Köln – Die Ernüchterung am Wahlabend war groß: Köln – die Stadt von „Arsch huh, Zäng ussenander“ – ist nicht gefeit gegen den Rechtspopulismus. Zwar fiel das Ergebnis bei der Bundestagswahl für die AfD schlechter aus als auf Bundesebene.
Doch ein Blick auf die Einzelergebnisse in den Stadtteilen zeigt, dass es auch hier viel Zuspruch für die Rechtsaußenpartei gibt: 17,5 Prozent in Chorweiler, 16,8 in Finkenberg, 16,6 in Gremberghoven – und das bei einer Wahlbeteiligung von unter 60 Prozent. In 34 Kölner Stadtteilen war das AfD-Ergebnis zweistellig.
Vergleicht man die Ergebnisse mit denen der Innenstadt oder innenstadt-nahen Vierteln wie Klettenberg, Lindenthal oder Ehrenfeld, sagen die Zahlen noch mehr: Sie belegen eine tiefe Spaltung der Stadt. Gerade jenes Köln, in dem man in unzähligen Liedern gerne ein gemeinsames Lebensgefühl und das Miteinander preist, fällt auseinander.
Bei einer Fachtagung mit Sozialverbänden, Stadtverwaltung und Politikern vor einigen Wochen hatte der Sozialdienst Katholischer Männer die Leitfrage ausgegeben: „Was hält die Stadtgesellschaft zusammen?“ Die anwesenden Experten waren sich einig: Nicht nur die Schere zwischen Arm und Reich wird größer. Es scheint auch eine tiefe Kluft zwischen denen zu geben, die sich abgehängt und unverstanden fühlen, und denjenigen, die an den Entscheidungsprozessen direkt und indirekt beteiligt sind. Der Politologe Serge Embacher sprach von einem „Tanz auf dem Vulkan“. Es brodelt nicht mehr nur unter der Oberfläche.
Wer durch die Stadt geht, kann die Armut ohne Mühe sehen: Obdachlose, Chancenlose, Drogenabhängige, Alkoholkranke. Durch den Zuzug vieler Menschen aus Bulgarien und Rumänien, die hier – meist erfolglos – auf einen besseren Verdienst als in ihren Herkunftländern hoffen, hat sich das Bild auf Kölns Straßen und Plätzen verändert. Viele Hilfsorganisationen beklagen eine Überforderung. Der Stadt ist noch nicht viel eingefallen, was im Umgang mit diesen Menschen wirksam sein könnte.
Debatten wie die um den neuen Drogenkonsumraum am Neumarkt offenbaren zudem neue Konfliktlinien: Die Interessen der Nachbarn sind mit dem Bemühen um eine fürsorgende Sozialpolitik der Stadt nur schwer zu vereinbaren. Die Anwohner wehren sich. Das Angebot zur Bürgerbeteiligung weckt hier wie anderswo Erwartungen, die die Stadt gar nicht erfüllen will. Experten wie Serge Embacher empfehlen, auch die Randgruppen an den Entscheidungsprozessen teilhaben zu lassen. Eine spannende Vorstellung: Wie sähe Bürgerbeteiligung bei einem Drogenkonsumraum aus, wenn auch Junkies mit im Saal säßen?
Es wird deutlich komplizierter, die Vielfalt einer Stadt zu managen und die Folgen von Entscheidungen abzumildern, die auf anderen politischen Ebenen getroffen werden. Stadtentwicklungspolitik in Köln ist längst zu einer Querschnittaufgabe geworden: Es geht nicht nur darum, schöne Dinge zu bauen. Es geht um Sozialpolitik, um Maßnahmen gegen Verdrängung und Spaltung – und auch darum, das Recht nach Unversehrtheit jedes Einzelnen zu sichern.
Über Umgestaltung des Ebertplatz wird seit Jahrzehnten debattiert
Was das heißt, kann man sehr plastisch am Ebertplatz nachvollziehen, über dessen Umgestaltung seit Jahrzehnten debattiert wird. Es besteht Einigkeit, dass sich etwas ändern muss – und doch kommt nichts voran. Vergangenen Samstag wurde ein Mann erstochen, wahrscheinlich ein Mord im Drogenmilieu. Jeden Tag werden hier Straftaten begangen, obwohl Polizei und Ordnungsamt verstärkt Präsenz zeigen. Der neue Polizeipräsident forderte einmal mehr „bauliche Maßnahmen“. Doch die Stadt wird ihrer Verantwortung nicht gerecht.
Neben dem Umgang mit dem öffentlichen Raum ist der Wohnungsbau das zweite große Feld für eine zukunftsweisende Stadtentwicklungspolitik gegen die doppelte Spaltung – doch auch hier kommt Köln nicht voran. Es wird zu wenig gebaut. Der Mieterverein spricht gar von einem „historischen Tiefstand“. Gleichzeitig werden versprochene Steuerungsinstrumente wie Milieuschutzsatzungen nicht an den Start gebracht.
Das Ergebnis der Bundestagswahl, bei der die rechtspopulistische AfD Stimmen gewann, während die Volksparteien CDU und SPD dramatisch verloren, könnte allerdings zu mehr Tempo und Engagement anspornen – in Berlin und in Köln.
Da seit der Bundestagswahl viel über Jamaika geredet wird und Journalisten Koalitionen ohnehin gerne griffige Namen verpassen, scheint es mit Blick auf den Stadtrat angebracht, von Südafrika zu sprechen. Dessen Nationalflagge enthält sämtliche Farben, die für jene vier Fraktionen und Gruppen stehen, die den städtischen Haushalt für das kommende Jahr beschließen werden: Schwarz, Grün, Gelb, Rot, Weiß, Blau.
Die ersten drei Farben stehen für drei hinlänglich bekannte Parteien, die übrigen sind im Logo der „Guten Wählergruppe Köln“ zu finden. Die besteht aus zwei Ratsmitgliedern, hat die parteilose Oberbürgermeisterin Henriette Reker im Wahlkampf unterstützt und steht den Ideen der Grünen insgesamt nicht ganz fern.
Das Südafrika-Bündnis hat den von Kämmerin Gabriele Klug (Grüne) vorgelegten Etat-Entwurf nur geringfügig verändert. Rund 4,6 Milliarden Euro wird die Verwaltung 2018 ausgeben. Der Großteil sind Pflichtausgaben, um die eine Kommune nicht umhin kommt, zum Beispiel Gehälter für das eigene Personal und Sozialhilfeleistungen.
Finanzplan enthält weder Steuer- noch Gebührenerhöhung
Die Finanzbeschlüsse, durch die Südafrika mal symbolisch, mal tatsächlich politische Schwerpunkte setzt, machen nicht einmal 0,8 Prozent des Haushalts aus. Da geht es darum, den Zustand der Schulgebäude zu verbessern, Sportvereine zu entlasten und freie Kulturszene stärker zu fördern. Jugendarbeit, Beratungsstellen, soziale Einrichtungen und Initiativen zum Klimaschutz werden in der Etat-Vereinbarung ebenfalls besonders bedacht.
Kämmerin Klug hat es den Ratsfraktionen diesmal vergleichsweise leicht gemacht. Ihre Finanzplanung enthält weder Steuer- noch Gebührenerhöhungen. Bürger und Unternehmen bleiben deshalb von zusätzlichen Belastungen verschont. Dank der allgemein guten wirtschaftlichen Lage steigen die Einnahmen insbesondere durch die Gewerbesteuer auf Rekordhöhe. Die niedrigen Zinsen sorgen dafür, dass die Stadt ihre Schulden im Griff hält und sogar noch investieren kann.
Einnahmen bleiben hinter Ausgaben zurück
Und dennoch ändert das nichts an dem Dilemma, in dem sich Köln wie viele andere Städte auch befindet: Die Einnahmen bleiben regelmäßig hinter den Ausgaben zurück, Jahr für Jahr klafft in der Bilanz ein Loch in dreistelliger Millionenhöhe. Daran wird sich ohne Hilfe aus Berlin und Düsseldorf so bald nichts ändern; es sei denn, die Stadt schlägt einen derart radikalen Sparkurs ein, dass sie sämtliche Zuschüsse streicht, Schwimmbäder schließt und die Oper gar nicht erst wiedereröffnet.
Kein schönes Szenario für die Kölner. Auch nicht für Stadtchefin Reker, die 2020 für eine zweite Amtszeit kandidieren will. Und ebenso wenig für die Südafrika-Parteien, die ihre Wähler nicht an, sagen wir, Rot-Rot verlieren wollen.
Verkehr
Pläne zur Verbesserung des Verkehrsflusses gibt es genug, alleine an der Umsetzung mangelt es. Das hat Verkehrsdezernentin Andrea Blome zum Jahresbeginn treffend bei ihrem Amtsantritt festgestellt. In den vergangenen zehn Monaten hat aber auch sie das Ruder nicht entscheidend herumreißen können. Stattdessen gibt es allerorten Verzögerungen, sei es bei der Fertigstellung des Kalker Stadtautobahntunnels oder bei der Sanierung der Zoobrücke und der Mülheimer Brücke.
Eine neue Ost-West-U-Bahn zwischen dem Heumarkt und der Universitätsstraße wird zwar diskutiert, eine Entscheidung steht aber noch aus, weil die Finanzierung des eine Milliarde Euro teuren Projekts ungewiss ist. Blome will ein neues Amt für Verkehrsmanagement gründen und einen Ampelexperten verpflichten. Aber auch das ist zunächst einmal nur ein Plan.
Stadtklima
Die Lage ist verfahren: Vertreter der neuen Landesregierung genau wie die politischen Spitzen der Stadt werden nicht müde zu betonen, dass es in Köln keine Fahrverbote geben soll. Einzig Umweltdezernent Harald Rau sagt zur Zeit recht offen, was viele Experten prognostizieren. Ohne Verbote wird es wohl nicht gehen. Rund 157 000 Dieselfahrzeuge sind in Köln gemeldet, rund zwei Drittel haben schlechtere Werte als Euro 6. Hinzu kommen Zehntausende Pendler.
Ein Papier, das eine Kommission unter Rau erarbeitet hatte, sah Fahrverbote als eine von mehreren Möglichkeiten zur Verbesserung der Luftqualität vor. Oberbürgermeisterin Henriette Reker pfiff ihn zurück. Das Verhältnis zwischen Kölns oberstem Umweltschützer und seiner Chefin gilt als recht angespannt.
Auch mit Kölns neuer Verkehrsdezernentin soll es Rau nicht leicht haben. Andrea Blome sprach von „Kommunikationsfehlern“ innerhalb der Verwaltung. Doch was soll geschehen, um die Vorgaben zur Luftreinhaltung einzuhalten, wenn ein Fahrverbot nicht in Frage kommt?
Deutsche Umwelthilfe hat Klage eingereicht
Nach dem so genannten „Dieselgipfel“ bei Bundeskanzlerin Angela Merkel forderte OB Reker kurzfristige Lösungen. Wie die aussehen, ist aber unklar. Die Stadt kündigte jetzt an, dass sie in den „kommenden Wochen“„Handlungsempfehlungen“ erarbeiten wolle. Man darf gespannt sein. Stadt und Bezirksregierung sind zum Handeln gezwungen, weil die Deutsche Umwelthilfe wegen hoher Stickstoffdioxid-Werte auch in Köln Klage eingereicht hat.
Man könnte erwarten, dass dieses Thema ein Herzensanliegen der Grünen sein müsste, die für die aktuelle Kommunalpolitik mitverantwortlich sind. Sie aber sagen: Man brauche keine neuen Beschlüsse. Man müsse vielmehr „einfach mal anfangen, Beschlüsse umzusetzen“, so der verkehrspolitische Sprecher der Ratsfraktion.
Kölner Umweltpolitik wirkt wenig mutig
Die Kölner Umweltpolitik wirkt zur Zeit wenig mutig und entschlossen. Außer der Durchsetzung von höheren Umweltstandards bei Bauprojekten lässt sich wenig Konkretes berichten. Der Schlüssel bleibt die Verkehrspolitik. Das in der Innenstadt und an anderen neuralgischen Punkten die Förderung des Radverkehrs helfen würde, ist unumstritten. Jetzt gibt es immerhin ein Radverkehrskonzept für die Innenstadt – allerdings ohne konkreten Zeitplan für die Umsetzung.
Andere Städte sind weiter, in Stuttgart oder Hamburg kann man sogar kostenlos Leihfahrräder benutzen. Bleibt die Hoffnung auf einen wirkungsvollen Beitrag des Öffentlichen Personennahverkehrs. Die KVB versprechen eine weitere Umrüstung ihrer Dieselflotte. Echte Effekte würde jedoch der Ausbau des Bahnnetzes bringen. Doch auch da bleibt alles, wie es war: In Köln kommt nur wenig voran.
Wohnen
Obwohl es in Köln bereits seit Jahren an zusätzlichem bezahlbarem Wohnraum mangelt, bekommt die Stadtverwaltung das Problem nicht in den Griff. Die Situation hat sich in diesem Jahr sogar verschlimmert. Die Zahl der Fertigstellungen und Baugenehmigungen sollte eigentlich steigen, in der Realität ist sie jedoch zurückgegangen. Im vergangenen Jahr kamen lediglich 3000 neue Wohnungen hinzu, in diesem Jahr werden es voraussichtlich noch weniger sein.
Zur Deckung des tatsächlichen Bedarfs benötigt die Stadt aber 6000 bis 7000 neue Wohnungen pro Jahr. Baudezernent Franz-Josef Höing, der zum 1. November nach Hamburg wechselt, hat zwar eine Wohnungsbauleitstelle gegründet, ein Erfolg dürfte dem neuen Instrument jedoch nicht beschieden sein.
Stadtentwicklungskonzept wird nicht konsequent umgesetzt
Die Leitstelle verfügt über lediglich zwei Mitarbeiter und hat keinerlei Befugnisse gegenüber anderen Ämtern. Ein scharfes Schwert sieht anders aus. Dabei sind es gerade die schleppenden Abläufe innerhalb der Verwaltung, die einen umfangreicheren Wohnungsbau verhindern. Immobilienunternehmer beschweren sich bereits seit Jahren über zu langwierige Genehmigungsprozesse.
Das Problem ist zwar erkannt, aber es ändert sich trotzdem nichts. Die Verwaltung muss sich auch die Frage gefallen lassen, warum das vom Stadtrat im Frühjahr verabschiedete Stadtentwicklungskonzept Wohnen nicht konsequent umgesetzt wird. Im Norden Kölns soll mit Kreuzberg nördlich von Blumenberg ein völlig neuer Stadtteil entstehen.
Doch seitdem ist von dem wichtigen Vorhaben nichts mehr zu hören. Der geförderte Wohnungsbau kommt ebenfalls nicht in die Gänge. Das Kooperative Baulandmodell, das bei jedem Projekt einen Anteil von 30 Prozent an Sozialwohnungen vorschreibt, greift nicht richtig. Investoren beklagen, dass sich das Erteilen einer Baugenehmigung durch den komplizierten Prozess sogar noch weiter verlängert hat. Ob die Idee, städtische Grundstücke an denjenigen zu vergeben, der das beste Konzept vorlegt – und nicht an denjenigen, der das meiste Geld bezahlt – funktioniert, muss sich noch zeigen.
Genossenschaften, die Wohnungen zu vergleichsweise bezahlbaren Mieten anbieten, suchen händeringend nach Bauland. Sie können sich gegen finanzstarke Privatinvestoren auf anderen Wegen kaum noch durchsetzen. Oberbürgermeisterin Henriette Reker hat das so wichtige Thema trotz aller Dringlichkeit nicht zur Chefsache erklärt. Alle Hoffnungen ruhen jetzt auf dem künftigen Baudezernenten, der allerdings noch gefunden werden muss. Führende Ratspolitiker haben bereits den Anspruch formuliert, dass es unbedingt jemand sein soll, der nicht nur plant, sondern auch tatsächlich Wohnungen baut.
Es scheint, als wäre das Tempo angezogen worden. Zumindest schaffen es Schul- und Bauverwaltung sowie der für die Reform der Gebäudewirtschaft zuständige Stadtdirektor diesen Eindruck zu vermitteln. Eine erste Nagelprobe wird schon in wenigen Monaten zeigen, ob den Worten Taten folgen. Gewissermaßen aus dem Nichts will die Stadt eine neue Gesamtschule in Vogelsang bereits zum kommenden Schuljahr starten lassen.
Einfacher wird es in Widdersdorf, wo die Räume der bislang privaten Friedensschule für den Start eines neuen Gymnasiums genutzt werden können. Eltern im Kölner Westen protestieren schon mal profilaktisch, weil sie den Ankündigungen der Stadt misstrauen. Mit einer französischen Firma wurde für vier weitere Schulen ein Sanierungspaket in Form einer öffentlich-privaten Partnerschaft auf den Weg gebracht.
Bürgerbeteiligung
OB Reker hat eine Reihe von Stadtgesprächen zum Thema „Kölner Perspektiven 2030“ gestartet. Der erste Abend in der Innenstadt illustriert das Grundproblem: Nur rund 150 Kölner machten mit. Wie repräsentativ sind solche Verfahren? Wer vertritt zum Beispiel bei Wohnungsbau- oder Schulbauprojekten die Interessen derer, für die gebaut werden soll? Als erste deutsche Millionenstadt hat die Stadt einen „Leitlinienprozess“ für die Bürgerbeteiligung gestartet.
Das Ziel ist ambitioniert: Neue und moderne Beteiligungsformate sollen entwickelt und erprobt werden. Festgelegte Standards werden zum Regelwerk. Dabei geht es auch um die Frage, wie diejenigen beteiligt werden können, die es nicht gewohnt sind mitzumischen. Beim Bürgerhaushalt funktioniert das bislang nicht. Trotzdem hat die Stadt eine neue Auflage gestartet.