Der Klimawandel ist eine der größten Herausforderungen der Menschheit. Doch wie viel Zeit haben wir eigentlich noch? Eine Studie könnte helfen, neue Antworten zu liefern.
„Es gibt mehrere Kippelemente“Kölner Forscher finden in Äthiopien Frühwarnsignale für den Klimawandel
Zeitreisen sind nach aktuellem Stand der Wissenschaft zwar unmöglich, aber stellen Sie sich trotzdem einmal kurz vor, dass wir die Vergangenheit erkunden könnten: Unser Ziel ist das Jahr 10.000 v. Chr., auf dem afrikanischen Kontinent.
In der Sahara stoßen wir auf eine grüne Idylle. Graslandschaften, Wälder, Flüsse, Seen. Ein Paradies für viele verschiedene Tierarten und Menschen, die das Gebiet besiedelt haben. Sie sah in der Vergangenheit phasenweise immer mal wieder so aus. Bekannt sind die Zeiten der grünen Sahara als „afrikanische Feuchtphasen“. Vor rund 5000 Jahren endete die Letzte.
Flackerndes Klima in der Sahara durch Studie nachgewiesen
Es ist das markanteste Beispiel in der jüngeren Erdgeschichte für sogenannte Klimakipppunkte. Sie entstehen, wenn bestimmte Klimasysteme durch äußere Einflüsse wie Umweltveränderungen oder menschliche Eingriffe gestört werden. Überschreiten sie kritische Schwellenwerte, kippen sie – wodurch sich das Klima der Erde dauerhaft und tiefgreifend verändern kann. Das geschah vor tausenden Jahren in der Sahara: Sie trocknete aus und verwandelte sich in die neun Millionen Quadratkilometer große, lebensfeindliche Wüste der Jetztzeit.
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In der Wissenschaft sind mehrere solcher Kippelemente bekannt, deren Veränderung den Klimawandel beschleunigen könnten. Dazu gehören der Amazonasregenwald, der von Abholzung bedroht ist, sowie die Eisschilde der Polkappen, die durch die Erderwärmung schmelzen. Wann diese Kipppunkte genau erreicht werden könnten, ist bislang nicht präzise vorhersehbar und Gegenstand der derzeitigen Forschung weltweit.
Die Ergebnisse einer Studie eines internationalen Forschungsteams, an der auch die Universität zu Köln beteiligt war, könnte dazu beitragen, das Verständnis von Kipppunkten zukünftig zu verbessern. „Wir haben 620.000 Jahre Klimageschichte analysiert und können nachweisen, dass das Klima während des historischen Klimawandels zunächst heftig tausende Jahre lang flackerte, bevor die afrikanischen Feuchtphasen endeten“, erklärt die beteiligte Kölner Geografin Verena Förster-Indenhuck.
„Flackern“ ist ein heftiges Schwanken des Klimas: Etwa alle 160 Jahre wechselten sich trockene und feuchte Phasen in der Sahara und im östlichen Afrika ab, die jeweils 20 bis 80 Jahre andauerten. Bis der Kipppunkt erreicht wurde und sich das trockene Klima durchsetzte. Bislang ließ sich dieser Prozess nur theoretisch modellieren, jetzt gibt es konkrete Daten. Der Nachweis ist ein wissenschaftlicher Durchbruch, der nicht nur erklärt, wie die größte Trockenwüste des Planeten entstand, sondern auch beim Verständnis des derzeitigen Klimawandels helfen kann.
„Indiana-Jones-mäßig“: 280 Meter tiefe Bohrungen in einem ausgetrockneten See
Bereits vor 14 Jahren begann die Arbeit an der Studie. Zunächst mit einer Vorstudie – der Doktorarbeit von Förster-Indenhuck – sowie jahrelanger Planung. Im November 2014 begann dann ein aufwendiges und teures Mammutprojekt: Die Kölner Geografin reiste als Teil eines 30-köpfigen Teams aus Wissenschaftlern und Ingenieuren nach Äthiopien. Ziel war das Chew-Bahir-Becken im Süden des Landes, etwa zwei Tagesreisen von der Hauptstadt Addis Abeba entfernt.
Während der afrikanischen Feuchtphasen war das Becken noch ein gefüllter Süßwassersee, inzwischen ist er ausgetrocknet – nur eine flache, salzhaltige Pfütze sammelt sich dort zu Regenzeiten. Aus dem Chew-Bahir-Becken kann wegen der besonderen tektonischen Beschaffenheit nichts abfließen, weshalb es laut Förster-Indenhuck eine „riesige Sedimentfalle“ sei. Dadurch habe sich dort über Jahrtausende ein „hervorragendes Klimaarchiv“ aufgebaut. Schicht für Schicht sammelten sich dort verschiedene Ablagerungen wie Mineralien, Pollen und Algen an. So etwas gibt es nur selten.
Sechs Wochen lang wurde in penibler Kleinstarbeit das äthiopische Klimaarchiv geborgen. Mehrere Tiefbohrungen führte das Team um Verena Förster-Indenhuck im Chew-Bahir-Becken durch, teilweise bis zu 280 Meter tief in die Erde. Um die einzelnen Schichten, die mit den unterschiedlichen Ablagerungen Informationen enthalten, nicht zu zerstören oder zu vermengen, musste dabei besonders behutsam vorgegangen werden. Es handelt sich schließlich um wertvolle Kapitel Jahrtausend alter Klimageschichte. Daher musste das Forscherteam in Etappen arbeiten und trug die Bohrkerne in jeweils maximal Drei-Meter-Schritten ab. Wenn es gut lief, schafften sie es so täglich vielleicht 60 Meter weiter in die Tiefe vorzudringen.
Das alles noch unter erschwerten Bedingungen. „Da gibt es keine Straßen, kein fließendes Wasser, keine Elektrizität, gar nichts – nur viele Moskitos“, erinnert sich die Kölner Geografin. Hinzu kamen noch drückende Hitze, Krokodile und der ansässige, mit Kalaschnikow-Gewehren bewaffnete Hamar-Stamm, mit dem sich das Forscherteam zunächst gut stellen musste – der sie dann bei der Arbeit sogar unterstützte. Förster-Indenhuck: „Das kann man sich tatsächlich so Indiana-Jones-mäßig vorstellen, wie es sich anhört.“ Aber genau das mache ihren Job so spannend.
Forschungsergebnisse könnten helfen, den Klimawandel besser zu verstehen
Nachdem die Kerne in Äthiopien erbohrt wurden, ging es ins Labor zur Analyse. Inzwischen liegen Daten vor, die laut Förster-Indenhuck ein „Gold-Nugget der Klimarekonstruktion“ darstellen. 620.000 Jahre Geschichte in einer „fast dekadischen Auflösung“. Die Wissenschaftler können nun nachvollziehen, wie das Klima im Jahr 500.000 v. Chr. gewesen sein dürfte.
Jedoch sei die größte Erkenntnis, dass die Klimaübergänge mit dem tausende Jahre andauernden Flackern, dem heftigen Schwanken zwischen feuchtem und trockenem Klima, nicht nur einmal vorkamen. Laut Verena Förster-Indenhuck würden die Daten dieser Ereignisse im Klimaarchiv der Wissenschaftler „fast wie eine Kopie voneinander aussehen“, dazwischen liegen aber jeweils Hunderttausende von Jahren. Es muss also ein typisches Phänomen sein, das auftritt, wenn das Klima bald kippt. Ein Frühwarnsignal.
Das kann auch in der Zukunft von Nutzen sein. Die Forschungsergebnisse, an denen sich auch Forschende der Universitäten Potsdam, Aberystwyth (Wales) und Addis Abeba (Äthiopien) beteiligten, könnten dazu dienen, den aktuellen Klimawandel besser zu verstehen und Modelle zu verbessern. „Es gibt mehrere Kippelemente auf der Welt, wo es gerade besonders brenzlig ist“, sagt Förster-Indenhuck, „nun könnte sich ableiten lassen, wann der Punkt erreicht ist, wenn es zu spät ist“. Im besten Fall führe das bessere Verständnis aber dazu, dass es gar nicht erst dazu kommt, weil der Klimawandel gesellschaftlich und politisch ernster genommen wird.