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KindesmissbrauchJörg L. sagt zum ersten Mal vor Gericht aus und verharmlost Taten

Lesezeit 4 Minuten

Jörg L. auf dem Weg zur Anklagebank.

  1. Am Montag sagte Jörg L. erstmals vor Gericht aus. Im Missbrauchs-Komplex von Bergisch Gladbach spielt er eine entscheidende Rolle.
  2. In seiner Aussage sprach der 43-Jährige über seine Kindheit, in der er selbst missbraucht worden sein soll.
  3. Und er sprach über die Angst, dass seine Taten ans Licht kommen. Seine knapp zwei Jahre alte Tochter missbrauchte er trotzdem weiter.

Köln/Bergisch Gladbach – Als die Polizei im Januar 2019, neun Monate vor seiner Verhaftung, den massenhaften und jahrelangen Missbrauch an Kindern auf einem Campingplatz in Lügde bekannt gibt, bekommt es Jörg L. zu Hause in Bergisch Gladbach mit der Angst zu tun.

Nicht etwa, weil er an den Taten in Westfalen in irgendeiner Form beteiligt gewesen wäre. Sondern weil er zu diesem Zeitpunkt mutmaßlich schon seit Monaten seine knapp zwei Jahre alte Tochter sexuell missbrauchte. Meistens auf dem heimischen Wickeltisch, manchmal im Ehebett oder im Planschbecken, auch im Holland-Urlaub in Nieuwvliet-Bad und auf Mallorca – all das ohne Wissen seiner Ehefrau. Von den Taten soll er Bilder und Videos angefertigt und in Handy-Chats über den Messenger Threema an Gleichgesinnte verteilt haben.

„Ich habe von einer Hausdurchsuchung geträumt“

Es habe stets die Angst bestanden, dass das herauskommt, vertraute Jörg L. dem psychiatrischen Gutachter Friedrich Krull in zwei längeren Gesprächen während seiner Untersuchungshaft an. „Als Lüdge bekannt wurde, habe ich von einer Hausdurchsuchung geträumt.“ Und dennoch, er hörte nicht auf, im Gegenteil: Wochen später soll er mit seinem Kumpel Bastian S. in einer Wellness-Sauna im Ruhrgebiet die beiden eigenen Kinder missbraucht haben. Er habe darüber nachgedacht, sich Hilfe zu holen, sagte der 43-Jährige dem Psychiater. Aber er habe es dann doch nie getan – aus Angst und Scham.

Krull hat am Montag im Prozess gegen Jörg L. vor dem Kölner Landgericht als Zeuge ausgesagt. Sein Gutachten wird der Sachverständige an einem der kommenden Prozesstage vorstellen. L., ein gelernter Koch und Hotelfachmann, gilt als Hauptfigur im so genannten Missbrauchskomplex Bergisch Gladbach, weil er der erste Beschuldigte eines mehr als 30.000 Tatverdächtige umfassenden losen Netzwerks pädokrimineller Täter war, gegen die die Polizei bundesweit ermittelt. Sollte der Krankenhauspförtner verurteilt werden, droht ihm die Sicherungsverwahrung.

L.s Mutter soll von ihrem Vater missbraucht worden sein

Dem Gutachter gegenüber betonte L., er habe seiner Tochter nie Gewalt angetan. Seine Wunschfantasie und die seiner vier engsten Vertrauten in den Threema-Chats sei die „gewaltlose Masturbation oder Oralverkehr ohne Zwang“ gewesen. „Gewalt war uns zuwider.“ Seine Tochter sei in der Lage gewesen, „Nein“ zu sagen oder sich wegzudrehen, wenn ihr etwas nicht passte. Staatsanwaltschaft und Polizei indes haben durchaus auch Fälle zusammengetragen, in denen Jörg L. dem Mädchen zum Beispiel die Beine so weggedreht haben soll, dass er das Kind während seiner Taten besser filmen konnte.

Sexueller Missbrauch scheint sich durch L.s Familie zu ziehen. Seine Mutter soll von ihrem Vater missbraucht worden sein. Als 16-Jähriger soll L. seine damals neun Jahre alte Cousine „vier- oder fünfmal“ zum Sex gezwungen haben. Vom Vorsitzenden Richter darauf angesprochen, sagt L. am Montag, konkrete Erinnerungen daran habe er nicht. In einem der Threema-Chats soll L. den Missbrauch seiner Cousine allerdings ausgebreitet haben. „Das war übertrieben“, sagt er heute dazu. In den Chats werde generell vieles zugespitzt. Wie es denn für ihn gewesen sei, seiner Cousine bei ihrer Zeugenaussage vor Gericht zuzuhören, fragt der Richter. L. bringt darauf nur ein Wort heraus: „Schwer.“

Mitinsassen sollen nicht wissen, warum Jörg L. einsitzt

Am Abend, nachdem die Polizei im Oktober 2019 sein Haus durchsucht und jede Menge Beweismaterial sichergestellt hatte, eröffnete Jörg L. seiner Ehefrau nicht nur den Missbrauch an der gemeinsamen Tochter, sondern auch, dass er als Kind mehrfach von einem 16 Jahre alten Nachbarsjungen missbraucht worden sei. Er habe das als „unangenehm“ empfunden und gewollt, „dass das aufhört“, schilderte L. dem Psychiater. In den Threema-Chats wiederum soll er den Missbrauch als positive Erfahrung dargestellt haben. Er habe das nur „schöngeredet“, behauptet L. auf Vorhalt der Staatsanwältin, weil er die Taten nie richtig aufgearbeitet hätte.

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Ein sexuelles Interesse an Kindern will er bei sich erstmals 2003 oder 2004 festgestellt haben, als er im Internet zufällig auf ein Kinderporno-Foto gestoßen sei. Danach sei jahrelang „nichts in diese Richtung“ passiert, erst 2014 sei er wieder mit entsprechenden Fotos konfrontiert worden, wiederum zufällig, als er im Netz nach „Teenporn“ gesucht habe. Von da an habe sich sein Interesse verstärkt.

Im Gefängnis indes ist Jörg L. unter einer Legende inhaftiert. Die Mitinsassen sollen nicht wissen, warum er tatsächlich einsitzt, Missbrauchstäter sind oft Repressalien ausgesetzt. An der Freistunde oder am Umschluss mit anderen Gefangenen nehme er kaum Teil, sagt er. Aus seinem alten Umfeld will ihn offenbar auch niemand sehen. Freunde und Kollegen haben sich abgewandt. Nur sein Vater und der Bruder denken darüber nach, ihn bald zu besuchen.