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„Historische Mitte“Dompropst Bachner im Interview – „Wir können jetzt nicht abwarten“

Lesezeit 6 Minuten

Gerd Bachner steht seit März 2015 als Dompropst an der Spitze des Domkapitels, des Leitungsgremiums der Kathedrale.

Köln – Dompropst Gerd Bachner über das Bauprojekt „Historische Mitte“ am Roncalliplatz und die hohe Identifikation der Kölner mit ihrer Kathedrale. Gerd Bachner wurde im März 2015 vom Domkapitel zum Dompropst gewählt.

Herr Bachner, als Dompropst sind Sie der Hausherr des Doms. Wie wichtig ist die Kathedrale für die Stadt?

Ich sage immer gerne: Ohne den Dom wäre Köln in seiner historischen und ökonomischen Entwicklung nicht da, wo es heute steht. Aber ich sage fairerweise auch: Ohne die Kölner wäre der Dom nicht der, der er heute ist. Angefangen vom Bau über die Vollendung durch Sulpiz Boisserée und das Engagement, das er und viele andere ab 1842 an den Tag gelegt haben, haben die Menschen dieser Stadt immer für den Dom gekämpft – bis hin zum Einsatz des Zentral-Dombau-Vereins mit seinen inzwischen 16 800 Mitgliedern. Und so ist der Dom eben nicht nur das Wahrzeichen der Stadt, er wird auch von der Stadt und den Menschen getragen.

Im Süden soll die „Historische Mitte“ künftig den Roncalliplatz abschließen – ein gemeinsames Projekt der Domkirche mit der Stadt, die hier das Stadtmuseum und Teile des Römisch-Germanischen Museums (RGM) unterbringen will.

Die Historische Mitte wäre ein Ensemble, das des Domes würdig ist. Es wäre alleine baulich ein ganz wichtiger weiterer Schritt zur Verbesserung des Domumfelds. Aber das Projekt hat auch eine ganz wichtige inhaltliche Relevanz: Köln hat eine lange und stolze Geschichte, die hier umfassend präsentiert werden könnte. Denn es gilt ja: Wer die Zukunft einer Stadt gestalten will, der muss ihre Wurzeln kennen.

Über die Historische Mitte wird schon lange geredet, doch echte Planungen haben nicht mal begonnen. Glauben Sie noch an das Projekt?

Derzeit werden die Ergebnisse des Architektur-Wettbewerbs intensiv weiterbearbeitet. Dennoch haben wir für die Historische Mitte nur ein kurzes Zeitfenster. Und es ist meine Sorge, dass wir dieses Zeitfenster nicht nutzen. Wir arbeiten in den Fachgruppen auf allen Ebenen ausgezeichnet mit der Stadt zusammen. Da geht es um Berechnungen, um Zahlen, um Verträge und Abmachungen. Doch das ist eben nur eine Seite. Sehen Sie, der Dom wäre wohl nie zu Ende gebaut worden, wenn es nicht Kölner wie Sulpiz Boisserée gegeben hätte, die auch die Menschen für den Weiterbau begeistert hätten. Diese Begeisterung, dieses Engagement – das ist so wichtig, wenn man ein Großprojekt in einer Gesellschaft stemmen will.

Warum ist das Zeitfenster so kurz?

Weil wir nun bauen müssen. Wir haben bereits im Jahr 2009 intensiv über einen Neubau des Kurienhauses nachgedacht. Wir haben nur wegen des Projekts „Historische Mitte“ unsere eigenen Pläne zurückgestellt, als die Idee für eine gemeinsame Lösung aufkam.

Die Sanierung des RGM-Verwaltungsgebäudes und der Neubau des Kurienhauses sind eben ursprünglich einzelne Projekte, die dann durch den Vorschlag des damaligen OB Jürgen Roters zusammengeführt wurden.

Aber die Alternative zur Historischen Mitte ist ja nicht, dass gar nichts geschieht. Wenn der gemeinsame Bau nicht kommt, baut eben jeder für sich.

Genau. Dann gibt es eben kein Ensemble. Dann wird ein Verwaltungsgebäude für das RGM gebaut. Das Museum selbst wird saniert. Es gibt einen Neubau für das Kurienhaus, denn wir müssen abreißen. Und das Stadtmuseum muss am alten Standort bleiben. Anstelle einer gemeinsamen Präsentation der gemeinsamen Wurzeln der Stadt hätten wir dann hier nur die römisch-germanische Geschichte und die Domgeschichte, die Stadtgeschichte bliebe außen vor.

Für mich gehören die drei Wurzeln aber zusammen – es sind schließlich die drei Fundamente unserer Stadt. Natürlich ist auch die kleine Lösung möglich. Aber dann geht eine historische Chance verloren.

Die Leidenschaft, die Sie vermissen, müsste ja von ganz oben kommen. Nun war die Oberbürgermeisterin anfangs sehr angetan von der Historischen Mitte. Zuletzt ist sie aber immer leiser geworden.

Ich will noch einmal betonen, dass die Zusammenarbeit mit der Stadt auf der fachlichen Ebene ausgezeichnet funktioniert. Doch aus meiner Sicht reicht das nicht: Ich wünschte mir, dass die Stadt Köln mit Leidenschaft für dieses Projekt wirbt und es nicht auf die lange Bank schiebt. Inzwischen sagen Vertreter der Stadt ja, dass man erst andere Projekte vollenden müsse, bevor man mit der Historischen Mitte beginnt. Doch wir haben nur ein kurzes Zeitfenster für die Umsetzung. Wir können jetzt nicht abwarten bis irgendwann, vielleicht 2022 oder 2023 eine Oper fertig ist, um dann das nächste Projekt anzugehen.

Bis dahin haben Sie das Kurienhaus abgerissen und neu gebaut, bis dahin ist vielleicht sogar das RGM zumindest zu zwei Dritteln saniert.

Wer jetzt auf Abwarten setzt, der erkennt die historische Chance nicht, die sich hier bietet. Menschlich kann ich verstehen, wenn einer sagt: Wir bauen erst das eine zu Ende, dann machen wir das Nächste. Aber hier ist ein solcher Satz einfach nicht realistisch, denn jetzt stehen für alle drei kulturellen Einrichtungen die notwendigen Entscheidungen an.

Sie werten diese Aussage also als ein Nein zur Historischen Mitte?

In keiner Weise! Ich weiß nur eins: Man kann hier nicht nacheinander bauen. Und das ist alleine in der Sache begründet. Wenn wir alleine bauen, dann bauen wir auf unserem Grundstück. Aber das ist dann auch definitiv – und dann kann nicht eines Tages nachträglich das Stadtmuseum an der vorhergesehenen Stelle gebaut werden. Alle drei Einrichtungen haben den Druck, dass jetzt etwas geschehen muss.

Sie sprechen ja sicher nicht nur mit der Oberbürgermeisterin über das Projekt. Was sagt etwa die Politik?

Ich erlebe häufig, dass sich meine Gesprächspartner zurücklehnen und sagen: Wir können jetzt gar nichts tun, wir müssen jetzt erst einmal abwarten. Wenn wir genau wissen, was es kostet, dann entscheiden wir. Das ist richtig und falsch zugleich. Ich war ja lange in der Priesterausbildung tätig und habe den Studenten immer einen Satz gesagt: Wir müssen leben und nicht gelebt werden. Und wenn man in einer bestimmten Zeit eine Entscheidung nicht trifft, dann trifft die Zeit die Entscheidung.

Natürlich kann eine Entscheidung im Frühjahr 2018 nur auf Basis fundierter Zahlen getroffen werden. Aber jetzt sollten wir für eine Chance dieses Projektes werben und darüber ins Gespräch kommen. Die Zahlen sind die Grundlage der Entscheidung. Gleichzeitig ist aber die Überzeugung und die Motivation für ein solches historisches Projekt maßgeblich.

Nun kostet die Historische Mitte viel Geld. Erste Schätzungen gingen von etwa 140 Millionen Euro aus.

Wir müssen bei allen Berechnungen sehen, wie groß das Delta zwischen dem ist, was alle drei Beteiligten sowieso für die Sanierung der bestehenden Häuser ausgeben müssen und dem, was das Ensemble am Dom kostet. Da reden wir dann eben nur noch über einige Millionen Euro Mehrkosten für das gemeinsame Ensemble. Sind wir denn so kleinmütig geworden in dieser Stadt? Man müsste doch gerade jetzt sagen: Köln will das und Köln kann das.