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„Sie erhalten Leben“Spritzen unter Aufsicht – so läuft die Arbeit im Drogenkonsumraum am Kölner Hauptbahnhof

Lesezeit 6 Minuten
Auf einem Metalltisch sind drei Zellen voneinander abgetrennt. In jeder Zelle ist Material für einen sicheren, sterilen Konsum.

Im Drogenkonsumraum am Kölner Hauptbahnhof können drei Personen gleichzeitig konsumieren.

Drogenkonsumräume gewährleisten einen möglichst sicheren Konsum. Zwei Mitarbeiter erzählen, wie die Arbeit in der Drogenhilfe aussieht.

René Schäfer und Ingo Teppler helfen, wenn andere gerne wegschauen, wenn andere Vorurteile walten lassen. Sie arbeiten in der Kölner Anlaufstelle für schwer Drogenabhängige (KAD). Ein Angebot des Sozialdienst Katholischer Männer (SKM). Dort haben sie jeden Tag Kontakt mit Menschen, die von der Gesellschaft häufig abgestoßen werden. Sie haben Kontakt mit Menschen, die auf Drogen angewiesen sind, eine Krankheit haben. René Schäfer hilft ihnen im Drogenkonsumraum, die Drogen so sicher wie möglich zu nehmen.

Es ist ein routinierter Ablauf: Wer Drogen konsumieren möchte, muss sich zunächst am Tresen im Kontaktcafé anmelden. Ist die Person zum ersten Mal da, muss sie ein Zulassungsgespräch führen und sich ärztlich untersuchen lassen. Wichtig ist, dass die Person nicht Erst- oder Gelegenheitskonsumentin oder -konsument ist. „Wir möchten niemanden an die Szene angliedern, die oder der nicht eh schon drin ist“, sagt Ingo Teppler, der als Sozialarbeiter im Kontaktcafé arbeitet.

Danach wird eine Art Karteikarte angelegt. „Da steht hauptsächlich der Name drauf“, erklärt Schäfer, Pflegekraft und Koordinator des Drogenkonsumraums am Kölner Hauptbahnhof. Die Suchthilfeeinrichtung soll so niedrigschwellig wie möglich sein. Jede, jeder soll die Möglichkeit haben – auch Personen, die nicht aus Köln kommen. Bloß Geburtsjahr und Geschlecht werden zusätzlich für eine Statistik der Suchtkooperation NRW hinterlegt. Demnach gab es 2021 212.472 Konsumvorgänge in Drogenkonsumräumen in Nordrhein-Westfalen, rund 10.560 davon in der Anlaufstelle am Kölner Hauptbahnhof. Es ist der älteste Drogenkonsumraum in Köln, daneben gibt es noch einen am Neumarkt. Ein weiterer soll 2024 in Kalk öffnen.

Drogenkonsumraum am Kölner Hauptbahnhof: Sterile Utensilien und Hinweise

Nach der Anmeldung kann die Klientin oder der Klient dann in den Konsumraum gehen. An jedem der drei Plätze liegen sterile Utensilien, die gebraucht werden könnten: Venenstauer, Schere, Feuerzeug, Pflaster, Spritze, Löffel, Vitamin C, Kochsalzlösung und Filter. Die Drogen werden von der Straße mitgebracht, können entsprechend Giftstoffe beinhalten, der Filter soll diese selektieren. Die entsprechende Nadel geben René Schäfer oder seine Kolleginnen und Kollegen erst aus, wenn die Person am Platz ist. Dann kann konsumiert werden.

Auf einer Alufolie liegen ein Venenstauer, eine Schere, ein Feuerzeug, ein Pflaster, eine Spritze, ein Löffel, Vitamin C, Kochsalzlösung und ein Filter zum Konsumieren von Heroin.

Im Drogenkonsumraum werden sterile Utensilien zur Verfügung gestellt.

Schäfer sitzt immer nah dabei, schaut zu. „Als man mir damals vor 22 Jahren den Konsumraum gezeigt hat, habe ich gedacht, das mache ich nicht“, erinnert der 50-Jährige sich: „Da drinzusitzen, mit den Leuten, keine Trennscheibe zu haben und in direktem Kontakt zu sein, das war mir zu klein, zu eng, zu viel.“ Es ist immerhin ein intimer Moment, ein von einigen Menschen verachteter Prozess. Doch mittlerweile schätze Schäfer diesen engen Kontakt. Zwar tue es ihm manchmal beim Zuschauen weh, wenn die Nadel falsch angesetzt wird, aber da kann er eben direkt einen Hinweis geben. Er kann direkt einschreiten, wenn es zu einem Notfall kommt.

Ein klassischer Notfall im Drogenkonsumraum sei der Atemstillstand, sagt Schäfer, „Bei einer Heroin-Überdosis kommt es zu einer Lähmung des Atemzentrums, die den Atemstillstand bedingt.“ Für eine solche Situation habe er dann passendes Equipment und auch Naloxon, ein Stoff, der Wirkungen von Heroin aufhebt. Im Drogenkonsumraum am Hauptbahnhof liege Naloxon nur als Nasenspray vor, denn die Mitarbeitenden dürfen grundsätzlich nichts spritzen.

Safer Use: Drogenkonsum soll so sicher wie möglich stattfinden

„Wir dürfen den Klientinnen und Klienten natürlich auch nicht assistieren beim Konsumieren, das dürfen sie auch untereinander nicht“, erklärt Schäfer. Naloxon würde jedoch selten in Einsatz kommen. Rettungskräfte würden die zentrale Anlaufstelle kennen und deshalb sehr schnell vor Ort sein, um den Notfall zu übernehmen. Zu einem Tod sei es in der Anlaufstelle noch nie gekommen, berichten Schäfer und Teppler.

Das zeigt unter anderem, warum Drogenkonsumräume so wichtig sind. „Sie erhalten Leben, sie verlängern Leben“, erklärt Schäfer, „sie nehmen die Szene von der Straße in ein gesichertes Umfeld. Es ist hygienischer, sauberer.“ Die Zahl von Drogentoten bundes- und NRW-weit steigt jährlich. 2022 sind laut Drogenbeauftragem der Bundesregierung 1.990 Menschen gestorben, weil sie Drogen konsumiert haben oder Langzeitfolgen durch den Konsum hatten. 703 Menschen sind davon allein in NRW gestorben. In Köln und Leverkusen waren es 76.

Denn Abhängige konsumieren, egal, ob es einen Konsumraum gibt oder nicht. Die Menschen, die in den Konsumraum kommen, seien mit der Problematik behaftet und in der Szene unterwegs. Sie seien auf den Konsum angewiesen. „Die Menschen waren schon vorher da, dann kam erst die Hilfe-Einrichtung“, so Ingo Teppler.

Drogenkonsumräume erhalten Leben, die verlängern Leben. Sie nehmen die Szene von der Straße in ein gesichertes Umfeld. Es ist hygienischer, sauberer.
René Schäfer, Pflegekraft und Koordinator des Drogenkonsumraums am Hauptbahnhof

Dort kann der Konsum eben unter sicheren Verhältnissen stattfinden. Aufklärung über „Safer Use“-Maßnahmen (sichere Nutzung) betrieben werden. So komme es zum Beispiel vor, dass sich zwei Klientinnen oder Klienten Heroin kaufen, aber nur eine Spritze haben. „Da kann ich erklären, wie beide in der größten Not die Spritze gebrauchen könnten“, erklärt Schäfer, „aber eben so, dass es trotzdem sauber abläuft, damit die Ansteckungsgefahr so gering wie möglich ist“.

Kölner Anlaufstelle: Familienersatz für Drogenabhängige

Ist die Person fertig im Konsumraum, muss sie die Utensilien selbst beseitigen und den Platz desinfizieren. Schäfer beobachtet auch das genau. Danach kann die Person gehen oder sich im Kontaktcafé aufhalten. Dort arbeitet Ingo Teppler. „Wir sind immer drei Sozialarbeitende und für die Atmosphäre im Kontaktladen zuständig“, erklärt er. 20 Gäste dürfen auf einmal dort sein. Teppler achtet darauf, dass sie keine Drogen verkaufen oder austauschen, schlichtet gegebenenfalls Streitigkeiten. „Wir haben bestimmte Aufgaben, die immer klar aufgeteilt sind“, sagt er: „Die Menschen, die zu uns kommen, bringen häufig eine chaotische Stimmung mit, deshalb achten wir auf eine klare Struktur.“

Sozialarbeiter Ingo Teppler steht am Tresen des Kontaktcafés am Hauptbahnhof und lächelt in die Kamera.

Ingo Teppler ist Sozialarbeiter im Kontaktcafé der Kontakt- und Notschlafstelle für Drogenabhängige des SKM.

Struktur wolle Teppler auch den Besucherinnen und Besuchern bieten. Er unterstützt sie bei Telefonaten, Amtsgängen, Anträgen und vermittelt sie gegebenenfalls an andere Einrichtungen. Es ginge eben nicht nur darum, den Menschen einen sicheren Konsum zu ermöglichen, sondern ihnen auch darüber hinaus zu helfen und mit ihnen zu reden, sagt er. „Wir sind für manche Menschen der Familienersatz“, beschreibt der 38-Jährige das Verhältnis, „Nähe und Distanz muss man hier miteinander vereinbaren“.

Kölner Drogenkonsumraum: „Leute, die von der Gesellschaft abgrenzt werden, kommen hierher“

Viele hätten keinen Kontakt zur Familie mehr, kein festes Umfeld, da sei es ganz natürlich, dass sie erzählen – von Freud und Leid. Gerade im Konsumraum selbst sei das verstärkt der Fall. Vorne im Kontaktladen sei der Aufenthalt. Dort sei aber auch die Szene, in der man den Status halten, Stärke zeigen wolle. Im Konsumraum falle das weg, gerade, wenn sonst keiner da ist. „Man sitzt alleine in einem Räumchen sehr nah beieinander und dann kommen auch Gespräche zustande, die vorne nicht entstehen würden“, erzählt Schäfer, „da sieht man, wie die Droge das Leben bestimmen kann“. Sie würden dann von ihren Schicksalen erzählen. Von Krisen und psychischen Missständen.

Das nehme emotional mit. Schäfer erzählt von einer Stammklientin, die eines Tages aufgelöst, nicht ansprechbar, nicht wiederzuerkennen in den Konsumraum kam. Nachdem sie dort Heroin geraucht hatte, sei es ihr wieder besser gegangen. Später erzählte sie ihm, dass sie kurz vorher vergewaltigt worden sei. „Das hat mich zunächst total überfordert“, sagt Schäfer, „dann habe ich mich das erste Mal wirklich damit auseinandergesetzt, dass ich ein Mann bin. Und ich habe mich geschämt, einer zu sein.“ Er habe sich eine erfahrene Kollegin der Sozialarbeit hin zu gezogen, die alle weiteren Beratungen und Maßnahmen in die Wege geleitet hat. Auch das ist bei der Arbeit im Drogenkonsumraum wichtig.

Rückblickend habe Schäfer aus der Situation gelernt und sei an ihr gewachsen. Solche Erfahrungen würden die Arbeit so erfüllend machen wie positive. „Ich mag die Leute einfach“, sagt Schäfer, „diese Leute, die sonst von der Gesellschaft nicht gemocht werden oder ausgestoßen, abgrenzt werden, die kommen hierher“.