Köln – „Hör mir zu – Duy sesimi“ heißt der Titelsong dieses atemberaubenden Streifzugs durch die Geschichte türkischstämmiger Musikstars in Deutschland. Leider, sagt Nedim Hazar, Initiator der Konzertreihe „Deutschlandlieder“, die am Freitag im Bonner Opernhaus und am Samstag WDR-Funkhaus gastiert, habe es keinen passenderen Titel gegeben.
Hazar war ein Auslöser der AG Arsch huh
Hazar, Musiker, Filmemacher und Vater des Rappers Eko Fresh, ist einer der Auslöser der Arsch-huh-Initiative gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Als er nach Anschlägen von Neonazis auf Asylbewerberheime Anfang der 1990er Jahre seinen Kölner Musikerfreunden um Arno Steffen erzählte, dass er sich in Deutschland nicht mehr sicher fühle, initiierten die das legendäre Konzert mit 100 000 Menschen am Chlodwigplatz und in der Folge dutzende weitere Kundgebungen mit Musik – freilich meist, ohne Hazar und andere Musikerinnen und Musiker auf die Bühne zu bitten, um deren Geschichten es eigentlich ging.
Metin Türköz, eine lebende Legende
Hazar hat einen Termin mit Metin Türköz in einem Ehrenfelder Altenheim vereinbart. Türköz kennt außerhalb der türkischen Community niemand, in der Community ist er eine lebende Legende. Mit in Köln eingesungenen türkischen Volksliedern habe er „wahrscheinlich ungefähr eine Million Cassetten verkauft“, schätzt er.
Der heute 84-Jährige kam 1962 im Zuge des Anwerbeabkommens aus Istanbul nach Köln und lebte zunächst in einem Heim für so genannte Gastarbeiter in der Boltensternstraße, Toilette und Dusche auf dem Flur. Bei Ford habe er als gelernter Schlosser eine Mark weniger als die deutschen Arbeiter bekommen, sagt er. Darüber schrieb er irgendwann ein ironisches Lied und spielte dazu auf der Bağlama, einer Laute, die er aus der Türkei mitgebracht hatte. Am Tag der türkischen Republik wurde Türköz auf eine Veranstaltung des türkischen Konsulats eingeladen, um zu singen. „Unser Volksbarde ist da!“, hätten die Leute gerufen und ihn gefeiert. Seitdem habe er sich vor Auftrittsanfragen kaum retten können.
Eine Million verkaufte Platten
Nach fünf Jahren konnte Türköz bei Ford aufhören, seine Familie nach Köln holen und sich ganz der Musik widmen. 72 Singles und 13 Platten hat er veröffentlicht, mit Liedern auf Türkisch und Deutsch machte er sich zur „Stimme der türkischen Arbeiter in Deutschland“. Anfragen von deutschen Medien hatte er fast nie. Als sich Mitte der 1980er Jahre das Satellitenfernsehen verbreitete, wurde es still um Türköz. Er betrieb eine Obst- und Gemüseladen, später einen Imbiss und arbeitete an der Fleischtheke eines Supermarkts.
„Metin Türköz ist der türkische Willy Millowitsch – ich frage mich: Warum gibt es keine Metin-Türköz-Musikschule in Köln?“, sinniert Hazar, und gibt ein anderes Beispiel: 1974 habe Vicky Leandros ihren Hit „Theo wir fahrn nach Lodz“ 400.000 Mal verkauft. Ein Jahr später erschien „Beyaz Atlı“ von Yüksel Özkasap in Köln, der Titel verkaufte sich 800 000 Mal. Özkasap, die inzwischen zurückgezogen wie einst Marlene Dietrich lebt, kennt bis heute kaum jemand.
Auch die international erfolgreiche, in Berlin lebende Jazz-Sängerin Özay Fecht blieb in Deutschland unbekannt. Oder der Leverkusener Ozan Ata Catani, das erste Gastarbeiterkind, das Lieder auf Deutsch schrieb – und dessen Debütalbum „Warte mein Land, warte“ nun, mit 40 Jahren Verspätung auch dank der Aufmerksamkeit für das Projekt „Deutschlandlieder“ erschienen ist.
Sein bekanntestes Lied „Deutsche Freunde“, in dem Catani sich auf Max Frisch‘s Zitat „Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen“ bezieht, durfte er einst in „Bios Bahnhof“ im deutschen Fernsehen vorstellen – ein Erfolg, der allerdings keinen Plattenvertrag nach sich zog.
Vorbild Buena Vista Social Club
Viele dieser weithin unbekannten Stars hat Hazar für sein Projekt zusammengetrommelt. Der Jahrestag des Anwerbeabkommens zog Geldgeber an, das Auswärtige Amt organisierte, dass die Gruppe vergangene Woche in Istanbul auftrat. Hazar dreht nebenher einen Dokumentarfilm über die Geschichte türkischstämmiger Musik in Deutschland. Das Vorbild für seine Idee sei der Buena Vista Social Club mit den Altmeistern kubanischer Musik gewesen, sagt er.
Lieder von Fernweh, Ankommen und Rassismus
Von Fernweh, der Geliebten in der Heimat, den Arbeitsbedingungen und dem Leben in der Fremde erzählen viele der frühen Deutschlandlieder. Die nächste Generation sang vom Ankommen und der Liebe zu den Fremden. Nach den Brandanschlägen von Mölln und Solingen brachen wütende Hip-Hop-Songs durch.
Die Feststellung von Eko Fresh in seinem Hit Quotentürke - „Scheißegal, wie viel Kohle ich auch mache Ich bleib immer nur der Quotenkanacke“ – gelte leider bis heute, sagt Nedim Hazar, und erinnert an das Revival vom „Wetten dass?“ vergangene Woche: In der ersten Stunde habe er da nur blonde Deutsche gesehen, und irgendwann kam Udo Lindenberg. „Das war eigentlich eine Schande, oder?“
Ausstellung im Haus der Geschichte
60 Jahre nach dem Gastarbeiter-Anwerbeabkommen hat die Musik der Türkeistämmigen in Deutschland immerhin Konjunktur. Es gab einige Compilation-Alben, Feuilletons feiern die „Deutschlandlieder“ von Hazar und seinen 30 Musikerinnen und Musikern. In seiner Ausstellung „Hits und Hymnen“ präsentiert das Bonner Haus der Geschichte türkische Musikerinnen und Musiker neben Udo Lindenberg und Heino.
Da gehören sie auch hin, findet Ruddi Sodemann, gemeinsam mit Hazar künstlerischer Leiter von „Deutschlandlieder“. Sodemann beschäftigt sich seit Ende der 1970er Jahre mit türkischer und anderer orientalischer Musik. Es gebe „bis heute einen kolonialen Blick auf östliche Musik“, sagt er. Und setzt an zu einem Monolog über das westliche und das östliche Musiksystem, dass es im östlichen Hunderte von Tönen und eigentlich keine Akkorde gebe, die Theorie dahinter und auch die Ausbildung der Musiker weit komplexer sei als im westlichen – und sich der Westen erstaunlich wenig damit befasst habe.
Soddemann hat sich für das Lernen der Bağlama-Laute an rheinischen Musikschulen stark gemacht, inzwischen werde sie sogar gelehrt. Unwissen und Ignoranz östlicher Musik seien indes noch verbreitet. „Wir brauchen einen langen Atem, aber es tut sich etwas.“ „Hör mir zu – Duy sesimi“, es gilt weiter, in beide Richtungen.
Deutschlandlieder, Almanya Türküleri, Freitag, 12. November, 19.30 Uhr, Opernhaus Bonn. Samstag, 13. November, WDR-Sendesaal, Köln. Tickets im Vorverkauf über www.koelnticket.de