Zu dichtes Auffahren ist eine der Hauptursachen für schwere Unfälle auf den Autobahnen mit Verletzungs- und Todesfolge.
In seiner Kolumne „Jetzt rege ich mich auf” rechnet Frank Nägele mit einem Drängler ab - und wirft die Frage auf: Wie kann es erlaubt sein, dass ein Verkehrsteilnehmer einen anderen in Gefahr bringt?
Was ich jetzt beschreibe, passiert jeden Tag hunderte Male auf den Schnellstraßen und Autobahnen rund um Köln. Ich fahre mit meinem PKW zügig auf den Zubringer am Autobahnkreuz Ost in Richtung Heumar. Mein Tacho zeigt – und ich sage das, weil die Polizei mitliest – exakt die als Höchstgeschwindigkeit in Kilometern pro Stunde festgelegte Zahl an. Wir befinden uns auf einem einspurigen Teil des Straßennetzes. Da vergrößert sich in meinem Rückspiegel mit Raketengeschwindigkeit das Bild eines schwarzen Autos, das bald am Heck meines Fahrzeugs klebt.
1,5 Tonnen Stahl und Plastik direkt an 1,5 Tonnen Stahl und Plastik bei einer Geschwindigkeit von mehr als 100 Kilometern, denn der Druck des Pressenden lässt mich automatisch schneller fahren und Gedanken entstehen, die an dieser Stelle leider nicht ungeschönt wiedergegeben werden können.
Halbwegs ins Zitierfähige übersetzt, würden sie etwa so lauten: „Pass mal auf, du Schwachkopf im Rückspiegel, welches Leben riskierst du hier? Deins oder meins? Was, wenn ich jetzt niesen muss oder Panik bekomme? Was, wenn du Hirnamputierter dich verschätzt und endgültig an meinem Rückblech landest? Wo ist die Instanz, die diesen Angriff auf meine Unversehrtheit auf der Stelle unterbindet? Wo der Blitz, der vom Himmel fährt und mich von dieser Bedrohung befreit?“
Hinweis zur Sache: Zu dichtes Auffahren ist eine der Hauptursachen für schwere Unfälle auf den Autobahnen mit Verletzungs- und Todesfolge. Die Vorschrift lautet, dass der Hintermann auch dann einen Unfall vermeiden können muss, wenn der Vordermann unvorhersehbar bremst. Als Faustregel gilt der halbe Tacho. In meinem Fall wären es 50 Meter gewesen, real waren es 50 Zentimeter, und ich stand vor der Herausforderung, unfallfrei auf die rechte Spur der A 3 einzufädeln, in der eine LKW-Prozession Richtung Frankfurt rollte.
Der Gedankenstrom setzte sich, getrieben von der Wut über das Unrecht und die Gefahr, fort: „In welchem Land leben wir, das so etwas toleriert? Parksünder kriegen sie alle, aber was ist das? Noch nie in meinem ganzen Leben habe ich gesehen, dass eine Instanz erscheint, die diesen Wahnsinn unterbindet und bestraft, wenn er geschieht. Und was soll dieses unverschämte Zeichen, du Benzinsäufer im Rückspiegel? Soll ich mich in Luft auflösen? Würde ich am liebsten und mich dann zehn Meter über deinem Autodach als Stein materialisieren und runterfallen. Geht aber nicht. Schade.“
Dann tut sich die rettende Lücke zwischen zwei Dreißigtonnern auf. Ich rutsche rein, der Verbrecher rast weiter auf der rechten Spur an allen vorbei und verschwindet aus meinem Sichtfeld. Er darf das alles, weil ihn niemand daran hindert.
Für mich fühlt es sich wie ein Mordversuch an
Ich weiß, dass diese Erzählung eine Alltäglichkeit beschreibt, der viele Autofahrer täglich schutzlos ausgeliefert sind. Die Polizei spricht von „Dichtem Auffahren“, „Nötigung“ und droht mit Strafen von maximal 400 Euro Bußgeld und drei Monaten Fahrverbot. Für mich fühlt sich das jedes Mal an wie ein Mordversuch aus purer Lust. In keinem Bereich des täglichen Lebens würde es hingenommen, wenn ein Mensch einen oder mehrere andere Menschen in solch große Gefahr bringt.
Aber wenn das Auto ins Spiel kommt, muss im Raserparadies Deutschland jede Vernunft weichen. In dieser Hinsicht sind wir eine dumme, unverantwortliche Nation, und niemand traut sich, auch nur den Versuch zu unternehmen, daran etwas zu ändern.