Rosenmontag 1991Während des Golfkrieges sagte Köln den Zug ab – zumindest offiziell
- 1991 hatte das Festkomitee den Rosenmontagszug eigentlich abgesagt – wegen des Golfkriegs.
- Aber Köln wäre nicht Köln, wenn sich alle an das Verbot gehalten hätten. Ein Rückblick auf die kölsche Widerstands-Handlung.
- Bei desem Text handelt es sich um ein Stück aus unserem Archiv. Es wurde ursprünglich im August 2019 publiziert.
Köln – In Zeiten der Not braucht es nicht viele Qualifikationen, um sich hervorzutun. Jürgen Becker hatte einen Lkw-Führerschein. Und die Telefonnummer eines Landwirts, der Rüben züchtete. Das reichte auch schon aus.
1991. Zweiter Golfkrieg, Operation „Desert Storm“ zur Befreiung Kuwaits von Saddam Husseins Truppen. Am 17. Januar beginnen die USA und Verbündete mit der Bombardierung der irakischen Hauptstadt Bagdad. In Deutschland nähert sich der Höhepunkt der Karnevalssession.
Geht das, darf man das, feiern in Zeiten von Angst und Betroffenheit? Die Düsseldorfer befinden schnell: Nein. Viele Städte, ebenso die Bonner, folgen dieser Entscheidung. Am 21. Januar sagt auch der Präsident des Festkomitees, Gisbert Brovot, für Köln als letzte große Karnevalshochburg den Rosenmontagszug und Straßenkarneval ab. Nur die Veranstaltungen im Saal dürfen noch stattfinden.
Unheimliche Verkleidungen
Auch Kabarettist Jürgen Becker, damals als „Irokesen-Heinz“ Präsident der Stunksitzung, und seine Kollegen machen weiter. Trotz Protesten vor der Tür. „Wir hatten einfach das Gefühl, dass eine Absage falsch wäre. Wenn irgendwo Kultur kaputtgeht, darf man die eigene nicht aufgeben“, sagt Becker heute.
Deswegen entscheiden sie knapp einen Monat später auch kurzfristig: Wenn’s keinen offiziellen gibt, dann machen wir dieses Jahr den Zug. Becker organisiert den Trecker samt Anhänger. In der Nacht vor Rosenmontag hängen sie noch ein paar Bettlaken dran, als Persiflage auf ebenjene mit den Protestsprüchen, die reihenweise aus den Kölner Fenstern hängen.
Am 11. Februar startet der Wagen als einziger am Zugstartpunkt an Sankt Gereon. Mit Becker am Lenkrad, einer kleinen Band hinten auf dem Anhänger. 3000 Menschen kommen in kurzer Zeit zusammen, auch wenn man selbst vorher kaum Werbung gemacht habe, erinnert sich Becker. Manche tragen düstere Kostüme, gehen als Gespenster, Skelette oder Monster. Sie haben sich schon vorher zu einer Anti-Kriegs-Demo auf der Zugstrecke verabredet. Friedensparolen hallen durch die Straßen, ein Autowrack wird mitgezogen. Geburtsstunde des Geisterzugs.
Auch die Roten Funken sind unterwegs, die Treuen Husaren, Ehrengarde, Große Mülheimer, das Dreigestirn um Prinz Heinz-Ludwig „Buba“ Busbach. Am Ende laufen alle mit allen zusammen. Auch Mitglieder der organisierten Karnevalsvereine schließen sich über die Strecke an, am Ende sind laut Polizeischätzungen 100.000 Jecke auf den Straßen. Trotz starken Schneefalls.
„Es gab allerdings ein Problem“, sagt Becker. „Ich wusste nicht, wo der Zug überhaupt langgeht.“ Im Gespräch erinnert er sich an eine Situation am Alter Markt. „Ich sah da Brovot stehen. Also habe ich gerufen: »Gisbert, wo geht denn jetzt der Zug hin?« und der antwortete: »Ich weiß es auch nicht!«“
Irgendwie erreichte man nach Stunden dennoch die Severinstorburg. Und sah, klar, Tommy Engel an seinem Fenster stehen. Der kam, noch klarer, auf Zuruf hinunter und er sang. „M'r klääve am Lääve“, Hymne des Tages.
Becker rief Saddam an
Becker will rückblickend seine Aktion aber nicht überhöhen. Auch wenn manch einer den Kölner Karneval damals als größte Friedensbewegung der Welt umgedeutet habe: „Von uns war das kein großes politisches Statement“, sagt Becker. „Wir wollten einfach ein Zeichen setzen, dass man den Psychohaushalt der Kölner nicht durcheinanderbringen sollte.“
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Sein Statement wollte er lieber, ganz der Kabarettist, in einen Witz verpacken. „Ich habe ein paar Monate später mal auf der Bühne Saddam Hussein angerufen“, erzählt Becker, natürlich nicht ganz ernst. „Und ihm ausdrücklich erklärt, dass wir eine ähnliche Nummer wie Kuwait in Köln schon durch hätten. Wesseling wollte auch nicht dazugehören, wir sind da aber trotzdem nicht direkt mit Kanonen rein.“ Der Gag, sagt er, kam damals gut an.
Könnte heute – Krieg im Jemen, Krieg in Syrien, Nahostkonflikt – noch einmal ein Rosenmontagszug abgesagt werden?Becker glaubt das nicht. Der Zug, so sagt er, sei gerade in komplexen Zeiten ein Stabilisator für die Stadt.
Hinweis der Redaktion: Bei desem Text handelt es sich um ein Stück aus unserem Archiv. Er wurde ursprünglich im August 2019 publiziert.