AboAbonnieren

Fragwürdige KlimaschutzprojekteZweifel an „Ökogas“-Versprechen von Gasversorgern – Rhein-Energie stoppt Angebot

Lesezeit 8 Minuten
Ein Holzfäller fällt mit einer Kettensäge im Regenwald des Amazonas einen Baum.

Mit sogenannten Kompensationsgutschriften soll verhindert werden, dass der Regenwald im Amazonas abgeholzt wird. Sie werden von Unternehmen gekauft, um die eigene Emissionen wiedergutzumachen – doch vieles daran ist fraglich.

Bundesweit sollen 116 Gasversorger mit Emissionsgutschriften fragwürdige Klimaschutzprojekte unterstützt haben – 42 davon aus NRW.

Kochöfen in Afrika, deren Effekt zweifelhaft sein soll, Regenwaldareale in Brasilien, die dem angeblichen Eigentümer nicht gehören oder Wasserkraftwerke, die nicht berücksichtigt werden dürften und sogar Überschwemmungen verursachen. Es ist abenteuerlich und kaum zu glauben, was beim Handel mit Emissionsgutschriften so alles passiert sein soll. Bei vielen Projekten, bei denen Kohlenstoff (CO₂) angeblich eingespart wird, soll getrickst und getäuscht worden sein. Und die Prüfer, die die Richtigkeit zertifiziert und mit einem Elite-Siegel versehen haben, sollen nicht richtig hingeschaut haben.

Um Emissionen auszugleichen, können Unternehmen, Regierungen und Privatpersonen Emissionsgutschriften von Klimaschutzprojekten kaufen. Das Prinzip, das dahintersteckt, nennt sich Kompensation: Man könnte auch Wiedergutmachung sagen. Eine Gutschrift soll einer Tonne CO₂ entsprechen, die eingespart oder reduziert wurde. Der Markt wird zwar von keiner staatlichen Stelle reguliert, die Projekte müssen aber trotzdem Vorgaben erfüllen: Sie müssen beispielsweise „zusätzlich“, also ohne den Verkauf von CO₂-Gutschriften nicht zu realisieren sein. Emissionsreduktionen müssen realistisch bewertet und dauerhaft sein. Sie dürfen nicht mehrfach angerechnet werden – und weder die Umwelt noch Menschen beeinträchtigen oder gar schaden.

116 Gasversorger mit fragwürdigen Klimaschutzprojekten

Auch deutsche Gasversorger kaufen diese Gutschriften. Viele nehmen das zum Anlass, um mit Begriffen wie „Ökogas“ zu werben oder Klimaneutralität zu versprechen. Das Recherchenetzwerk Correctiv.Lokal hat Kompensationsaktivitäten von 150 Gasversorgern von 2011 bis 2024 gemeinsam mit Wissenschaftlern und Experten untersucht, die in den öffentlichen Registern Verra und Gold Standard hinterlegt sind. Ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, sei das Ergebnis: 116 Gasversorger sollen mit dem Kauf von Gutschriften fragwürdige Klimaschutzprojekte unterstützt haben, 42 davon aus NRW.

Alles zum Thema Rheinenergie

Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ konnte die recherchierten Daten von Correctiv vorab einsehen – denn auch Gasversorger aus dem Großraum Köln haben offenbar Gutschriften eingekauft, mit denen vermutlich weniger Emissionen reduziert oder vermieden worden sind, als versprochen wurde.

Rhein-Energie fordert Zertifizierer auf, die Vorwürfe zu prüfen

Der Gasversorger Rhein-Energie aus Köln beispielsweise kaufte 100.356 Gutschriften aus 17 Projekten, während der Euskirchener Versorger E-Regio und dem Tochterunternehmen Logo-Energie 7165 und die Stadtwerke Sankt Augustin 438 Gutschriften von jeweils zwei Projekten erwarben. Nachdem unsere Redaktion Rhein-Energie mit den Ergebnissen der Untersuchung konfrontiert hat, stoppte das Unternehmen ihr „Ökogas“-Angebot für Unternehmenskunden.

Derartige Angebote für Privatkunden gebe es seit drei Jahren nicht mehr, sagte Unternehmenssprecher Christoph Preuß. „Wir begrüßen es ausdrücklich, dass Correctiv und die verbundenen Organisationen sich kritisch mit dem System der Zertifizierung auseinandersetzen und Überprüfungen vornehmen“, ergänzte er. Ob die Vorwürfe in allen Projekten gerechtfertigt seien, werde in einigen Fällen noch zu klären sein. Rhein-Energie jedenfalls werde von den Organisationen und Firmen, die die Projekte zertifiziert haben, konkrete Prüfungsverfahren verlangen. Die gilt auch für die Stadtwerke Sankt Augustin, für die Rhein-Energie alle „Dienstleistungen rund um die Energiebeschaffung und das Produktdesign“ übernehme, heißt es auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“. E-Regio aus Euskirchen nehme die Rechercheergebnisse zum Anlass, die „Kompensationspraxis grundlegend auf den Prüfstand zu stellen“.

Die Zentrale der Rheinenergie am Parkgürtel in Ehrenfeld.

Die Zentrale der Rheinenergie am Parkgürtel in Ehrenfeld.

„Bis zum Vorliegen von Ergebnissen jedenfalls werden wir unser Angebot für Geschäftskunden pausieren und keine neuen Kompensationsvereinbarungen mehr treffen“, so Preuß. Und überhaupt ziele die Strategie des Unternehmens darauf ab, „den Einsatz fossiler Brennstoffe bis 2035 überflüssig zu machen und die Strom- und Wärmeversorgung der Rhein-Energie perspektivisch vollständig zu dekarbonisieren“. Etwa durch Windkraft und Photovoltaik oder „den Bau von Europas größter Flusswasser-Wärmepumpe in Köln“.

Kochöfen in Afrika gegen den Klimawandel

1175 CO₂-Gutschriften der Rhein-Energie und 198 der Stadtwerke Sankt Augustin stammen aus zwei Projekten in Afrika: In Ghana und Uganda wurden nach Angaben der beiden Betreiber über eine Million zylinderförmigen Kochöfen aus Metall und Keramik verteilt. Sie sollen effizienter und damit weniger schädlich sein, als über offenem Feuer zu kochen.

Ob diese Projekte überhaupt CO₂-Emissionen aus Deutschland kompensieren können, ist fraglich. Eine Studie der University of California aus diesem Jahr kam zu dem Schluss, dass Kochöfen-Projekte achtmal weniger Kohlendioxid einsparen, als sie angegeben. Vermutlich würden die Projektentwickler von höheren Werten ausgehen, jedoch ließe sich nicht einschätzen, wie und wie oft die Menschen in Ghana und Uganda ihre neuen Öfen im Alltag überhaupt nutzen. Gleichzeitig sei der Schaden, den ein offenes Feuer verursache, geringer als eigentlich angenommen.

Dubiose Grubengas-Projekte im Ruhrgebiet

20.291 Gutschriften kaufte Rhein-Energie aus zehn Projekten im Ruhrgebiet – sogenannten Grubengasanlagen. Auf stillgelegten Schächten alter Zechen unter anderem in Gelsenkirchen, Duisburg und Dortmund saugen sie ein überwiegend aus Methan bestehendes Gasgemisch ab, das in den alten Bergwerken entsteht. Das ist nicht nur für das Klima wichtig, denn das Gasgemisch ist auch explosiv. Mit dem Grubengas werden Kraftwerke betrieben, die Strom und Wärme in das Netz einspeisen.

Martin Cames vom Öko-Institut hat für den „Kölner Stadt-Anzeiger“ die von Rheinenergie erworbenen Emissionsgutschriften analysiert.

Martin Cames vom Öko-Institut hat für den „Kölner Stadt-Anzeiger“ die von Rheinenergie erworbenen Emissionsgutschriften analysiert.

Diese zehn Projekte sind zwar ökologisch sinnvoll – zur Kompensation der CO₂-Emissionen von Rhein-Energie seien sie jedoch aus mehreren Gründen nicht geeignet, sagt Martin Cames vom Öko-Institut, einem gemeinnützigen Umweltforschungsinstitut. Der Wissenschaftler moniert unter anderem die fehlende Zusätzlichkeit. „Grubengas wird auch im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) gefördert“, sagt Cames. Das habe schon ausgereicht, damit das Projekt realisiert wurde. Auch die „Deutsche Emissionshandelsstelle“ hatte die CO₂-Gutschriften deshalb nicht anerkannt. Eine Entscheidung, die das Verwaltungsgericht Berlin bestätigte. „Insofern sind die aktuell genutzten Credits aus diesen Projekten für die Kompensation ungeeignet und wertlos“, so Cames.

Außerdem sei es problematisch, „dass man bei den Projekten im Ruhrgebiet keinerlei Transparenz hat“, lautet ein weiterer Kritikpunkt des Wissenschaftlers vom Öko-Institut. Im Verra-Register sind bis auf die Kompensationskäufe kaum Daten zu finden. Die zehn Grubengasanlagen wurden alle am 4. Juni 2020 angemeldet. Fünf davon sollen aber teilweise schon Jahre davor nicht mehr aktiv gewesen sein, wie das NRW-Wirtschaftsministerium mitteilt. „Das ist alles ziemlich dubios“, meint Martin Cames.

Landraub und Geldwäsche im brasilianischen Regenwald

Noch mehr Gutschriften – 23.254 insgesamt – hat Rhein-Energie von zwei Projekten in Brasilien gekauft. Mit ihnen soll die Abholzung von Teilen des Amazonas-Regenwalds verhindert werden. Die Projekte seien aber nicht dazu geeignet, die Emissionen des Kölner Gasversorgers zu kompensieren, sagt etwa die Biologin Jutta Kill. Zum einen, weil sie auf zweifelhaften Versprechen beruhen. „Die Projektbetreiber behaupten, dass sie die illegale Abholzung auf ihrem Land ohne zusätzliches Einkommen für mehr Kontrollmaßnahmen nicht verhindern könnten – damit das nicht passiert, verkaufen sie dann CO₂-Gutschriften“, so Kill. In Wirklichkeit sei der Wald aber gar nicht von Abholzung bedroht.

Die Biologin Jutta Kill beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit dem Handel von Emissionsgutschriften.

Die Biologin Jutta Kill beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit dem Handel von Emissionsgutschriften.

Oft seien auch die Besitzansprüche auf das Land ungeklärt. „Projektbetreiber deklarieren Wald als Privatbesitz, obwohl es in Wahrheit um öffentliches Land geht“, sagt die Biologin, die sich schon mehr als 20 Jahre mit diesen Themen beschäftigt. Den Projektbetreibern sei Landraub und in einem Fall sogar Geldwäsche vorgeworfen worden. Tatsächlich hat Verra eines der Projekte, von dem Rhein-Energie etliche Emissionsgutschriften bezogen hat, im vergangenen Jahr „suspendiert“. Derzeit also werden auf der Plattform keine Gutschriften des Anbieters mehr verkauft.

Hinzu komme, dass die CO₂-Einsparungen für Projekte dieser Art oftmals überschätzt würden, so Kill. Das liege daran, dass niemand garantieren könne, wie lange die Waldflächen überhaupt vor einem Kahlschlag sicher sind. Das von Verra suspendierte Projekt ist bis 2048 angesetzt, ein anderes sogar nur bis 2039. Was danach passiert, wisse niemand.„ Im Zweifel wird der Regenwald dann abgeholzt“, so Kill. Der in den Bäumen gespeicherte Kohlenstoff werde dann freigesetzt – und der Schaden für das Klima bleibe dann über Jahrtausende.

Tödliche Erdrutsche und Überschwemmungen in Indien

Die meisten Kompensationszahlungen der Rhein-Energie, die durch die Correctiv-Recherche in der Kritik stehen, beziehen sich auf Wasserkraftwerke in Indien. 55.636 Gutschriften hat der Kölner Gasversorger von Projekten im Bundesstaat Himachal Pradesh im Norden des Landes gekauft. Aber auch hier sei es so, dass die Vorhaben ohne Einnahmen durch verkaufte Gutschriften realisiert worden wären – denn schon Hunderte Wasserkraftwerke wurden in der Region gebaut. Sie seien schlichtweg profitabel und deshalb „offensichtlich nicht zusätzlich“, sagt die Biologin Kill.

Aber die Projekte in Himachal Pradesh werfen auch noch andere Fragen auf. Gegenüber Correctiv erklärte die indische Umweltaktivistin Manshi Asher vom Himdhara Collective, dass nur beteiligte Konzerne von den in den vergangenen Jahrzehnten errichteten Wasserkraftwerken profitierten, die unter anderem mit CO₂-Gutschriften finanziert wurden. Die Folgen für Menschen und Natur entlang des Flusses Satluj seien gravierend, einschließlich tödlicher Erdrutsche und Überschwemmungen. Eine Studie der Universität Heidelberg dokumentierte bereits 2011 die verheerenden Auswirkungen: Staudämme führten zum Verlust von Ackerland, Wohnraum und Lebensräumen, verschlechterten zudem die Wasserqualität und -verfügbarkeit.

Ein Wasserkraftwerk in Himachal Pradesh.

Hunderte dieser Wasserkraftwerke wie dieses wurden bereits in dem indischen Bundesstaat Himachal Pradesh gebaut.

Auch andere Gasversorger aus dem Verbreitungsgebiet des „Kölner Stadt-Anzeiger“ haben laut Correctiv in der Vergangenheit CO₂-Gutschriften aus indischen Projekten erworben: Die Stadtwerke Sankt Augustin haben von einem Wasserkraft-Projekt 240 Gutschriften gekauft. Mit „Ökogas“ oder ähnlichen Formulierungen werben die Stadtwerke Sankt Augustin allerdings nicht.

E-Regio aus Euskirchen macht ebenfalls nicht mit „Ökogas“ Werbung, hat aber 65 Gutschriften aus einem indischen Wasserkraftwerk bezogen. Dessen Tochterunternehmen Logo-Energie bietet derweil bundesweit Tarife für Geschäftskunden außerhalb des Versorgungsgebiets von E-Regio an, bei denen auf Wunsch der Erdgasverbrauch kompensiert werden kann. Besonders skurril: Dazu hat Logo-Energie 7100 CO₂-Gutschriften von einem indischen Gaskraftwerk erworben.

NRW-Ministerium: „Die Ergebnisse der aktuellen Recherche werden aufmerksam verfolgt“

Der freiwillige Kompensationsmarkt sei „global etabliert und wird staatlich kaum reguliert“, sagte ein Sprecher des nordrhein-westfälischen Ministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz. Sein Ministerium jedenfalls habe „keine Aufsicht über Kompensationsleistungen von Unternehmen“. Bei deren Handel jedoch sei es entscheidend, „Transparenz herzustellen und zu gewährleisten, dass CO₂-Gutschriften nur dann ausgegeben werden, wenn diese nachweislich zu einer dauerhaften Minderung von Emissionen führen“, so der Sprecher: „Vor diesem Hintergrund werden die Ergebnisse der aktuellen Recherche aufmerksam verfolgt.“

Das Urteil von Jutta Kill jedoch steht bereits fest. Statt Gutschriften einzukaufen, sollten deutsche Unternehmen sich besser fragen, „wie Emissionen ernsthaft eingespart werden können“. Der weltweite Kompensationsmarkt jedenfalls sei überflüssig. Und in einigen Fällen sogar „ein Schlaraffenland für halbseidene Klima-Profiteure“, so die Biologin: „Da wurden Millionen von Phantom-Gutschriften gehandelt, und einige Projektbetreiber sind mit heißer Luft und Prosa zu Millionären geworden.“


Diese Recherche ist Teil einer Kooperation des „Kölner Stadt-Anzeiger“ und Correctiv.Lokal. Das Lokaljournalismus-Netzwerk recherchiert zu verschiedenen Themen, darunter in einem Schwerpunkt über die Klimakrise. Weitere Infos unter correctiv.org/klima.