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Nach LärmbeschwerdenKölner Traditions-Gaststätte Thiebolds-Eck muss schließen

Lesezeit 4 Minuten
Fußball-Fans jubeln im Thiebolds-Eck.

Auch bei FC-Fans ist das Thiebolds-Eck beliebt, hier ein Foto aus dem Jahr 2020.

Ende des Jahres schließt mit dem Thiebolds-Eck eine weitere Traditionsgaststätte in Köln. Wie es weiter geht, ist unklar.

Sie ist eine der noch wenigen Kneipen, die zurecht als „urkölsch“ bezeichnet werden können. Die Wände des Lokals sind mit unzähligen Karnevalsorden sowie anderen Devotionalien von Dreigestirnen und Erinnerungen an Legenden des 1. FC Köln geschmückt. Einst gingen Berühmtheiten wie Hans Süper hier ein und aus. Überliefert ist auch, wie Blötschkopp Marc Metzger als Jungspund vor Stammgästen eine Rede vortrug, mit der er später im Gürzenich den Saal zum Toben brachte. Doch all das war einmal. Das Thiebolds-Eck, eine der letzten Traditionsgaststätten Kölns, wird geschlossen.

Köln: Thiebolds-Eck nahe dem Neumarkt schließt Ende des Jahres

„Ende des Jahres ist Schluss“, sagt Wirtin Tanja Fichtner. 15 Arbeitsplätze seien betroffen. Dabei lief das Geschäft nach eigenen Aussagen gut, doch die Brauerei hat der Betreiberin als Unterpächterin gekündigt. Grund waren vor allem wiederholte Lärmbeschwerden. Eine Klage vor Gericht sei letztendlich erfolglos geblieben.

Außenaufnahme des Lokals

Das Thiebolds-Eck ist eine Institution im Veedel.

Fichtner moniert vor allem die vorgeschriebenen Immissionsrichtwerte. So sieht die „Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm“ vor einem geöffneten Fenster ab 22 Uhr nur noch 35 Dezibel vor. „Eine Toilettenspülung hat aber schon 70“, sagt Fichtner. Man könne keine Gaststätte im Flüsterton betreiben. 2020 hatte Katarina Kayzer den Stab nach 21 Jahren an ihre Mitarbeiterin Tanja Fichtner weitergegeben.

Ob für das Lokal ein neuer Pächter gefunden werden soll oder für die Räume eine andere Nutzung vorgesehen ist, war bislang nicht zu erfahren. Die Geschäftsführung der Reissdorf-Brauerei wollte sich auf Anfrage nicht dazu äußern.

Blick auf die geschlossene Kneipe Alt-Sülz

133 Jahre wurde im Alt-Sülz Kölsch gezapft. Das Lokal ist seit Jahren geschlossen.

Vor dem Thiebolds-Eck hatten bereits zahlreiche Gaststätten ähnliche Probleme. Geradezu kurios war der Fall „Schulz“ in Neuehrenfeld: Weil die Musik aus zeitgemäßen Musikboxen und nicht – wie in einer Baugenehmigung von 1988 beschrieben – aus einem Kassettenrekorder kam, machte das Bauamt der Stadt das Lokal an der Landmannstraße 2023 dicht. Zwei ehemaligen Stammgästen gelang es danach, eine neue Konzession zu bekommen. Zwar gebe es dennoch hin und wieder von Anwohnern Lärmbeschwerden, die sich nach dem Besuch des Ordnungsamts jedoch als nicht haltbar herausstellten, so die Betreiber.

Der Hotel- und Gaststättenverband Dehoga setzt sich schon seit längerer Zeit dafür ein, dass die Vorschriften in der „Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm“ (TA Lärm) „dem menschlichen Verhalten ausgewogener gestaltet wird“, sagt Matthias Johnen, stellvertretender Geschäftsführer im Regierungsbezirk Köln. Die TA Lärm schließe auch Industrieanlagen und Großgewerbe mit ein, wo es etwa um Hintergrund-Geräusche geht. „Zwei vorbeifliegende Entenpaare erzeugen schon mehr als 35 Dezibel“, sagt Johnen.

Für das Kneipensterben werden jedoch vornehmlich andere Gründe angeführt. Johnen nennt das geänderte Freizeitverhalten der jüngeren Generation. „Wer macht denn heute noch einen Frühschoppen?“, fragt der Gastro-Experte exemplarisch. In der klassischen Kneipe säßen vornehmlich alte Leute. Johnen: „Für die ist das Lokal der Newsroom, da werden Neuigkeiten ausgetauscht. Die junge Generation hat andere Informationsquellen.“

Gab es laut der Online-Plattform Statista im Jahr 2010 noch mehr als 1100 Schankwirtschaften, Diskotheken und Bars in Köln, so sank der Wert bis 2021 auf 828. Bei der Dehoga zählte man mithilfe der Umsatzsteuerstatistik 2020 noch 650 klassische Kneipen, 2021 waren es nur noch 567, was der Verband auf die Corona-Pandemie schiebt. Auch deshalb sei die Zahl 2022 wieder leicht gestiegen. „Aber aller Voraussicht nach werden wir demnächst erneut einen Rückgang verzeichnen“, sagt Johnen. Und: „Mit jeder Kneipe verliert Köln ein Stück Kultur.“

Es sind teilweise über die Stadtgrenzen hinaus bekannte Namen, wie das Roxy an der Aachener Straße, die inzwischen Geschichte sind. Oder Veedels-Institutionen wie das seit 2021 verwaiste Alt-Sülz – 133 Jahre wurde hier Kölsch gezapft. Nur wenige Meter weiter an der Berrenrather Straße ist die Kneipe Kleine’s einem Barista-Café gewichen.

Blick auf die Hausfassade des Lokals

Die Gaststätte „Zum Markt“ steht bereits seit vielen Jahren leer.

Am deutlichsten zeigt sich das Kneipensterben im Stadtteil Worringen. Die Alte Neusser Landstraße war einst als „Kneipenallee“ bekannt, auf der sich im 19. Jahrhundert 17 Wirtschaften befanden. Insgesamt zählte Worringen damals rund 30 Lokale bei 2700 Einwohnern, wie die Mitglieder des Worringer Heimatarchivs recherchiert haben. Heute leben mehr als 10.000 Menschen in dem Veedel, die Zahl der Kneipen ist an einer Hand abzuzählen. An heruntergekommenen Hausfassaden erinnern Schriftzüge wie „Gasthof zum Markt“ an bessere Wirtshauszeiten. Zuletzt dankte der sogenannte „Wirsingkönig“ ab: Lutz Meurer schloss sein Lokal, das nach dem Lieblingsessen der Gäste benannt war und sich seit 1928 in Familienbesitz befand, im Juni dieses Jahres. In dem Haus ist nun ein Wohnprojekt geplant.

Vielerorts, wo früher das Kölsch lief, sind inzwischen Wohnungen entstanden, so etwa an der Zülpicher Straße 337, wo einst der Gerolsteiner Hof war. Auch der Waschsalon an der Ehrenstraße wäre eigentlich bereits wegen eines Immobilienneubaus seit September dieses Jahres Geschichte. Doch weil das Projekt verschoben wurde, läuft der Betrieb vorerst weiter – mindestens bis zum 1. Oktober 2026.