Schockraum statt Klassenraum. Bei ihrem Besuch in der Merheimer Unfallklinik bekam eine Kölner Schulklasse seltene Einblicke.
Präventionstag für JugendlicheKölner Schüler treffen Unfallopfer in Merheimer Klinik
Ein halbes Jahr ist es her, dass sein LKW gegen einen Baum prallte und er schwer verletzt wurde. Ob der 53-jährige Kölner den Unfall überleben würde, war unklar. Er hatte zahlreiche Verletzungen, unter anderem waren seine Hüfte und seine Hand gebrochen. Drei Tage lang lag er im künstlichen Koma, achtmal wurde er in den folgenden Wochen operiert. Dass er nun mit einer Kölner Schulklasse über seinen, wie er sagt, „steinigen Weg zurück in Leben“ sprechen kann, hätten auch seine Ärzte damals zeitweise nicht gedacht. Auch, dass er nun schon wieder laufen kann, war nicht abzusehen.
Die zehnte Klasse des Elisabeth-von-Thüringen-Gymnasiums in Sülz ist für einen Unfall-Präventionstag ins Merheimer Krankenhaus gekommen und hört den Erzählungen des ehemaligen Patienten zu. Er sei ein Kämpfer, erzählt er, und sein Optimismus habe ihm in vielen schwierigen Situationen weitergeholfen. Auf die Frage einer Schülerin, wie der Unfall seinen Blick aufs Leben verändert hat, kommt er ins Stocken: „Da fehlen mir jetzt die Worte, manche Dinge muss ich selbst noch verarbeiten.“
Junge Erwachsene sind Hochrisikogruppe im Straßenverkehr
Die Schülerinnen und Schüler sind zwischen 15 und 16 Jahre alt. Damit sind sie laut der Deutschen Verkehrswacht die am stärksten gefährdete Gruppe im Straßenverkehr. Junge Erwachsene sind demnach einem doppelt so hohen Risiko ausgesetzt, im Verkehr verletzt oder getötet zu werden. Allein in Köln verunglückten im vergangenen Jahr 171 Jugendliche, davon 23 schwer, eine junge Person starb. Der Zahlen steigen seit vier Jahren wieder an. Genau deswegen wurde die Klasse in die Merheimer Unfallklinik eingeladen.
„Heute gibt es kein Show-Programm“ stellt Michael Caspers gleich zu Beginn klar. Hinter ihm, in einem Seminarraum in der Reha-Klinik, wirft ein Beamer die Buchstaben P.A.R.T.Y. auf die Wand. „Das ist ein Akronym und steht für Party, Alkohol, Risiko, Trauma und Youth“, erklärt der Oberarzt für Unfallmedizin. Heute gehe es darum, authentische Einblicke in den Klinik-Alltag zu bekommen.
„Nicht mit erhobenen Zeigefinger vor der Klasse stehen“
„Wir wollen nicht mit erhobenen Zeigefinger vor der Klasse zu stehen“, sagt er. Vielmehr möchte er die Jugendlichen für die Auswirkungen des eigenen Handelns sensibilisieren. Gerade, weil viele von ihnen bald ihren Führerschein machen werden. Dafür bekommen die Jugendlichen seltene Einblicke hinter die Kulissen der größten rechtsrheinischen Kölner Unfallklinik.
In Kleingruppen besuchen die Schülerinnen und Schüler die verschiedenen Stationen der Notaufnahme. „Wenn den Jugendlichen die Tragweite ihres eigenen Handelns bewusst wird, dann haben wir heute was erreicht“, sagt die Pflegerin Kathi.
Seltene Einblicke in die größte rechtsrheinische Unfallklinik
Auf dem Parkplatz vor der Notaufnahme zeigt ein Rettungssanitäter die Ausstattung eines Krankenwagens. Wenig später erlebt die 16-jährige Emmi Geiger am eigenen Körper, wie die Erstbehandlung im Schockraum abläuft. „Ein komisches Gefühl“, sagt die Schülerin, die selbst gerade ihren Führerschein macht, während sie mit Halskrause um den Hals, Messgerät am Finger und einer Beckenschlinge um der Hüfte auf der Liege liegt. Danach folgen Besuche auf der Intensiv-, Normal- und Rehastation.
Die Schüler stellen viele Fragen: Wie geht es mit der Pflege nach dem Krankenhausaufenthalt weiter? Wie geht das Personal mit der psychischen Belastung um? Generell versuche sie, die Situationen von der Arbeit nicht mit nach Hause zu nehmen, erzählt Pflegerin Kathi: „Manche Bilder bleiben aber trotzdem im Kopf.“
Mit dem Besuch des LKW-Fahrers haben die Unfallgeschichten für die Schüler ein Gesicht bekommen. „Das Gespräch hat total zum Nachdenken angeregt“, sagt eine Schülerin. Auch die Lehrerin der Klasse, Fatiha El Moussaoui, zeigt sich überzeugt von dem Tag: „Wenn man die Geschichten und Gesichter hinter den Schicksalen kennenlernt, kommt das natürlich besser bei den Jugendlichen an, als wenn sie immer nur aus dem Buch lernen.“ Einmal im Quartal möchte die Merheimer Klinik den Präventionstag für Kölner Schulen in Zukunft anbieten.