Als Melitta Erven nach Köln übersiedelte, sah der Karneval noch ganz anders aus. Heute gefallen ihr einige Entwicklungen nicht mehr.
„Heute ist vieles unter der Gürtellinie“Kölnerin schaut auf sieben Jahrzehnte Karneval zurück
Das Jubiläumsjahr des Karnevals ist ein Anlass, den Fastelovend vergangener Jahre Revue passieren zu lassen. Das geht nicht nur im Kontext großer Gesellschaften, sondern auch ganz individuell: Melitta Erven, die im Kölner Norden lebt, blickt zurück auf mehr als sieben karnevalistische Jahrzehnte.
Die jungen Jahre von Melitta Erven in Köln
„Alles hatte 1951 seinen Ursprung. Ich erinnere mich noch daran, wie wir Rosenmontag in der Apostelstraße auf einem Trümmergrundstück saßen und von dort aus den Zug angesehen haben“, erzählt sie: „Um die Ecke kam ein Wagen, spielte ‚O Mosella‘ von Karl Berbuer und war passend dazu mit Weinlaub dekoriert.“ Die damals 15-Jährige ahnte noch nicht, dass sie den Komponisten wenige Jahre später persönlich kennenlernen sollte.
Sie war eben erst aus Berlin nach Leverkusen übergesiedelt, wo ihr Cousin sie bereitwillig unter seine Fittiche nahm: „Ich war die Cousine aus Berlin, das war für Leverkusen damals ein Highlight.“ Unter den Jugendlichen, mit denen sie unterwegs war, war einer, der sich später als Künstler einen Namen machte: Wolf Vostell. Mit seiner Skulptur „Ruhender Verkehr“, einem einbetonierten Pkw, hat er in Köln eine Marke gesetzt.
„Mein Vetter ging mit ihm zur Schule“, erzählt Melitta Erven und legt einen Ordner auf den Tisch, in dem sie Zeitungsberichte über Vostell gesammelt hat, aber auch kunstvoll von Hand gezeichnete Karten, Einladungen zu Kostümbällen, die er entworfen hat – und eine Reihe von Fotos.
Jugendliebe und enge Freundschaften im Kölner Karneval
Einige Jahre verband nämlich sie und Wolf Vostell eine Jugendliebe. Zu ihren sorgsam gehüteten Erinnerungsstücken gehört eine gelbe Seidenbluse, die mit einem großen Vogel und anderen bunten Motiven bemalt ist: ein Werk Vostells, das sie damals zum Karneval trug. „Wie bescheiden wir damals waren. An einem Glas Sherry tranken wir einen ganzen Abend lang“, erinnert sie beim Durchblättern der Fotos.
Während einer Reise nach Ascona lernte Melitta Erven 1955 eine junge Kölnerin kennen, mit der sie fortan eine enge Freundschaft verband: Anneliese, die Tochter von Karl Berbuer. Durch sie tauchte sie ein in die Welt des großen Karnevals, verbrachte viele Wochenenden in Bayenthal im Haus des Mannes, dessen Krätzchen mit Kölns Musikgeschichte fest verbunden sind.
Kölner Karnevalsmusik hat sich seit Berbuer verändert
„Berbuer war ein Grandseigneur, sehr distanziert, und er mochte längst nicht jeden“, erinnert sie. Umso mehr bringt es sie bis heute zum Lächeln, wenn sie erzählt: „Mich hat die Familie sehr herzlich aufgenommen.“ Auch, wenn Berbuer im Sommer im kleinen Kreis erstmals neue Lieder vorstellte, war sie häufig dabei. „In der Regel komponierte er im Jahr zwei bis drei neue Lieder, immer mit drei Strophen. Das waren richtig schöne Texte mit Pointen, alles hatte Bezug auf etwas – nicht wie heute, wo Lieder oft keine Geschichte mehr erzählen.“
Die offizielle Präsentation der neuen Lieder sei jedes Jahr am 11.11. erfolgt, danach sei es bis zur Prinzenproklamation ruhig gewesen: „Alles hatte eine feste Zeit. Heute ufert es aus“, bedauert sie – und meint damit nicht nur, dass Karnevalsmusik ganzjährig zu hören ist: „Bei vielen Sitzungen steigen schon vorne auf den besten Plätzen Menschen auf ihre Stühle, sodass man von hinten kaum noch etwas sieht. Diese Rücksichtslosigkeit ist erschreckend. Früher war es harmonischer; diszipliniert, aber nicht steif, sondern fröhlich.“
Nicht nur mit der Familie Berbuer habe sie eine kultiviertere Form des Karnevals erlebt, sondern auch noch zusammen mit ihrem inzwischen verstorbenen Mann Christian Erven, den sie 1973 heiratete und der Ehrensenator bei den Roten Funken war. Befremdlich findet sie, dass man Orden heute kaufen kann: „Früher wurden sie wirklich verliehen, und das war spannend!“
Kritik an Reden im Kölner Karneval
Auch mit dem Inhalt einiger Reden hadert die frühere Mitarbeiterin des WDR, die neben ihrer Passion für den Karneval auch Mitglied einer Loge von Freimaurerinnen ist. „Es muss nicht die politische Rede sein – dafür gibt es den Mainzer Karneval. Gekonnte Reden dürfen auch das alltägliche Leben behandeln, aber sie sollen nicht verletzen. Heute ist leider vieles sehr unter der Gürtellinie.“
Der Karneval sei aber letztlich nur ein Spiegel dessen, wie sich die Gesellschaft insgesamt entwickle. Trotz unschöner Entwicklungen liebe sie ihn nach wie vor. Wenn aber jemand gar nichts mit dem Fastelovend anfangen könne, dann versuche sie auch nicht, ihn zu überzeugen: „Diese Menschen können Sie nicht gewinnen, die haben nicht den Virus.“