Pfarrer Hans Mörtter veranstaltet Benefiz-Konzert zum Thema Klimawandel am 30. September in der Philharmonie.
TV-Meteorologe Karsten Schwanke führt mit ihm durch den Abend.
Im Interview erzählen die beiden, warum es in Köln dringend eine Verkehrswende braucht und wie die Sommer in 60 Jahren aussehen könnten.
Köln – Herr Schwanke, Herr Mörtter, ein Meteorologe und ein Moralist werden am 30. September zusammen auf der Bühne der Kölner Philharmonie stehen. Wie kommt es dazu?
Hans Mörtter: Wir sind beide im Rotary Club Köln-Bonn Millenium, da haben wir uns kennengelernt. Wir haben schnell gemerkt, dass wir ähnlich ticken. Lieber Dinge anpacken als zu resignieren und zu klagen, wie düster es aussieht.
Karsten Schwanke: Früher war ich auch mal in einem Talk-Gottesdienst in der Südstadt, ein typischer Hans-Mörtter-Gottesdienst: lustig und spannend!
Mörtter: Wir haben im Team überlegt, welchem Thema wir uns dieses Jahr in unserem S.O.S-Benefizkonzert Save our Souls widmen, und es war sehr schnell klar: Es muss ums Klima gehen. Wir brauchen in Zeiten eines schrecklichen Krieges, der sehr viel Aufmerksamkeit auf sich zieht, ein sensibleres Bewusstsein für den Klimawandel, der das Leben auf der Erde dauerhaft stärker bedroht als alles andere. Auch Politiker schildern die Dramatik, sagen aber immer wieder: Wir können nicht so, wie wir wollen. Am Ende stehen Kompromisse. Die Zeit für Kompromisse muss aber vorbei sein.
„Friday’s for Future hat völlig recht“
Es gibt Krieg, hohe Inflation, ein erhöhtes Risiko einer Spaltung der Gesellschaft. Braucht es nicht doch auch beim Klimaschutz Kompromisse?
Mörtter: Es gibt diesen Kinofilm Don’t look up. Leonardo di Caprio entdeckt als Wissenschaftler einen riesigen Kometen, der auf die Erde zurast. Aber aus dem Ministerium kommt die Anweisung: Guckt nicht hoch, dann sieht man es nicht. Das ist ein gutes Bild: Wir dürfen eben nicht weggucken. Sonst holt die Klimakastastrophe uns ein. Viele von uns haben Kinder. Was blüht denen? Friday’s for Future hat völlig recht. Wir machen uns etwas vor. Menschen mit körperlichen Problemen werden sterben durch Hitze – wie durch Corona. Unsere Lebensgrundlage geht verloren. Wollen wir da weggucken?
Schwanke: Jetzt hat der Idealist geredet. Ich bin immer auch Realist. Unsere Art der Demokratie wird durch Kompromisse geformt und immer neu austariert. Es wird immer unvorhergesehene Ereignisse geben – wie jetzt diesen schrecklichen Krieg in der Ukraine. Jetzt gibt es die Angst vor dem nächsten Winter. Wir würden deutlich entspannter mit der Situation umgehen, wenn wir in den vergangenen 20 Jahren nicht versucht hätten, jedes Windkraftwerk zu verhindern. Wenn wir damals Klimaschutz nicht als grüne Spinnerei abgetan hätten, stünden wir heute besser da. Jeden Euro, den wir heute in den Klimaschutz investieren, den sparen wir am Ende des Tages X-mal gegenüber der unglaublich teuren Klimafolgenanpassung ein, das sagen alle Ökonomen.
„Wir steuern auf eine Erwärmung um drei Grad zu“
Herr Schwanke, Sie haben mal gesagt, aus Sicht eines Meteorologen ist die Atmosphäre unseres gesamten Planeten krank. Was heißt das genau?
Schwanke: Es geht nicht so sehr darum, dass die Erde immer wärmer wird. Entscheidend ist das Tempo der Veränderungen. Der Mensch versetzt mit dem immensen Ausstoß von CO2 das Leben auf der Erde in einen immer größeren Stresszustand. Aktuell steuern wir auf eine Erwärmung um 2,7 bis drei Grad bis zum Ende des Jahrhunderts zu – gegenüber der Zeit von 1850 bis 1900. Innerhalb von 200 Jahren erwärmen wir die weltweite Atmosphäre im Mittel um knapp drei Grad. Das ist der gleiche Wert, den die Erde auf natürliche Weise in den vergangenen 12 000 Jahren zurückgelegt hat.
Das heißt: Der Natur bleibt keine Zeit, um sich anzupassen.
Schwanke: Genau. In 12 000 Jahren konnten sich verschiedene Wälder und andere Vegetationsformen in Europa entwickeln und ausbreiten. Die Arten hatten Zeit, darauf zu reagieren. Es wäre grundsätzlich kein Problem, wenn wir in Deutschland eine um fünf Grad höhere Mitteltemperatur hätten – wenn es schon immer so gewesen wäre. Das Tempo, das wir der Atmosphäre aufzwingen, verursacht den Stresszustand für alle, die auf der Erde leben.
Mörtter: Ich bin im Sommer mit meiner Frau mit dem Rad nach Kopenhagen gefahren. Dort radeln die Menschen mit einem Lächeln durch die Stadt. Alle sind entspannt. In der Severinstraße ist es überhaupt nicht entspannt, Rad zu fahren. Jeder steht unter Stress. Der Stress fängt also im Kleinen an. Wenn der Verkehr nicht richtig funktioniert.
„In Köln steht jeder Radfahrer unter Stress“
Schwanke: Die Verkehrswege müssen entflechtet werden, Fußgänger, Radfahrer und Autofahrer getrennt werden. Es reicht nicht, wenn Städte – auch Köln – jedes Jahr ein paar neue Fahrradstreifen pinseln und sich das auf die Fahnen schreiben. Wir brauchen eine richtige Verkehrswende – und zwar schnell. Ich bin kürzlich auf dem Weg von Brüssel nach Köln in Utrecht ausgestiegen – da steht das größte Fahrradparkhaus der Welt. Warum können die so weit vorauszuschauen und wir nicht? Man könnte nach den tollen Erfahrungen mit dem 9-Euro-Ticket sofort den öffentlichen Nahverkehr kostenlos anbieten, zumindest für Geringverdiener. Solche Entscheidungen wären jetzt dringend nötig.
Es wird oft darüber diskutiert, wie wichtig es sei, die Klimaerwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts bei maximal zwei Grad zu halten. Warum gerade zwei Grad?
Schwanke: In den vergangenen 60 Jahren ist die weltweite mittlere Temperatur nur um 0,8 Grad gestiegen. In Köln sind die Hitzewellen in den vergangenen 60 Jahren aber um fünf Grad wärmer geworden. Damals lagen sie im Schnitt bei 31 Grad, heute bei 36 Grad, mit Ausreißern Richtung 40. In 60 Jahren könnten wir in Köln im Mittel Hitzewellen von 40 bis 42 Grad haben, mit Ausreißern Richtung 45 Grad. Darauf ist hier niemand eingestellt. Deswegen müssen wir tatsächlich um jedes Zehntel Grad kämpfen.
Und das fängt bei jedem Einzelnen an? Was tun sie selbst?
Mörtter: Ich fahre mit Beinkraft nach Kopenhagen. Esse nur noch sehr wenig Fleisch. Fliege nicht mehr in den Urlaub. Ich trage nach Möglichkeit in Deutschland produzierte Kleidung, kaufe regionale Produkte. Ich mache auch immer noch oft das falsche – bin aber viel empfänglicher geworden für den notwendigen Wandel.
„Fußabdrucksrechner war Idee eines Ölkonzerns“
Schwanke: Ich habe garantiert einen relativ hohen CO2-Ausstoß, schon weil ich pendele. Ich bin kein Vorzeigemensch, was Klimaschutz angeht. Das entscheidende ist aber, dass wir die Welt nicht retten, indem wir auf jeden Menschen zeigen. Ich habe gelesen, dass die CO2-Fußabdrucksrechner eine Idee eines großen Ölkonzerns war, in den 1980er Jahren. Damit drehe ich den Spieß um von den großen Emittenten zu dem kleinen – eine geschickte Strategie. Es funktioniert aber nicht, zu sagen: Ihr müsst euch einschränken, weniger Fleisch essen, weniger Autofahren. Es geht um eine Verkehrswende, eine Wende in der Landwirtschaft, eine viel schnellere Umstellung auf erneuerbare Energien, die viele Jahrzehnte aktiv politisch verhindert wurden.
Benefizkonzert am 30. September
Das dritte S.O.S.-Benefizkonzert am 30. September in der Philharmonie widmet sich dem Klimawandel. In Interviews werden Hans Mörtter, Karsten Schwanke und Sina Kloke die Fakten der Klimakatastrophe beleuchten, Utopien und Handlungsmöglichkeiten entwerfen. Die künstlerische Bandbreite erstreckt sich von klassischer Musik über Jazz, Rock, Pop und Tanz. Es treten auf: Fortuna Ehrenfeld, Zass, Christoph Broll, Sina Kloke, WDR Chambers Players, Rolly & Benjamin Brings, Markus Reinhardt, Repercussion, Sugar Rae, Michael Kokott & Chöre, Michael Faust & Emily Hoile. Tickets: https://www.koelner-philharmonie.de/de/programm/sos-saveoursouls/2724
(uk)
Mörtter: Genau. Wir brauchen einen Bewusstseinswandel, und dafür braucht es die Politik, die handelt. Wir wollen mit S.O.S auf die Dramatik aufmerksam machen. Es ist nicht fünf vor 12, es ist fünf nach 12.
Was macht Ihnen Hoffnung, dass Deutschland ein Vorreiter beim Klimaschutz wird – beim Verkehr ist das Land ja nicht gerade weit vorn?
Schwanke: Die Länder und Regionen, die als erste zeigen, dass es geht mit ausschließlich erneuerbaren Energien, werden sich über längere Zeit an die Weltspitze katapultieren. Wir denken zu oft an das, was früher war, schützen die alten Industrien. Deutschland war mal bei der Solarplattenentwicklung führend, und haben dann innerhalb kürzester Zeit 100 000 Arbeitsplätze in Deutschland gehen lassen, ohne großen Aufschrei – das darf nicht nochmal passieren.
Mörtter: Auch für die Wirtschaft gilt: es braucht einen Bewusstseinswandel. Jetzt.
„Wenn wir nichts tun, gehen wir unter“
Schwanke: Jede ökonomische Entscheidung müsste zuerst durch die Klimabrille gesehen werden.
Mörtter: Wenn wir das nicht tun, wenn wir nicht nach oben gucken, gehen wir unter. Aber mit unserer Veranstaltung wollen wir nicht den Teufel an die Wand malen, im Gegenteil. Wir wollen Optimismus verbreiten. Wir können etwas bewegen! Wenn wir uns engagieren und die Stimme erheben, bewirken wir etwas!
Tickets für das Benefiz-Konzert am 30. September in der Philharmonie: