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Zwei Kaffee, bitte!Kölner Social-Media-Experte hält nichts von Verboten für Jugendliche

Lesezeit 4 Minuten
Eine Frau hält ein Smartphone, auf dessen Display verschiedene Social Media Apps angezeigt werden

Social Media erst ab einem bestimmten Alter erlauben? Für Sebastian Guknecht ist das nicht der richtige Weg. 

Sebastian Gutknecht, Direktor der Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz, spricht über Mediennutzung in jungem Alter. 

Wie reagieren Menschen – was erzählen Sie – wenn man sie auf der Straße anspricht und zu einem Kaffee einlädt. Dieser Frage geht Susanne Hengesbach seit Jahren nach.

Dieser Mann wirkt auf mich total entspannt. Und das, obwohl ein Thema zur Sprache kommt, bei dem viele Menschen – ich denke hier insbesondere an Eltern – heftig regieren können. Wir reden über Smartphone-Nutzung bei Kindern und Jugendlichen.

Nachdem ich erfahren habe, dass ich einem Juristen gegenübersitze, der einen Teil seines Studiums in Siena absolviert hat, hätte unsere Unterhaltung auch in Richtung Toscana abschweifen können. Doch als ich höre, welche berufliche Position der 50-Jährige heute innehat, nehme ich Haltung an, wie man das vielleicht automatisch tut, wenn das Wort „Direktor“ fällt.

Sebastian Gutknecht mit einer Tasse Kaffee

Sebastian Gutknecht

Sebastian Gutknecht erzählt, dass er sei seit knapp vier Jahren Direktor der in Bonn ansässigen Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz ist. Heute ist er nach Dienstschluss in seinem Sülzer Veedel unterwegs, wo wir uns über den Weg laufen. Nachdem der gebürtige Kölner kurz skizziert hat, welche Aufgaben die Behörde wahrnimmt, sind wir schnell an dem Punkt, ob man auch in Deutschland – dem Beispiel Australien folgend – eine gesetzliche Altersgrenze für Social Media braucht.

Mediennutzung per se ist kein Problem

Wenn man sich mit einem Experten wie Gutknecht auf eine Diskussion einlässt, wird schnell klar, dass das Thema ungeheuer komplex und vielschichtig ist. Wie leicht Verbote umgangen werden können, habe man in Australien inzwischen erkannt, wo seit knapp einem halben Jahr ein Nutzungsverbot Sozialer Medien für unter 16-Jährige gilt.

Gutknecht hält von solch einem Verbot ohnehin nicht viel. Mediennutzung sei per se kein Problem, sondern – im Gegenteil – sogar förderlich für die Kreativität.

Der Balanceakt bestehe darin, auf der einen Seite Schutzzonen zu schaffen und auf der anderen Seite „Menschen dazu zu befähigen, mit Gefahr umzugehen“.

Er gibt ein Beispiel aus der nicht-digitalen Welt: Gewünscht sei weder, dass das Kind aus Angst vor einer großen Straße mit 13 Jahren noch nicht allein zur Schule gehen kann – noch, dass man den Dreijährigen allein über den Barbarossaplatz schickt.

Kinderrechte müssen auch im digitalen Raum gewahrt werden

Welches Maß an Schutz beziehungsweise Befähigung guttue, sei eine individuelle Abwägung, betont der Jurist. Ihm würde ein genereller Social-Media-Ausschluss auch deshalb zu weit gehen, weil er mit Artikel 17 der UN-Kinderrechtskonvention kollidiere, der klarstelle, dass Kinderrechte „auch im digitalen Raum zu ihrer vollen Entfaltung“ kommen müssen.

Voraussetzung dafür sei, dass Jugendliche in diesem Raum weitgehend geschützt seien; dass ihre Kontakte nicht öffentlich sichtbar seien, sondern nur unter Freuden; dass es Eltern-Begleittools gebe und dass die Altersverifikation nicht so leicht auszuhebeln sei. Gutknecht denkt da etwa an einen Zugang per Bilderkennung. Ihm erscheint es auch sinnvoller, den Zugang zur digitalen Welt nicht an ein Alter, sondern zwei Altersstufen – etwa 13 und 15 Jahre – zu knüpfen.

Es fehlt an Medienbildung

Woran es aus seiner Sicht hierzulande mangelt, sind „Konzepte, die junge Menschen erreichen“. Außerdem fehle es generell an Medienbildung. Man müsse da streng genommen schon in der Kita ansetzen. Aber es gebe weder ausreichend personelle Ressourcen noch die technische Ausstattung – auch an den Schulen. Unser gesamtes Bildungssystem sei das Problem, unterstreicht der Kölner, der es für fatal hält, weiterhin an der Wirklichkeit vorbeizureden, weil dadurch „Möglichkeiten vertan“ werden. „Wir helfen jungen Menschen am meisten, wenn wir Realitäten anerkennen“, stellt Gutknecht klar und zieht eine Bilanz, die wir Älteren wahrscheinlich nicht gerne hören.

Anders als noch die Generation unserer Eltern oder Großeltern hätten wir längst unsere Vorbild-Rolle verloren. „Das Vertrauen in unsere Erwachsenenwelt fehlt. Wir sind wirtschaftlich abgehängt. Schulen rotten vor sich hin. Die Bahn fährt nicht. Klimaschutz, Frieden – nichts funktioniert“, unterstreicht der 50-Jährige. „Wofür sollen uns unsere Kinder bewundern?“

Stärken statt ausbremsen

Anstatt junge Menschen auszubremsen, anstatt ihnen vorzuhalten, was sie alles noch nicht wissen, nicht sollen und nicht dürfen, müssten wir sie darin stärken, mit unvorhersehbaren und überfordernden Situationen umzugehen.

Dieses „Das-ist-alles-so-gefährlich!“ sei eine rückständige Mediensicht, die Kinder und Jugendliche nicht dazu bringe, dazuzulernen und ihre „Angst vor der Unfähigkeit der Erwachsenen“ zu verlieren.

Gutknecht plädiert eindringlich dafür, den Fokus auf etwas zu richten, was uns zunehmend abhanden kommt: „Wir müssen lernen zu spüren, was uns guttut. Wir müssen unseren Kindern beibringen – und natürlich auch uns – auf unsere Intuition zu achten.“ Und: „Wir können unsere Kinder nur stärken, wenn wir selber keine Angst haben.“