Jetzt rege ich mich aufNein, Köln, du bist nicht die geilste Stadt der Republik!
- Kölner Lichter, Hundertausende Menschen in Ekstase und wieder einmal ein Anlass, die Kölner Botschaft in die Welt hinaus zu schicken: Schaut her, so super ist es bei uns, nirgends ist das Lebensgefühl leichter.
- Für unseren Autor Frank Nägele ist das kaum auszuhalten. In seiner wöchentlichen Kolumne rechnet er diesmal mit der schier unumstößlichen Liebe der Kölner zu ihrer Stadt ab.
- Und es ist sein gutes Recht, so streng zu sein.
- Lesen Sie hier auch weitere Folgen.
Das haben sie wieder fein hinbekommen in der Feierzentrale der mehr als 2000 Jahre alten Stadt. Die Kölner Lichter, das Höhenfeuerwerk, die Massenunterhaltung, diese schönen Bilder! Hunderttausende Menschen in Ekstase, und keine Sekunde vergeht, ohne dass der Welt die Kölner Botschaft verkündet wird: Schaut her, so super ist es bei uns, nirgends ist das Lebensgefühl leichter, der Geist heller, die Lust schöner! Wo gibt es etwas, das besser ist als das Bier, die Kirchen, der Fußballklub, das Brauchtum, die Sprache, die Lieder, die Geschichte, die Toleranz und die Feste dieser Stadt? Hier lebt der ewige Superlativ und der Rest der Welt soll, wenn er einen Vergleich auch nur wagt, einpacken. Nach 32 Jahren Leben und Arbeiten in Köln darf ich sagen: Das regt mich auf, es ist kaum auszuhalten.
Wenn in dieser Stadt nur die Hälfte der Energie und Kreativität, die für diese selbsttrunkene Dauer-Imagekampagne zur Pflege des eigenen Markenkerns verwendet wird, in lebenswichtige Bereiche fließen würde, wäre vielleicht schon eine Brücke repariert. Und man müsste den Bürgern nicht das Paradoxon des schlechtesten und gleichzeitig teuersten öffentlichen Nahverkehrs Deutschlands zumuten. Möglicherweise könnte man dann auch angemessen mit dem uralten architektonischen Erbe umgehen, den Musikfreunden ein intaktes Opernhaus bieten und Problemstadtteilen das Absinken in Bedeutungslosigkeit und soziale Verelendung ersparen.
Man kann seine Heimatstadt lieben und doch sehr streng mit ihr sein
Davon ist aber nie die Rede, wenn sich Köln wieder als geilste Zone der Republik feiert. Als gäbe es in Deutschland eine Millionenstadt, die nicht vor Kultur und Lebenslust überschwappt, in der die Kleinkunstszene nicht pulsiert und die klassische Kunst keine höchsten Höhen erreicht, die sich nicht ihrer Museen und historischen Punkte rühmt. Das alles sind keine Errungenschaften, sondern Geschenke der Geschichte an die Gegenwart, die in den alten Kulissen tanzt, sie kaum instand halten kann, aber so tut, als hätte sie alles erfunden. Und nirgendwo können sie das besser als in Köln, der selbst ernannten schönsten Stadt Deutschlands, die gerade von Dutzenden Feuerwerkern ein Pyrotechnikspektakel in den Himmel hat jagen lassen zu Klängen des ehrwürdigen Jacques Offenbach, der sich dagegen nicht wehren kann.
Wenn dieser Spruch ernst gemeint wäre, der vor jedem Heimspiel des FC durchs Stadion schallt, wäre das eine Frechheit gegenüber dem Rest der Republik. So viele Städte haben die Größe, auf diesen Titel keinen Anspruch zu erheben und funktionieren dennoch stolz zum Wohl ihrer Bürger. Stuttgart war einst so eine Stadt, gesegnet mit einer unvergleichlichen Hanglage, sattem Grün und einer muskelbepackten Industrie. Leider sind die Schwaben in den letzten 20 Jahren dem Größenwahn verfallen und haben im Zentrum mit Baggern, Bohrern und Raupen einen Kometeneinschlag simuliert.
Und nur weil es dort Menschen gibt, die sich trauen, gegen die größten Fehler ihrer Stadt auf die Straße zu gehen, ist dieses „Stuttgart 21“ der Welt als Synonym für Planungshybris und steinerne Idiotie erschienen. Ich lebe viel länger in Köln als ich in Stuttgart gelebt habe, aber ich kann aus dem Süden ausrichten: Man kann seine Heimatstadt lieben und doch sehr streng mit ihr sein. Das geht. Echte Heimatliebe hält das aus.
Das könnte Sie auch interessieren:
Eine solche Haltung hat auch etwas mit Respekt zu tun. Wenn gerade kein hedonistisches Festival stattfindet in einer Stadt, müssen Menschen in ihr ihr Leben im Alltag leben. Sie haben das Recht darauf, dass Dinge funktionieren und Versprechen eingehalten werden, dass Wohnraum, Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser und öffentliche Einrichtungen in einem zumutbaren Zustand zur Verfügung stehen und dass ihnen Auskunft gegeben wird darüber, was mit ihrem Steuergeld geschieht, und wie schlecht die Luft ist. Das schönste „Jeföhl“ ist wenig wert ohne diese zivilisatorischen Basisdinge des Lebens, die Köln in seinem traditionell falsch verstandenen Laissez faire leider nicht alle im Griff hat.
Kurzum: Ich habe Köln sehr lieb, es ist mir ans Herz gewachsen. 32 Jahre Leben und Arbeiten in dieser Stadt sind jedoch genug, dass ich streng zu ihr sein darf.