreter der AfD vor. Ich dachte: Was will der von mir? Wie reagiere ich? Ich habe mich dann bedankt, war höftlich, und bin gegangen.
Das klingt souverän. Die Deutschlandlieder-Tournee ist in vielen Feuilletons gefeiert worden, der Bundespräsident hat Sie empfangen. Es blieb aber in der Bildungsbürger-Blase.
Eko Fresh: Es stimmt: Man erreicht mit anspruchsvollen Stücken oder Konzerten oft eher die Intellektuellen. Sollten wir es aber lassen, wenn es nicht alle erreicht? Den verschiedenen Generationen an türkeistämmigen Künstlern nochmal eine Bühne zu geben, sie ein bisschen bekannter machen? Wenn wir nur wenige erreichen, die vorher ein anderes Bild hatten, ist das ja schon etwas.
Deswegen greifen Sie Themen wie Herkunft, Rassismus oder oder Parallelgesellschaften immer wieder auf.
Eko Fresh: Ich mache das auf jedem Album in zwei, drei Songs. Es muss nicht mehr immer auf die Zwölf gehen. Auf meinem Album, das im Oktober rauskommt, geht es in einem Lied um einen Typen, der in einer deutschen Bio-Familie und in einer konservativen türkischen Familie jeweils an einem Mädel interessiert ist – was eigentlich lustig ist, aber auch schwierig…
Sie waren beide mit Ihrer Musik auch Revoluzzer: Rassismus gegenüber Türkeistämmigen war ein gemeinsames Thema, Parallelgesellschaften, die Wut, immer wieder Intoleranz zu begegnen. Wie hat sich Ihre Musik mit den Jahren geändert?
Nedim Hazar: Ich würde keine Slogans mehr in Liedern verwenden wollen. Es geht darum, Gefühle zu vermitteln. Ich möchte weiterhin die zerrissenen Türkeistämmigen ansprechen – aber nicht mehr Gefühle von Anderen verletzen.
Eko Fresh: Ich sehe mich als Repräsentant für jemanden, der es irgendwie geschafft hat, ich möchte junge Menschen empowern – mein Stichwort ist German Dream, wie ich auch mein Label genannt habe. Du kannst es schaffen, egal wie du aussieht, wo du herkommst. Das Polarisieren brauche ich auch nicht mehr so sehr – auch wenn es zur Kunst dazu gehört.
Nedim Hazar: Ekos Stück „Du bist anders“ in „Deutschlandlieder“ ist eines der wenigen Rap-Stücke, die je mit Streichern gespielt wurden. In Istanbul auf dem Filmfestivals hat das Lied Euphorie ausgelöst – weil Eko darin das Mädchen anspricht. Mach das, du schaffst das.
Haben Sie Ihren German Dream also gelebt?
Nedim Hazar: Natürlich, auch wenn es manchmal ein Alptraum war. Dass in der Kultur immer noch so wenige Migranten repräsentiert werden, finde ich allerdings traurig. In Berlin gibt es das diverse, multikulturelle und sehr erfolgreiche Gorki-Theater – so etwas fehlt in Köln sehr. Ich habe aber den Traum, dass sich das noch ändert.
Eko Fresh: Ich lebe das nach wie vor. Das Wort German Dream habe ich mit meinen Jungs übrigens in Kalk erfunden – und das erste Mal in einer Sendung mit Stefan Raab verwendet, da war ich 17. Inzwischen haben Christian Lindner und auch der Bundeskanzler schon von German Dream gesprochen. Ja: Man kann in Deutschland alles schaffen.
Nedim Hazar, geboren 1960 in Istanbul, ist Musiker, Autor, Filmemacher – und der Vater von Eko Fresh (40), bürgerlich Ekrem Bora, der seit 20 Jahren zu den erfolgreichsten deutschen Rappern gehört. Eko Fresh ist inzwischen auch als Schauspieler und Unternehmer erfolgreich. Sein neues Album „Ekskalibur“ erscheint am 13. Oktober.
Dokumentarfilm läuft auch in Köln-Ehrenfeld – Premiere in Berlin
Das Projekt „Deutschlandlieder – Almanya Türküleri“ umfasst eine Konzertreihe, ein Buch und einen Dokumentarfilm, der am 19. September in Berlin Premiere feiert. Nedim Hazar, Vater von Eko Fresh, machte sich anlässlich des 60. Gründungsjubiläums des deutschen Gastarbeiterabkommens mit der Türkei daran, die Idee eines „Buena-Vista-Social-Clubs von türkeistämmigen Musikerinnen und Musikern in Deutschland“ umzusetzen. Er versammelte viele der bekanntesten deutsch-türkischen Musikerinnen und Musiker wie den inzwischen verstorbenen Metin Türköz („Der türkische Willy Millowitsch“), Jazz-Sängerin Özay Fecht, die erste Rapgruppe von Türkeistämmigen Cartel, die Kölner Microphone Mafia oder seinen Sohn, den Rapper Eko Fresh, und ging mit ihnen auf Tournee. In Köln ist „Deutschland-Lieder – Almanya Türküleri“ am Donnerstag, 28. September, 19 Uhr, im Cinenova zu sehen. Am 28. Oktober zeigt 3Sat den Film, der auch in der 3Sat-Mediathek zu sehen sein wird, um 20.15 Uhr.