Die Landesregierung hat Arbeitgeber und Gewerkschaften zu einem Industriegipfel nach Düsseldorf geladen. Am Ende steht ein siebenseitiges Forderungspapier für Berlin.
Industriegipfel in DüsseldorfWas NRW von der neuen Bundesregierung fordert

Nach dem Treffen mit Industrievertretern traten Knut Giesler (IG Metall), Ministerpräsident Hendrik Wüst und Arndt Kirchhoff (Unternehmer NRW) vor die Presse.
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Die Schlagzeilen der Industrie hatten es allein seit Anfang der Woche in sich: Die Ford-Mutter in den USA kündigt die Patronatserklärung für das Kölner Werk auf, die Beschäftigten lassen ihrer Wut bei einer Betriebsversammlung freien Lauf. US-Präsident Donald Trump verschärft den Handelskrieg mit immer mehr Zollankündigungen. In Völklingen im Saarland demonstrieren 4000 Stahlarbeiter für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze. Continental treibt die Abspaltung seiner Autozulieferungssparte voran, ZF gliedert seine Antriebssparte aus. Europas Batteriehoffnung Northvolt beantragt Insolvenz.
Man muss kein Ökonom sein, um zu merken, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmt. Die Gewerkschaft der Metall- und Elektroindustrie, die IG Metall, beschreibt es mit simplen Worten: Es ist fünf vor zwölf. Die Arbeitnehmervertreter haben deshalb für Samstag bundesweit zu Demonstrationen aufgerufen, Start in Köln ist – genau, fünf Minuten vor zwölf. Allein in Köln erwartet die Bezirksvertretung NRW der IG Metall rund 15.000 Menschen, womöglich mehr nach den Ford-Schlagzeilen in dieser Woche. Der Ford-Betriebsratschef Benjamin Gruschka wird sprechen, der Betriebsratsvorsitzende von Thyssenkrupp entzündet die „Flamme der Solidarität“, die danach quer durch NRW getragen werden soll. Die Gewerkschaftler haben die Kölner Band Querbeat verpflichtet, um für Stimmung zu sorgen.
Impulspapier fordert günstige Energie
Und auch in der Düsseldorfer Staatskanzlei haben sich die Landespolitiker den Diensten der Industrie verschrieben. Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) hatte für Donnerstag zum Industriegipfel geladen, mit dabei waren hochrangige Firmenvertreter wie Bayer-Personalvorständin Heike Prinz, NRW-Arbeitgeberpräsident Arndt Kirchhoff und IG-Metall-Bezirksleiter Knut Giesler. Zu Beginn der Koalitionsverhandlungen in Berlin haben sie ihre gemeinsamen industriepolitischen Erwartungen formuliert. „Die künftige Bundesregierung muss der Industriepolitik absolute Priorität einräumen“, sagte Wüst.
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Als Ergebnis des Treffens in Düsseldorf steht ein siebenseitiger Forderungskatalog an die Verhandler in Berlin. Ein Auszug: Die Energie- und Gaspreise müssten runter, die Netzentgelte gedeckelt und die Stromsteuer gesenkt werden. Der Ausbau von wasserstofffähigen Gaskraftwerken und überhaupt der Aufbau einer Wasserstoff-Infrastruktur müsse schneller vorangehen. Alle Unternehmen in NRW sollten Zugang zum Wasserstoffnetz haben, um die Nachfrage anzutreiben, sollte es regulatorische oder wirtschaftliche Anreize geben.
Bereits jetzt sei absehbar, dass Deutschland und insbesondere Nordrhein-Westfalen den Großteil des Wasserstoffbedarfs über Importe werde decken müssen. Deshalb fordern die Unterzeichner, dass der europäische Energiebinnenmarkt stärker genutzt sowie internationale Energiepartnerschaften vorangetrieben werden. Auch der Bürokratie widmen sie ein eigenes Kapital: die Einführung eines Belastungsmoratoriums, also keine zusätzlichen bürokratischen Pflichten für Unternehmen ohne gleichzeitige Entlastung.
Industrie sorgt für Wohlstand in NRW
Zu besprechen gab es einiges: Die deutsche Industrie steht vor erheblichen Herausforderungen, vor allem durch gestiegene Energiepreise und Produktionskosten sowie globale wirtschaftliche Herausforderungen. Die Industrie in Nordrhein-Westfalen, geprägt durch energieintensive Unternehmen der Grundstoffindustrie, ist hiervon besonders betroffen. Gleichzeitig steht Nordrhein-Westfalen für eine starke industrielle Basis und ist damit zentral für den Wohlstand und die Innovationskraft in Deutschland, so beschreibt es die Landesregierung.
Die Situation für unseren Industriestandort ist ernst, und die neue Bundesregierung darf jetzt keine Zeit verlieren
Genau das ist die Krux. In einer Zeit, in der sich die Weltordnung neu zusammenfügt, in der einstige Vereinbarungen zwischen Staaten innerhalb von Sekunden aufgekündigt werden, sucht Deutschland seinen Platz in Europa und der Welt. „Unsere Stärke in Deutschland bestand immer in unserer wirtschaftlichen Kraft. Wir waren nie die militärische Supermacht, sondern immer eine Wirtschaftsmacht“, sagte Wüst am Donnerstag in Düsseldorf. „Die wirtschaftliche Stärke entscheidet auch darüber, welche Kraft Deutschland in einer sich neu herausbildenden Weltordnung hat, ob wir unsere Interessen und Werte vertreten können. Allein deshalb brauchen wir einen wirtschaftspolitischen Neustart.“
Die Basis stimmt
In all der herausfordernden Gemengelage betonen die Spitzenvertreter der Industrie auch immer wieder, dass die Basis im Land stimme. „Unsere industriellen Wertschöpfungsketten sind der alles überragende Standortvorteil von Nordrhein-Westfalen“, sagt Arbeitgeberpräsident Arndt Kirchhoff. „Stahl, Aluminium, Chemie, Glas, Zement, Papier, Gießereien, wesentliche Bereiche der Metall- und Elektroindustrie: Kein anderes Bundesland ist industriell so stark diversifiziert und breit aufgestellt.“
Es braucht Tempo, da sind sich alle einig. „Die Situation für unseren Industriestandort ist ernst, und die neue Bundesregierung darf jetzt keine Zeit verlieren. Wir brauchen endlich spürbare Entlastung bei den Energiepreisen, notwendige Impulse für die Transformation zur Klimaneutralität und ein klares Commitment für die Digitalisierung und Zukunftstechnologien, damit wir weiterhin wettbewerbsfähig sind“, sagt NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur.