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Kölner Kitas in der Krise„Die Kinder leiden, weil Bezugspersonen immer wieder wegbrechen“

Lesezeit 4 Minuten
Ein Kind spielt mit einer Erzieherin im Sandkasten einer Kita.

Die Engpässe in den Kitas haben Auswirkungen auf das Wohlbefinden der Kinder.

Wissenschaftler warnen vor den negativen Auswirkungen von Stressbelastung in den ersten Lebensjahren vieler Kinder.

300 Wissenschaftler und Organisationen prangerten kürzlich in einem offenen Brief an die Parteispitzen und die Regierung die Überlastung vieler Kitas in Deutschland an. Sie warnten vor einer Gefährdung des Kinderwohls. Sabrina Wagner gehörte zu den Unterzeichnern. Sie ist in Köln Geschäftsführerin der Diakonie Michaelshoven, die 19 Kitas betreibt.

Warum haben Sie den Aufruf unterschrieben?

Weil hier die Perspektive der Kinder im Mittelpunkt steht. Dass die derzeitige Lage schwierig ist für Eltern und auch für pädagogisch Mitarbeitende, wird regelmäßig thematisiert. Aber es ist eben auch für die Kinder belastend, wenn die Betreuung oft ausfällt. Das begründet dieser Aufruf wissenschaftlich fundiert.

Was hat der immer deutlicher steigende Ausfall an Betreuungszeiten für Auswirkungen auf Kinder?

Da ist zum einen das Thema Bildung. Wir sind ja nicht nur eine Betreuungseinrichtung, sondern eine wichtige Bildungseinrichtung. Wenn die Betreuung regelmäßig ausfällt, gibt es viel weniger Förderung von Sprache und Motorik – darunter leiden auch die Kinder.

Wie geht es den Kindern emotional? In dem Aufruf werden Erschöpfungs- und Stresssymptome schon bei den Kleinen beklagt...

Hintergrund ist der Wegfall von Bezugspersonen. Der Krankheitsstand ist hoch. Hinzu kommt, dass viele Erzieherinnen aus dem Bereich Kita rausgehen, weil sie erschöpft sind. Das bedeutet ganz viele Beziehungsabbrüche. Und das ist immens belastend für die Kinder. Gerade die Kleinen unter drei Jahren brauchen feste Bezugspersonen. Wir nehmen das im Alltag wahr: Die Kinder leiden, weil diese immer wieder wegbrechen.

Sabrina Wagner, Geschäftsführerin Diakonie Michaelshoven

Wie gehen die Einrichtungen mit den Engpässen um?

Den Kindern in unseren Einrichtungen geht es gut. Aber eben nur deshalb, weil wir so oft die Betreuung einschränken und die sogenannten Notfallpläne in Kraft treten. Nur so können wir die Engpässe kompensieren. Überfüllte Gruppen mit viel zu wenig Personal betreiben, das dürfen wir laut Kinderbildungsgesetz nicht. Mit den Notfallplänen reduzieren wir immer wieder die Anzahl der Kinder auf die Zahl, die wir pro Gruppe betreuen dürfen. Dadurch haben wir keine vernachlässigten Kinder in den Einrichtungen. Aber die Situation ist nicht zufriedenstellend.

Weil Kinder immer öfter alleine Zuhause sitzen, statt in der Kita mit anderen Kindern zu spielen....

Ja genau. Neben den Beziehungsabbrüchen ist die soziale Isolation der Kinder das Hauptproblem. Wenn die Betreuung oft eingeschränkt ist und Notfallpläne greifen, können viele Kinder gar nicht in die Einrichtung kommen. Sie sind isoliert von ihrem sozialen Umfeld. Dieser Mangel an Interaktion mit Gleichaltrigen hat langfristige Folgen. Das wirkt sich dann etwa bei der Einschulung aus, wenn es Schwierigkeiten gibt, sich in Gruppen einzufinden.

Wie sehen solche Notfallpläne aus in ihren Einrichtungen?

Um zu gewährleisten, dass der Mindestpersonalschlüssel eingehalten wird, gibt es verschiedene Schritte. Man spricht erst Eltern an, ob sie freiwillig die Betreuungszeit reduzieren oder ob sie bei Engpässen ihre Kinder nicht bringen. Dann kann man eine Gruppe schließen. Alternativ gibt es die Option, später zu öffnen oder früher zu schließen. Eigentlich soll nur im Notfall reduziert werden. Aber der ist leider Alltag. Dadurch ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine tägliche Nervenprobe, die nicht zu bewerkstelligen ist.

Die Krankheitstage bei den Kita-Beschäftigten sind im vergangenen Kita-Jahr weiter massiv angestiegen. Wie bewerten Sie das?

Das bedeutet eine rundum belastende, sich immer weiter verstärkende Situation. Wenn es Krankheitsfälle gibt, sind Mitarbeitende, die noch da sind, immer zusätzlich gefordert. Sobald die eine aus der Krankheit zurückkommt, ist der andere dann so fertig, dass er in die Erkrankung fällt. Aus diesem Kreislauf müssen wir rauskommen. Hinzu kommt, dass es viel mehr Ausbildungsabbrüche gibt und uns der Nachwuchs an pädagogischen Mitarbeitenden so wegbricht. Es gibt nicht nur mehr Krankheitstage, es fallen immer mehr Mitarbeitende in Langzeiterkrankung. Außerdem orientieren sich viele um, weil sie eine zu hohe Belastung verspüren.

Was müsste politisch passieren, um diesen Teufelskreis zu brechen?

Wir könnten in unseren 19 Kitas viel mehr Bewerber einstellen, die bei uns anfangen wollen. Uns sind aber die Hände gebunden, weil das Kinderbildungsgesetz einen bestimmten Personalschlüssel vorsieht und darüber hinaus keine Finanzierungsmöglichkeit besteht. Wir haben auf dem Papier alle Stellen belegt, aber im Praktischen ist das zu wenig. Weil es über den Mindestpersonalschlüssel hinaus keine Finanzierung gibt, können wir nicht zusätzlich einstellen, um die vielen Krankheitsausfälle zu kompensieren. Natürlich ist das je nach Standort unterschiedlich. Es gibt auch Kitas, die ihre offenen Stellen nicht besetzen können, weil es insgesamt nicht ausreichend Fachkräfte gibt.

Wie soll der Beruf denn attraktiver werden?

Wir brauchen eine umfassende Reform des Kitasystems! Politisch muss der Bereich Kitas viel stärker priorisiert werden, um frühkindliche Bildung zu fördern. Die pädagogischen Mitarbeitenden brauchen Entlastung und die Eltern auch. Schon die Erhöhung des Mindestpersonalschlüssels hätte einen Effekt, um Fachkräfte zu gewinnen und Ausbildungsabbrüche zu vermeiden: Es gäbe weniger Überforderung. Alle könnten ihren Aufgaben gerecht werden und der Job wäre attraktiv und wirksam.