Wie machen wir verwahrloste Plätze in Köln lebenswerter? Und wie retten wir die Demokratie? Lebhafte Diskussion vor rund 200 Menschen.
Kölner Demokratie-Festival„Wir wollen nicht, dass die Städte Plätze aufgeben“
„Wenn wir die aktuellen und vergangenen Entwicklungen einfach mal als Gedankenexperiment in die Zukunft spinnen, dann hätten wir in zehn Jahren den Faschismus bei uns.“ Jürgen Wiebicke blickt eindringlich zum Publikum auf dem Josef-Haubrich-Hof, als er das Gedankenspiel aus seinem neuen Buch rausgreift. „So ein Beispiel kann gruselig sein, aber vielleicht soll es das sogar“, sagt der 62-jährige Autor, Journalist und Radio-Moderator.
2017 veröffentlichte Wiebicke sein Buch „Zehn Regeln für Demokratie-Retter“. Mit dem Schreiben begann er einen Tag nach der Wahl von Donald Trump: „Denn mit dieser Wahl in Amerika zog ein lähmender Pessimismus ein. Menschen hatte das Gefühl, endgültig nichts mehr machen zu können. Sie nahmen sich selbst als Akteur aus dem Spielfeld.“ Eine solche Resignation sei jedoch Gift für die Demokratie. Wenn dem Faschismus die Stirn geboten werden wolle, brauche es Zuversicht in der Gesellschaft und den Mut eines jeden Bürgers, bestehende Probleme anzugehen und wirksam zu werden.
Resignation ist Gift für die Demokratie
Vor wenigen Tagen ist Wiebickes neues Buch „Erste Hilfe für Demokratieretter“ erschienen. Am Sonntagvormittag lud der Verein „Haus der Architektur“ in seinen Kulturkubus auf dem Josef-Haubrich-Hof am Neumarkt zum Austausch und zur Diskussion über Demokratie und den öffentlichen Raum ein. Mehr als 200 Menschen kamen, so viele, dass sich die Zuhörenden innerhalb und außerhalb des Kubus verteilen mussten. Insbesondere auf politischer Ebene sei die Demokratie so gefährdet wie lange nicht, so Wiebicke. Rechtsradikale Abgeordnete und Sympathisanten hätten keine Hemmungen mehr, völlig unverhohlen ihre Gesinnung zu zeigen und trieben die demokratischen Kräfte vor sich her. Den Diskurs zu meiden, um so potenziellen Streitigkeiten aus dem Weg zu gehen oder schlimmer noch, die Welt als verloren zu deklarieren und nur noch hinzunehmen, sei aber ein fataler Fehler.
Autoritäre Systeme fühlten sich für viele Menschen oft wie ein Ausweg an. Insbesondere in der Corona-Pandemie habe man sich nach stärkeren Auflagen und Einschränkungen gesehnt, um möglichst wenig Verantwortung selbst tragen zu müssen. Jürgen Wiebicke sieht darin das Prinzip der selbstverschuldeten Unmündigkeit von Immanuel Kant: „In meinem Buch schreibe ich über die Faulheit und Feigheit als Grund für die Gefährdung der Demokratie. Ich möchte den Impuls geben, dass jede und jeder von uns ein kleines bisschen zum Großen und Ganzen beitragen kann, wenn er oder sie den auf sich konzentrierten Blick einmal abwendet und für sich schaut, was er oder sie zur Gesellschaft beitragen kann.“
Aktion gegen die Verwahrlosung
Nach der Buchvorstellung folgte eine Diskussion zum Thema „Der öffentliche Raum hat keine Lobby“. „Das dominierende Gefühl ist Verwahrlosung“, sagte die Architektin Dröte Gatermann vom „Haus der Architektur“ über den Josef-Haubrich-Hof neben der mittlerweile wegen Sanierung leerstehenden Stadtbibliothek. „Fast alle haben sich abgewendet von diesem Platz“, es sei ein unwirtlicher Raum, geprägt durch die seit einem halben Jahr immer härtere Drogenszene. „Wir wollen aber nicht, dass die Städte Plätze aufgeben.“
Der Soziologe Sebastian Kurtenbach nannte ein Positiv-Beispiel aus Münster, wo ein Platz in Kooperation mit der dortigen Drogenszene geplant worden sei. Ein Bereich sei der Drogenszene zugewiesen, dafür seien andere Bereiche für weitere Gruppen angstfrei nutzbar gemacht worden. Die auf dem Kölner Platz derzeit vorherrschende Droge Crack, räumte Kurtenbach ein, führe allerdings dazu, dass sich eine Drogenszene deutlich schwerer adressieren lasse, allenfalls über Sozialarbeitende vor Ort.
Gatermann kündigte an, dass es künftig sehr viele, hoffentlich sogar tägliche Veranstaltungen im Kulturkubus geben werde. Der Platz müsse wieder zu einem Ort „für alle“ werden. Gatermann appellierte auch an die angrenzende Volkshochschule und das Rautenstrauch-Joest-Museum, sich an der Initiative zu beteiligen.