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„Ekelhafte“ VerlosungBetroffene Eltern kritisieren Schulplatz-Tombola in Köln scharf

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Schulbesuch

Viele Schülerinnen und Schüler haben keinen Platz an ihrer Wunschschule bekommen. (Symbolbild)

Köln – Das Gymnasium lädt zur öffentlichen Schulplatztombola. Am kommenden Montag sollen um 14.30 Uhr in der Aula des Innenstadtgymnasiums Kreuzgasse die dort noch freien Schulplätze für angehende Fünftklässler verlost werden. Die betroffenen Eltern dürfen dabei zuschauen, teilt die Schule auf ihrer Internetseite mit. Es wird darum gebeten, die Kinder nicht mitzubringen. So wie hier wird es in den nächsten Tagen wohl an mehreren Schulen zugehen. Die meisten machen das Drama jedoch nicht öffentlich.

So eine Verlosung sei „ekelhaft“, sagt Vater Markus Klatt aus der Südstadt, dessen Tochter in der ersten Anmelderunde an der Kaiserin-Augusta-Schule abgelehnt wurde und nun nicht weiß, wie es in der zweiten Runde weiter geht. „Sie glauben gar nicht, was das für ein Kind bedeutet.“ Wenn man sehe, wie die Verantwortlichen mit dem Mangel umgehen, fühle man sich als betroffene Familie „miserabel behandelt“, findet Mutter Julia Schoening, deren Tochter am Montessori-Gymnasium in Bickendorf abgelehnt wurde. Man komme als als Bittsteller und müsse dann hoffen, dass man bei einer „empörenden Kinderlotterie“ gewinne.

„Aus pädagogischer Sicht das Hinterletzte“

Der Schulleiter im Gymnasium Kreuzgasse, Lüder Ruschmeyer, möchte den Eltern nicht widersprechen. Diese Verlosung sei eine „grausame Veranstaltung und aus pädagogischer Sicht das Hinterletzte“. Um aber allen Spekulationen über unfaire Vergabekriterien entgegenzuwirken, wolle man absolute Transparenz bieten. Das es so weit gekommen ist, sei die Folge von jahrelangen Versäumnissen der Stadt, die zu einer „Schulplatzkatastrophe“ geführt haben.

Angesichts des ganzen Ärgers kommt einem ein ebenfalls schwer verständliches Versäumnis der Stadt wie eine Kleinigkeit vor: Im Stadtbezirk Porz sind offensichtlich tagelang Briefe liegen geblieben. Die betroffenen Familien haben von der Ablehnung ihrer Kinder erst erfahren, nachdem die zweite Anmeldungsrunde schon gestartet war.

Das Zittern um einen Schulplatz in Köln geht also weiter – mit mehr als tausend wütenden Eltern und enttäuschten Kindern. So groß wie in diesem Jahr war die Platznot an Kölns Schulen noch nie. Zu 695 Ablehnungen an Gesamtschulen sind 407 Erstwunsch-Ablehnungen bei den Gymnasien und nach neusten Informationen auch noch rund 100 Absagen an Realschulen gekommen. Alle Betroffenen sind nun auf der Suche nach einer Alternative.

Die Eltern der angehenden Gymnasiasten haben eine Liste mit Schulen bekommen, an denen noch Plätze frei sind. Viel Auswahl haben sie nicht. Es gibt keine Zahlen zur Einschätzung der Chancen, keine weiteren Hilfestellungen und keine Auswahlkriterien, die Alternativen mit möglichst kurzem Schulweg in Aussicht stellen. Besonders schwierig ist die Lage für Familien im Stadtbezirk Lindenthal. Bei den Realschulen gibt es in den Stadtbezirken Mülheim und Kalk keinen Platz mehr.

Realschüler schon zweimal abgelehnt

Bei vielen der Realschul-Absagen ist davon auszugehen, dass die betroffenen Kinder und Familien sogar schon zweimal die bittere Erfahrung machen mussten, nicht erwünscht zu sein. So wie im Fall des Sohns von Tanja Bock-Schweizer aus Lövenich: Die Familie hat alles so gemacht, wie es die Stadt, Lehrer und pädagogische Ratgeber empfohlen haben.

Die Grundschule hatte vom Gymnasium abgeraten; die Lövenicher Familie wollte den Rat befolgen. Der Junge wurde an der nächstgelegenen Gesamtschule angemeldet und abgelehnt. Das Kriterium eines möglichst kurzen Schulwegs sollte dann auch bei der Wahl einer Realschule gelten. Wieder wurde das Kind abgelehnt. Nun soll es an einer dritten Schule klappen. Sicher ist das nicht.

„Die Stadt lässt uns einfach fallen“

„Die Stadt lässt uns einfach fallen“, sagt Tanja Bock-Schweizer. „Es wird immer gesagt, dass Bildung wichtig ist und man Familien unterstützen will. Doch wenn es drauf ankommt, sind wir nichts wert.“ Die Unsicherheit nehme ihren Sohn sehr mit. Er fühle sich ausgeschlossen. Sie verstehe nicht, wie die Stadt überhaupt in so eine Situation kommen könne. Die Kinder würden doch nicht vom Himmel fallen. Man wisse doch jahrelang im Voraus, dass es Probleme geben wird, wenn man nichts unternimmt. „Und trotzdem wird nichts gemacht.“

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Es ist selten, dass sich Realschul-Eltern öffentlich zu Wort melden. Auch die Enttäuschung an den Gesamtschulen hat seit Jahren nur wenige Konsequenzen. Bei den Gymnasien hat es die Stadt dagegen mit sehr vielen protestbereiten und gut vernetzten Eltern zu tun. Das zeigte sich bereits in den vergangenen Jahren. Doch in diesem Jahr ist der Sturm der Entrüstung wegen der hohen Ablehnungszahlen und des geänderten Anmeldeverfahrens so groß wie noch nie.

Seit Tagen gehen bei der Oberbürgermeisterin, den Ratsparteien und der Landesregierung Mails und Briefe ein. Am kommenden Montag soll unter dem Motto „Schulplatz-Roulette jetzt stoppen!“ vor dem Rathaus demonstriert werden, wenn sich drinnen ab 15 Uhr der Schulausschuss des Stadtrates trifft. Die Ratspolitiker wollen reagieren, doch ihr Handlungsspielraum scheint gering, wenn es um schnelle Lösungen geht, die noch in diesem Jahr helfen.

„Die Leute lassen sich das nicht mehr gefallen“

Die betroffenen Eltern fordern, dass die Stadt zusätzliche Klassen in Wohnortnähe aufmachen soll. Doch dies hat ihr die Bezirksregierung verboten. Es sollen keine Fachräume mehr geopfert werden müssen. Neue Klassen soll es nur geben, wenn dafür Räume vorhanden sind. Jens Henschel, dessen Sohn am Apostelgymnasium abgelehnt wurde und der zurzeit für die Vernetzung von Betroffenen sorgt, will das nicht einfach hinnehmen.

Die Stadt solle noch einmal prüfen, ob nicht auch an den Gesamtschulen zusätzliche Klassen geschaffen werden können. Denn wer dort abgelehnt wurde, müsse auf andere Schulen ausweichen. Außerdem schlägt er vor, als Übergangsnotlösung Räumlichkeiten der Universität zu nutzen.

Der Druck der Betroffenen auf die Verantwortlichen in Stadt und Land sei enorm, ist sich Henschel sicher. „Die Leute lassen sich das nicht mehr gefallen.“ Und so haben sich einige Eltern in der Not für eine ganz andere Form des Protestes entschieden. Sie haben die Aufforderung der Stadt ignoriert, ihr Kind doch bitte nur an einer weiteren Schule anzumelden. Rechtlich ist das wohl möglich. Das Chaos um die Anmeldungen an den städtischen Gymnasien dürfte so nicht kleiner werden.