„Bin zurechnungsfähig“Angeklagter äußert sich nach Tod von Kölner Kurt B. vor Gericht
- Im Dezember vergangenen Jahres wollte Kurt B., Angestellter der Stadtkämmerei, eine offene Geldforderung bei einem Mieter an der Straße Auf der Schildwache eintreiben.
- Kaum hatten er und seine Kollegin geklingelt, wurde die Wohnungstür aufgerissen und der 47-Jährige mit einem Messer angegriffen. Er wurde schwer verletzt, starb noch am Unfallort.
- Am Freitag war der erste Prozesstag am Landgericht Köln, in dem sich Clemens K. geäußert hat.
Köln – Die Nachbarn gingen bereits in den siebziger Jahren auf die Barrikaden, denn Clemens K. war damals schon alles andere als ein friedlicher Zeitgenosse. Mal schubste er eine Mieterin ohne Vorwarnung im Hausflur die Treppe runter, oder er brachte die Nachbarn um den Schlaf, weil er gerne nach Mitternacht zur Sopranflöte griff.
Das Musizieren hatte sich der eigenwillige Exzentriker selbst beigebracht. Alternativ führte er nachts in ohrenbetäubender Lautstärke Selbstgespräche, rückte Möbel. Hin und wieder beschmierte er von unliebsamen Mietern die Wohnungstür. Wahlweise mit Ketchup oder Mayonnaise. Der Vermieter reagierte mit Zwangsräumung.
Betreuern ist Clemens K. zu gefährlich
Tatsächlich war K. ein psychisch kranker Mann, der im Verlauf von fast drei Jahrzehnten laut Ermittlungsakten immer aggressiver, hemmungsloser und gewaltbereiter wurde, im Miteinander unerträglich – und den Behörden bekannt. Denn er stand unter gesetzlicher Betreuung, obwohl er sich immer wieder massiv dagegen wehrte, die Mitarbeit verweigerte. Die Betreuer warfen einer nach dem anderen das Handtuch, weil ihnen der Umgang mit K. zu gefährlich war.
Als der psychisch Kranke im Dezember Kurt B. vor seiner Haustür mit einem Küchenmesser erstach, behauptete er, in Notwehr gehandelt zu haben. Der Beamte war völlig ahnungslos ob der Gewaltbereitschaft und Gefährlichkeit des Schuldners gewesen. Niemand hatte Kurt B. davor gewarnt trotz eines ähnlichen Vorfalls ein halbes Jahr zuvor. Als Konsequenz aus dem tödlichen Angriff gibt es bei der Stadt Köln seit Ende April dieses Jahres nun ein ämterübergreifendes Meldesystem, in dem Übergriffe auf städtische Mitarbeiter registriert werden.
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Der Mitarbeiter der Kämmerei, der einen Betrag von 387,50 Euro wegen eines zwangsweisen Krankentransportes eintreiben wollte, habe ihn angeblich bedroht, begründete K. im Verhör die Messerattacke.
Ähnlich argumentierte er den Angriff mit einem Schraubenzieher im März des gleichen Jahres. Nachbarn hatten sich wieder einmal so energisch beschwert, dass ein psychiatrischer Gutachter in Begleitung einer Mitarbeiterin des Gesundheitsamtes zu K. ins Haus kam – allerdings wegen der Gefährlichkeit mit Polizeischutz. Damals war K. auf Veranlassung des Gutachters zwangseingewiesen worden. Er hatte wirres Zeug geredet und war auf die Mitarbeiterin mit einem Schraubenschlüssel losgegangen.
Clemens K. droht keine lebenslange Haft
Für den mutmaßlichen Mord an Kurt B. muss K. keine lebenslange Haft fürchten sondern eine dauerhafte Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung. Darüber wird das Landgericht an den kommenden zehn Verhandlungstagen befinden. Als Clemens K. am Freitag in den Saal geführt wird, stehen mehr als ein Dutzend Fotografen Spalier. Kein Wegducken, keine Maske – der Mann im tintenblauen Jogginganzug und der raspelkurzen Frisur will die Öffentlichkeit, stellt sich breitbeinig den Kameras, und bereits die ersten Sätze machen seine Grunderkrankung deutlich: Er stellt einen Antrag auf Verfassungsbeschwerde, nennt den Prozess „nicht legitim“, verneint seine Schuldunfähigkeit und unterstreicht mehrfach: „Ich bin zurechnungsfähig.“
Deshalb will er auch wegen Mordes angeklagt und bestraft werden mit lebenslanger Haft und ins Gefängnis kommen, keinesfalls in die Psychiatrie. Überhaupt habe der ganze Ärger habe damit angefangen, dass die Behörden ihn vor Jahren unter Betreuung gestellt hätten: „Ich will das nicht, auch nicht zwangsweise.“
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Clemens K. wiederholt das, was er vom ersten Tag der Ermittlungen zu Protokoll gab. „Ich hatte Angst, habe aus Notwehr gehandelt.“ Das sei so bei dem Vorfall im März 2019 gewesen wie auch im Dezember 2919, als er auf Kurt B. einstach. Nach seiner Schilderung habe der Beamte an seiner Tür gestanden und ohne Vorwarnung in seine Richtung Boxbewegungen gemacht. Deshalb habe er sich verteidigen müssen: „Ich bin doch nicht Muhamed Ali, auch nicht mehr der Jüngste.“ Er zückte das Messer und traf Kurt B. mitten ins Herz, ein zweiter Stich ging durch die Schulter. Als Kurt B. auf der Treppe zusammenbrach, kümmerte sich der Täter nicht weiter drum. „Ich hab die Tür von innen zugemacht und musste mich erstmal von dem Schreck erholen“, läßt er ungerührt die Szene Revue passieren, habe dann gedacht: „Dat gibt Ärger.“ Und setzt genauso emotionslos hinzu: „Ich hatte nie die Absicht, Herrn B. zu töten.“
Clemens K. driftet in Gerichtsverhandlung ab
Auch für den Vorfall in der Klinik, wo er mit einem Messer auf eine Pfleger und dessen Kollegin losging, gibt es nach seiner Logik ein nachvollziehbares Motiv: „Ich wollte raus aus dem Ding, mir auf diese Weise den Schlüssel besorgen.“ Mit einer Engelsgeduld hört die Vorsitzende Richterin Ulrike Grave-Herkenrath zu, wenn Clemens K. immer wieder abzuschweifen droht und sich in seiner Gedankenwelt verfängt, beispielsweise von seiner Erfindung erzählt, einer Art „Perpetuum Mobile“, mit dem er erfolgreich dem Klimawandel paroli bieten will. Das verfängt bei K., der bereitwillig erzählt, oft sogar ins Plaudern zu geraten scheint, wenn er sich über die Zwangsmedikation in der Klinik echauffiert: „Ich konnte noch nicht mal Zeitung lesen, weil an meinem Gehirn derart manipuliert wurde.“
Nach zwei Stunden wird der Prozess aus organisatorischen Gründen vertagt. Bereits am zweiten Verhandlungstag kommenden Mittwoch werden erste Zeugen gehört werden.