Von Ekstase bis TrauerWie sich Weiberfastnacht im Zeichen des Krieges angefühlt hat
Köln – „Kann es irgendwie noch nicht richtig glauben, das ist so surreal“„Haben viel geredet über die Ukraine-Situation. Ist schon ein unschönes Gefühl… Aber denke, wir werden später trotzdem noch losgehen“„Putin hat es auch irgendwie nicht verdient, dass man wegen ihm Zuhause bleibt“So, wie der Gruppenchat unter Freundinnen der Reporterin dürfte es an Weiberfastnacht wohl bei vielen Kölnerinnen und Kölnern ausgesehen haben. Wochenlang war die Pandemielage die große Unbekannte für den Kölner Karneval. Donnerstagmorgen ist klar: Nicht das Infektionsgeschehen, 2G-Plus-Kontrollen und Masken werden das Feier- und auch das Nachrichtengeschehen rund um den Fastelovend bestimmen. Sondern Krieg.
Feiern nicht verbieten lassen
Die Stimmung unter den Jecken zu greifen, fällt schwer. Morgens in der Schlange am Testzentrum tönt Karnevalsmusik aus dem benachbarten Kiosk. Auf dem Handy laufen Eilmeldungen ein. Rund um den Barbarossaplatz und die Zülpicher Straße ist es um 11:11 Uhr deutlich leerer als noch am 11.11. – ob das jetzt an der Lage in der Ukraine, Omikron oder dem Nieselregen liegt, lässt sich nicht ausmachen.
Zwischen „Oma Kleinmann“ und „Hillebrands“ steht eine Gruppe Feiernder, die noch nicht so ausgelassen wirkt. Finnja S., Jana B., Paul D. und Louis L., alle 19 oder 20 Jahre alt, sind aus Bergisch Gladbach nach Köln gekommen. „Wir haben uns schon gedacht, jetzt mit der Ukraine-Situation feiern zu gehen, ist eigentlich nicht so toll. Es macht einen traurig“, sagt Jana. „In der Bahn haben heute früh Leute den Song ‚Moskau‘ angemacht und mitgegrölt. Da war ich echt schockiert“, meint Finnja. „Man kennt ja schon Leute, die Familie in der Ukraine haben.“ Paul hingegen hat von der verschärften Lage wenig mitbekommen. „Ich habe heute Morgen verschlafen“, räumt er ein. „Ich weiß gar nicht so genau, was jetzt los ist.“
Von Ignoranz zu sprechen, wäre leicht. Trotz trifft es aber vielleicht eher. Aber sollte man den moralischen Zeigefinger über eine Jugend erheben, die die letzten zwei Jahre in einer Pandemie verbracht hat? Verurteilen, dass Menschen sich mal wieder ein bisschen normal fühlen wollen?
„Dadurch bekommt Russland doch nur noch mehr Aufmerksamkeit“, meint Darius L. aus Köln. Der 23-Jährige ist am Mittag gut informiert über die Lage. „Ich habe heute Morgen schon bei Radio Köln gehört, dass sie wegen des Krieges keine Karnevalsmusik spielen. Ich finde das an sich richtig. Aber ich will mir auch nichts verbieten lassen. Wahrscheinlich müssen wir jetzt die Normalität solange behalten, wie es geht.“
Trauer bei Demonstration am Neumarkt
Für die Demonstrierenden am Neumarkt am frühen Nachmittag gibt es schon keine Normalität mehr. Als die Reporterin gegen 14.15 Uhr zur Kundgebung für Frieden in der Ukraine kommt, wird gerade bekanntgegeben, dass der Rosenmontagszug abgesagt ist. Henriette Reker dreht eine Runde entlang der zahlreichen Journalistinnen und Journalisten. Menschen mit Pappschildern und Ukraine-Flaggen haben Tränen in den Augen. Kostümierte Leute sind hier wenig zu sehen. Ariane S.‘ blaue Narrenkappe ragt aus der dunklen Menge heraus. Zusammen mit Angela O. ist sie spontan zur Demonstration gekommen.
„Es war heute Morgen schon komisch, mich zu schminken“, sagt sie. „Wir wollten eigentlich feiern gehen, saßen schon beim Frühstück“, erzählt Angela O. Als man von der Kundgebung erfuhr, habe man sich aber dafür entschieden, als Zeichen der Solidarität. „Das Au-Pair-Mädchen einer Freundin ist gerade wieder in Kiew. Da macht man sich schon Sorgen“, sagt Ariane. Für 16 Uhr hat sie noch Karten für die Veranstaltung der Blauen Funken am Alter Markt. „Ganz normal wird das sicherlich nicht ablaufen. Aber gerade ist schon der Plan, da noch hinzugehen.“
Auf dem Weg vom Neumarkt passiert die Reporterin eine Gruppe Feiernder, die sich aus einer Box laut mit Karnevalsmusik beschallen lässt. „Kölle Alaaf“ wird gegrölt – bis man die ukrainischen Flaggen sieht. „Oh, sollen wir das mal ausmachen?“, sagt eine junge Frau.
Das könnte Sie auch interessieren:
Auf dem Weg zum Alter Markt dann übliche Szenen: Die rappelvolle Eckkneipe „Bei d’r Tant“. Leere Pommes-Schalen, von der Stärkung zwischendurch. Erbrochenes auf dem Boden. Aber auch viele lachende Gesichter. Viel Unbeschwertheit.
Gemischte Gefühle beim Straßenkarneval
Die Brauerei zur Malzmühle hat ukrainische Flaggen aus dem Fenster gehängt. Davor trinken Jecke ihr Kölsch.
In der Südstadt ein ähnliches Bild – in den Stunden, in denen die Sonne scheint, versammeln sich Hunderte auf dem Severinskirchplatz und dem Chlodwigplatz. „Wat sull uns schon passiere, solange mir et Lävve fiere?“, tönen Brings aus einer Südstadt-Kneipe. Vom Rhing bis an die Wolga, von Köln nach Russland – das sind die Gegensätze dieser Weiberfastnacht.