Interview mit Christoph Kuckelkorn„Der Tod war früher ständig gegenwärtig“
- „Der Tod ist dein letzter großer Termin“ – So heißt das Buch von Christoph Kuckelkorn. Der Bestatter möchte mit dem Buch „einer Mischung aus Ratgeber, Sachbuch und Autobiografie, den Menschen meine Sicht auf den Beruf und auf den Tod nahebringen.“
- Denn er findet, das Leben kann viel zu schnell vorbei sein. Trotzdem soll das Buch Mut machen.
- Ein Gespräch über ein Leben als Bestatter, den Sarg als Statussymbol, wie der Tod seiner ersten Frau sein Leben massiv verändert hat und warum er eine Erdbestattung persönlich bevorzugt.
- Aus unserem Archiv.
Herr Kuckelkorn, Ihr Buch heißt „Der Tod ist dein letzter großer Termin“. Wieso schreibt ein Bestatter ein Buch?
Ich habe immer wieder gehört, dass die Menschen ein sehr großes Interesse an meinem Beruf haben und ganz wenig darüber bekannt ist. Viele tragen ihre Fragen ein Leben lang mit sich herum, ohne sie loszuwerden. Ich wollte in diesem Buch, einer Mischung aus Ratgeber, Sachbuch und Autobiografie, den Menschen meine Sicht auf den Beruf und auf den Tod nahebringen.
Ich lebe damit sehr leicht und sehr gut und denke, es ist sinnvoll, etwas von dieser Erfahrung weiterzugeben. Meine ständige Nähe zum Tod führt dazu, dass ich sehr bewusst lebe. Mir ist klar, wie verletzlich das Leben ist, dass es jeden Tag vorbei sein kann. Unfall, Herzinfarkt. Heute ist heute, morgen ist vielleicht. Das verdrängen viele Menschen. Das Buch soll Mut machen, sich an das Thema dran zu trauen.
Das Autobiografische soll die Hemmschwelle senken?
Genau. Es ist einfacher, meinen Gedanken zu folgen, wenn man mit mir durch mein Leben geht. Wie ist das als Kind, in einem Bestattungshaus aufzuwachsen? Hattest du da nie Probleme mit? Das erklärt vieles.
Die Liebe zum Beruf ist dabei wichtig?
Klar, ich muss rund um die Uhr bereit sein. 24 Stunden, an sieben Tagen die Woche, an 365 Tagen im Jahr. Der Tod kennt keine Unzeit. Bei mir muss nicht nur die Familie damit klarkommen, sondern auch der Karneval: Der Beruf geht vor. Wenn mich bei einem Sterbefall eine Familie braucht, bin ich da, selbst wenn Fernsehsitzung wäre.
Christoph Kuckelkorn, 1964 in Köln geboren, ist Bestattermeister, Thanatopraktiker und führt in der fünften Generation eines der ältesten Bestattungsunternehmen Deutschlands. Unter anderem führte er die Bestattungen von Willy Millowitsch oder Guido Westerwelle durch.
Ehrenamtlich ist er Mitglied des internationalen Helferteams Deathcare. Kuckelkorn ist Blauer Funk, war Leiter des Rosenmontagszuges und ist Präsident des Festkomitees Kölner Karneval.
Man muss mit Back-Ups arbeiten. Ich habe immer genügend Menschen um mich herum, die mich vertreten könnten, die das Verständnis für den Beruf mitbringen. Ich muss immer einen Plan B haben. Ein Anruf, und alle Pläne für die Woche ändern sich. Aber das hat mein Umfeld mittlerweile auch verinnerlicht, von daher passt das gut. Und ich komme da sehr gut mit klar, dieses Feuerwehrleben ist ja auch reizvoll und spannend. Natürlich ist das manchmal schwer, deinen Kindern zu erklären, dass der geplante Zoobesuch jetzt ausfällt. Ich habe allerdings das Glück, dass meine Mitarbeiter mich auch da unterstützen, mir einen ersten Termin abnehmen, die ersten Fragen klären, und ich dann am nächsten Tag mit der Familie weitergehen kann.
Früher, so schreiben Sie, habe sich alles um den Sarg gedreht. Ist das heute anders?
Ja, wir sind heute Dienstleister. Der Sarg ist immer noch ein Element, aber wir sind eher der Organisator, der eine große Bandbreite von Leistungen und Produkten anbietet, aus denen wir ganz individuell etwas für die Familie zusammenstellen können. Das fängt bei der Grabauswahl an, Sarg, Urne, See, Wald, da gibt es so viele Möglichkeiten. Auch Trauerfeiern werden immer individueller.
Der Sarg war ein Statussymbol…
Ist er manchmal immer noch. Die Menschen schauen sehr genau: Was ist für mich wichtig? Das ist wie im normalen Leben, wo man den Fisch im Feinkostladen kauft und die Nudeln beim Discounter. Das kommt dann zusammen auf den Teller. Das hat es im Bestattungssektor so lange nicht gegeben. Man hat Mittelklasse gelebt, und Mittelklasse bestattet. Das hat sich sehr gewandelt. Die einen machen ihr zentrales Gedenken an dem Essen fest, da wird dann beim Italiener geschlemmt auf Teufel komm raus, und die Trauerfeier ist nicht so wichtig. Anderen ist der Sarg wichtig, und der Rest nicht. Der Dritte will Blumen über Blumen über Blumen und es ist fast egal, was für ein Sarg darunter steht. Wieder ein anderer will eine halbseitige Zeitungsanzeige, weil alle wissen sollen, dass der oder die gestorben ist, die Trauerfeier wird aber nicht erwähnt, weil man da unter sich sein will. Da denkt jeder anders.
Inwieweit hat sich die Sichtbarkeit des Todes in der Gesellschaft verändert?
Der Tod war früher ständig gegenwärtig. Leichenwagen waren als solche auch erkennbar, heute sind das oft dezente Lieferwagen mit dunklen Scheiben. Ich finde, der Tod muss gezeigt werden, deswegen fahren wir nach wie vor Limousinen, die nach Leichenwagen aussehen. Wir bringen den Tod zu den Menschen. Früher starb man zuhause, begleitet von der Familie, nicht im Krankenhaus, nicht im Altenheim. Der Verstorbene wurde im Wohnzimmer aufgebahrt, es wurde ein Riesenspektakel gemacht. Wir haben noch alte Fotos davon.
Das alles gibt es in der Form nicht mehr, das ist uns verloren gegangen. Nach dem Krieg vielleicht auch noch mal verstärkt durch das Leid, das die Menschen erlebt und gesehen haben, vor dem sie ihre Kinder schützen wollten. Dabei kann man gerade die starkmachen und mitnehmen. Deswegen möchten wir, dass die Kinder in alle Prozesse mit einbezogen werden. Man sollte bei einer Abschiednahme am offenen Sarg die Oma ruhig mal anfassen. Die Haut fühlt sich anders an, die Temperatur fehlt – wie kann ich einem Kind den Tod besser erklären? Da müssen wir wieder an unsere Wurzeln zurück. Stück für Stück.
Ich habe beim Lesen des Buches kurz überlegt, ob nicht eigentlich ein Kind das Interview führen müsste. Sie schreiben, dass Kinder Fragen stellen, die Erwachsene sich oft nicht trauen.
Ich hatte neulich eine Führung. Da fragte ein Kind: „Hör mal, Herr Kuckelkorn, stinkt das nicht, wenn die Menschen tot sind?“ Das würde ein Erwachsener nicht fragen. Klar stinkt das unter Umständen. Die Bakterien im Körper fangen an, uns selbst zu verdauen. Auf ehrliche Fragen gibt es auch ehrliche Antworten.
Sie schreiben allerdings auch, dass gerade die Kinder beim Tod oft außen vor gelassen werden.
Manche Eltern wollen die Kinder vor negativen Gefühlen schützen. Aber wenn die ganze Familie trauert, und die Kinder den Grund gar nicht erfahren, ist das schwierig. Wenn Eltern weinen, ist das für Kinder schwer auszuhalten. Wenn sie da nicht mitgenommen werden, etwa bei einer Beerdigung zuhause bleiben müssen, dann ist das nicht fair. Dann bauen die Kinder sich ihre eigene Realität daraus, und das ist dann vielleicht noch schrecklicher als das, was wirklich war. Dabei sind Kinder doch ein Symbol dafür, dass das Leben weitergeht. Wenn etwa die Oma stirbt, und da sind Enkel und Urenkel, so soll es doch sein. Kinder bringen zudem eine Natürlichkeit mit. Meine damals kleine Tochter hat am Grab der eigenen Mutter, als das mit der Kondolenz so lange dauerte, angefangen, verstecken zu spielen. Ich fand das überhaupt nicht schlimm, auch wenn einige Leute die Nase gerümpft haben. Das Kind brauchte einfach ein Stück Normalität. Das ist voll in Ordnung.
Der Tod ihrer ersten Frau hat ihr Leben massiv verändert.
Der hat ein vollkommen neues Selbstverständnis für meinen Beruf mit sich gebracht. Weil ich plötzlich selbst betroffen war. Einerseits reagierst du professionell, weil du weißt, was zu tun ist. Andererseits bist du hilflos. Ich habe ein Jahr gebraucht, bis ich mein Büro wieder einigermaßen unter Kontrolle hatte, weil ich immer wieder Momente hatte, wo ich total chaotisch war. Dabei bin ich eigentlich sehr strukturiert. Danach habe ich vieles auf den Kopf gestellt, im Unternehmen ganz viel hinterfragt. Vorher haben wir nie darüber nachgedacht, dass Familien ihre Toten selber waschen und anziehen könnten. Danach war mir total klar, dass das ganz wichtig ist. Jetzt bieten wir das in Fällen, wo es sinnvoll scheint, an. Ich habe die Bedürfnisse der Menschen bei einem Todesfall selber erfahren, dadurch hat sich vieles gewandelt.
Berührungsängste abbauen ist also wichtig?
Ja, die Auseinandersetzung mit dem Tod zulassen. Wir haben das so häufig, dass in den Familien über Tod nicht gesprochen wird. Auch 80- oder 90-Jährige. So nahe dem Tod lebend, könnte man schon mal sagen: Ich will aber auf Melaten beerdigt werden, ich will eingeäschert werden. Darüber könnte man auch mal am Frühstückstisch reden, warum nicht? Wir werben jedenfalls fürs Reden, aber viele haben Angst davor.
Ein Freund von mir ist nach seinem Unfalltod aufgebahrt gewesen, damit man sich verabschieden konnte. Noch Jahre später frage ich mich, warum ich ihn damals nicht berührt oder umarmt habe.
Wichtig ist, dass man versteht, was da passiert, das ist bei einem Todesfall intellektuell schwer zu leisten. Wenn man nicht dabei war, als die Mutter gestorben ist, ist der Tod schwerer zu akzeptieren. Wenn man sie aber ansehen, berühren kann, hilft das beim Begreifen. Und gerade bei einem plötzlichen, unerwarteten Tod – vielleicht hat man sich morgens noch gestritten, und dann gibt es einen Unfall – ist es total wichtig, sich diese Realität zu holen. Ein besonders wichtiges Thema für uns, und wir machen Mut, Barrieren abzubauen.
Im Buch geben Sie zahlreiche Anekdoten zum Besten. Haben die skurrilen Situationen mit der zunehmenden Individualisierung von Bestattungen zu tun?
Auf jeden Fall. Nehmen wir beispielsweise Musik. Wir bemühen uns immer, dass die Musik passt, nicht unbedingt zu dem Anlass, aber zum Verstorbenen. Einmal wurde auf einer Trauerfeier „Du hast mich 1000 mal belogen“ von Andrea Berg gespielt. Der Sohn hatte uns die CD erst in der Trauerhalle gegeben, wir konnten also nichts überprüfen und dachten im ersten Moment, es wäre die falsche CD. War aber so gewollt, es war einfach das Lieblingsstück der Eltern.
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Das irritiert natürlich, aber wenn man so etwas moderiert und den Trauergästen erklärt, ist das doch prima. Heavy Metal oder Böhse Onkelz sind schon eine Herausforderung für eine Trauerfeier, aber wenn man es erklärt, kann jeder Trauergast sein Bild des Toten erweitern oder vervollständigen. Bei der Dekoration arbeiten wir immer öfter mit Projektionen – dann steht der Sarg optisch auf einmal im Grünen. Wir haben aber auch schon mal einen ganzen „Wald“ um einen Sarg herum gebaut. Am Schluss hat jeder ein kleines Bäumchen mitbekommen, was er dann zur Erinnerung irgendwo pflanzen konnte. Etwas weitergeben – das sind tolle Bilder, mit denen man arbeiten kann. Und wir können sehr kreativ sein.
Es gibt aber auch Menschen, die zu Ihnen kommen und anonym bestattet werden wollen.
Natürlich akzeptieren wir das ein Stück weit, aber ich versuche dann zu ergründen, wo das herkommt. Oft ist es Altersbescheidenheit, man will keinem zur Last fallen, etwa mit der Grabpflege. Und die Familie hat oft ganz andere Wünsche. Wir versuchen dann, einen Dialog zwischen den Generationen herzustellen. Ist die Trauerfeier für den Verstorbenen wichtig? Eher nicht, denn körperlich ist er ja nicht mehr da, aber für die Familie kann der Abschied sehr wichtig sein. Ich habe etwa für meine eigene Bestattung nur den Ort festgelegt und dass es eine Erdbestattung werden soll, alles andere sollen meine Kinder und meine Frau entscheiden, denn dann ist allein deren Sicht auf mich wichtig.
Warum eine Erdbestattung?
Ich finde, eine Einäscherung ist ein sehr gewaltvoller Eingriff in den Körper. Ich hatte mal einen Mann hier, der wollte seine Frau einäschern lassen, weil sie immer so gefroren habe. Aber 700 Grad sind brutal. Ich habe auch keinen Bezug mehr zu der Urne, sich da einen Menschen drin vorzustellen, das schaffe ich nicht. Diese Distanz ist für die, die das bevorzugen, vielleicht gerade der Grund, es so zu machen.
Zum Buch
„Der Tod ist dein letzter Termin“ erscheint am Mittwoch, 29. Januar 2020, im S. Fischer Verlag, Paperback, 284 Seiten, mit zahlreichen Abbildungen, und kostet 16 Euro. (stef)
Aber der Körper ist ein so faszinierendes Konstrukt, der verdaut sich ja nach dem Tod selbst, das finde ich ziemlich cool. Und ökologisch ist das auch sinnvoll. Die Emissionswerte und den Energiebedarf einer Einäscherung wollen wir ja gar nicht ansprechen. Vergehen wie wir sind, und dadurch neuem Leben einen Raum geben, das ist super.
Sie haben im Zusammenhang mit dem Tod ihrer Frau geschrieben, dass sie danach relativ schnell verreist sind.
Ich habe gemerkt, dass die Kinder ein Stück Normalität zurückhaben mussten. Mir ist auch auf den Zeiger gegangen, dass jeder in so einer demütigen, vorsichtigen Art auf mich zugekommen ist. Ich wollte wieder normale Gespräche führen, bei einem Bier oder Wein, ohne auf der Stirn stehen zu haben: Meine Frau ist gestorben. Den Kindern ging es ähnlich. Mal wieder lachen dürfen. Uns hat das total gut getan, einige Wochen aus allem raus zu sein, in einer anderen Umgebung Menschen zu treffen, die das nicht wussten und uns so nahmen, wie wir gerade da waren.
Lachen steht also ein bisschen für das selbstverständliche Einbinden des Todes in den Alltag. Ihr Unternehmen warb zum Jubiläum mit dem Spruch: „Seit 100 Jahren auch im Jenseits vorn, in einem Sarg von Kuckelkorn“.
Der Spruch entstand am Rande eines Drehs für einen Otto-Film, bei dem die Blauen Funken und mein Vater Fro dabei waren. Das war aber eher ein interner Gag, kein Werbespruch. Da spricht auch ein bisschen Tradition raus. Meine Vorväter, mein Vater und auch ich haben den Kindern immer vorgelebt, dass man in diesem Beruf und im Familienunternehmen sehr selbstbestimmt arbeiten und gestalten kann, und das macht sehr viel Spaß. Es wird nirgendwo so viel gelacht wie auf dem Friedhof – und es ist nicht immer alles lustig im Karneval.
Also kein Spagat zwischen Friedhof und Karneval?
Als Bestatter muss man sich angemessen verhalten, aber wir haben ja trotzdem unseren Humor, da werden auch mal Witze erzählt, da wird gelacht. Wir rennen nicht ständig mit Trauermiene durchs Leben. Im Karneval wirft man ja auch nicht ständig Konfetti, der kann knallhartes Business sein, und oft ist ein ernstes Wort gefragt. Wir hatten einen Mitarbeiter, der konnte super Witze erzählen. Am Südfriedhof müssen die Pfarrer durch denselben Eingang wie die Trauergäste. Und der Kollege hat es immer hinbekommen, die Pointe seines Witzes genau auf den Moment zu legen, wenn er die Tür zur Trauerhalle öffnete. Das Gesicht des Pfarrers... Ein bisschen böse vielleicht, aber Lachen und Weinen gehört zusammen.
Das Interview ist im Januar 2020 zuerst im „Kölner Stadt-Anzeiger” erschienen.