Zwischen Weiberfastnacht und Aschermittwoch sind die Menschen in der Ukraine, in Syrien und der Türkei nicht vergessen. Echte Karnevalisten sind Gefühlsmenschen mit Empathie.
Kommentar zu KarnevalDas kölsche Herz schlägt solidarisch
Karneval ist Kontrast, Unterbrechung, verkehrte Welt. Das war schon immer so, und genau so ist es gewollt: Für ein paar Tage lassen wir den Alltag mit seiner Last und seiner Mühsal hinter uns, sind „aus-gelassen“ und selbstvergessen.
Vergessen wir aber nicht: Es gibt Situationen, in denen der Kontrast zur Zerreißprobe wird und die „Leichtigkeit des (Froh-)Seins“ für andere kaum erträglich ist. Wer am Tag vor Weiberfastnacht einen geliebten Menschen verliert, dem ist gewiss nicht nach jeckem Treiben zumute. Auch Verwandte und Freunde werden mittrauern und sich nicht unter die lustigen Wiever mischen. Aber allen anderen wird niemand das Feiern verdenken. Es gibt im Leben nun mal das Nebeneinander von Höhen und Tiefen.
Es war richtig, 2022 keinen Rosenmontagszug in Köln zu veranstalten
Was im Privaten gilt, gilt auch für die Gesellschaft. An Karneval vor einem Jahr war es richtig, vier Tage nach Putins brutalem Überfall auf die Ukraine keinen Rosenmontagszug in Köln zu veranstalten, so als ob nichts geschehen wäre. Der skrupellose, von vielen kaum für möglich gehaltene Bruch mit internationalem Recht und zivilisatorischen Errungenschaften erforderte eine Unterbrechung, einen symbolischen Ausdruck des Schocks und natürlich der Solidarität mit dem angegriffenen ukrainischen Volk. Die daraus resultierende Friedensdemo war ein starkes, weit über Köln hinaus sichtbares Zeichen.
Und heute, ein Jahr später? Am Donnerstag zählen die Jecken auf dem Alter Markt die Sekunden auf 11:11 Uhr herunter, und am Rosenmontag „kütt d’r Zoch“. Dabei fallen Putins Bomben und Raketen immer noch auf die Städte der Ukraine, und weiter südlich – jenseits des Schwarzen Meeres – herrscht in den Erdbebengebieten Syriens und der Türkei das reine Grauen. Soll das alles vergessen sein?
Echte Karnevalisten sind keine Ignoranten, sondern Gefühlsmenschen mit Empathie
Nein! Wer Karneval feiert, der weiß doch auch: Sorgen und Beschwernisse gehen davon nicht weg. Echte Karnevalisten sind keine Ignoranten, sondern Gefühlsmenschen mit Empathie. Sie feiern und sie fühlen mit. Und sie blenden nichts aus. Das zeigen die Mottowagen des Rosenmontagszugs, die das Weltgeschehen mitten hinein in den Karneval holen. Das zeigt auch die kurzfristig organisierte Spendenaktion von Festkomitee und FC-Stiftung für die Erdbebenopfer.
Krieg und Naturkatastrophen lassen sich nicht wegschunkeln. Das will aber ernsthaft auch niemand. Was uns vor den tollen Tagen erschüttert und erzürnt hat, das muss – und wird – es spätestens ab Aschermittwoch wieder tun. Daran ändern die kommenden Tage des Kontrasts und der Unterbrechung rein gar nichts.
Notzeiten, sagt der Experte für das rheinische Brauchtum, Wolfgang Oelsner, sind für den Karneval Stunden der Wahrheiten. 2023 feiern wir „das Leben und die Freiheit. Wir wünschen allen auf dieser Welt, dass ihnen diese Freiheit garantiert wird. Das kölsche Herz schlägt für die Menschen in der Ukraine.“ Es schlägt auch solidarisch für die Erdbebenopfer in der Türkei und in Syrien.
Und das sollten wir auch zeigen: mit einer Unterbrechung. Wenn die Jubiläumssession des Karnevals am Rosenmontag zu ihrem Höhepunkt kommt, der Zoch erstmals über die Deutzer Brücke zieht und das rechtsrheinische Köln symbolträchtig mit dem linksrheinischen verbindet, dann könnte der Wagen des Zugleiters mitten auf der Brücke für eine Gedenkminute innehalten und so ein Zeichen setzen, dass die Ukraine, Syrien und die Türkei nicht vergessen sind.