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Marlon (15) in Köln erstochenSo schlecht geht es der Mutter fast zehn Jahre danach

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Die Kölner Polizei am Tatort in Ehrenfeld, im April 2012.

Köln – Den Tod des eigenen Kindes zu verarbeiten, das wird seiner Mandantin ohnehin schwer gelingen, sagt Opfer-Anwalt Tobias Westkamp. Doch dass es, fast zehn Jahre nach dem tödlich verlaufenen Messerangriff auf den damals 15-jährigen Marlon in Neuehrenfeld, immer noch kein rechtskräftiges Urteil gegen den Täter gebe, gebe der Mutter noch nicht einmal die Chance, irgendwie mit der Tragödie abzuschließen. Bis heute ist die 45-Jährige schwer traumatisiert, sie leidet unter Schlaflosigkeit, nimmt starke Medikamente.

Nun wird der Fall wieder verhandelt, dessen Akten so lange im Keller des Landgerichts verstaubten, nachdem der Bundesgerichtshof eine erste Entscheidung aufgehoben hatte. Die Strafkammern in Köln seien überlastet und der Angeklagte nicht mehr in Untersuchungshaft, hieß es als Erklärung des Gerichts für die überlange, aus Sicht der Angehörigen viel zu lange Verfahrensdauer. Eine pragmatische Lösung müsse her, um endlich Rechtsfrieden zu schaffen, dachte sich offenbar der Vorsitzende Richter Achim Hengstenberg beim Prozessauftakt am Mittwoch. Doch er scheiterte mit dem Vorhaben, den Prozess schnell und für alle Seiten möglichst ertragbar zu beenden. Ein vom Richter vorgeschlagener Deal kam nicht zustande.

Tödlicher Streit um den Nachbarshund

Es ist der 11. April 2012, gegen 21 Uhr, als der heute 68-jährige Klaus P. mit dem Vater von Marlon in Streit geriet. Gemeinsam lebte man in Wohnwagen auf dem Takufeld, Marlons Familie war im Schaustellergewerbe tätig, wie Klaus P. früher auch. Er hatte den Beruf aber an den Nagel gehängt, soll sich von den anderen abgesondert und ein Leben als Eigenbrötler geführt haben. Marlons Vater soll den Mann in Begleitung seines Sohnes zur Rede gestellt haben, nachdem dieser den trächtigen Yorkshire-Terrier der Familie getreten haben soll. Der Vater sei auf den Nachbarn zugegangen und weggeschubst worden, heißt es in der Anklage. Dann habe Klaus P. völlig unvermittelt ein Messer gezogen und es dem dabeistehenden Marlon in die Brust gerammt haben. Die Klinge trat mit ihrer gesamten Länge von zwölf Zentimetern in den Oberkörper des Jungen ein, sein linker Herzbeutel wurde getroffen. Zwölf Stunden später verstarb Marlon in der Klinik an multiplem Organversagen. Klaus P. wurde festgenommen, kam zunächst in Untersuchungshaft.

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Der Angeklagte Klaus P. im Landgericht mit seinen Verteidigern Marco Heymann und Abdou Gabbar (v.r.).

Bis heute ist es unstrittig, dass der Angeklagte es war, der Marlon den tödlichen Stich beigebracht hat. Und doch beteuern seine Anwälte Marco Heymann und Abdou Gabbar, dass ihr Mandant nicht schuldhaft gehandelt habe. Er habe sich bedroht gefühlt, um sein eigenes Leben gefürchtet und daher zum Messer gegriffen. Verteidiger Gabbar spricht in dem Zusammenhang von einer möglichen sogenannten Putativnotwehr, bei der der Täter irrtümlich davon ausgeht, dass die für die Notwehr erforderlichen Voraussetzungen vorliegen. Denn eine derart vom Angeklagten skizzierte Bedrohungslage – er sprach davon, regelrecht eingekeilt worden zu sein – soll an besagtem Abend tatsächlich nicht bestanden haben. 15 Verhandlungstage hatte das Landgericht unter dem damaligen Vorsitzenden Heinz Hemmers gebraucht, um im März 2013 eine erste Entscheidung zu finden. Sogar eine Ortsbegehung hatte das Schwurgericht durchgeführt, unter den Augen der Eltern hatte der Angeklagte nachgestellt, aus welcher Position er zugestochen und Marlon getroffen hatte.

Erstes Urteil wegen Verfahrensfehler aufgehoben

Das Urteil lautete auf fünf Jahre Gefängnis, Totschlag in einem minder schweren Fall nahm das Gericht damals an. Eine scheinbar salomonische Lösung, nachdem die Staatsanwaltschaft zehn Jahre Haft und die Verteidigung Freispruch beantragt hatten. Damals hatten die Verteidiger sogar noch von einer Art Unfall gesprochen, Marlon sei ihrem Mandanten regelrecht „ins Messer gelaufen.“ Die Anwälte hatten mit dieser Version einen rechtlichen Hinweis des damaligen Richters aufgenommen, der auch eine fahrlässige Tötung für möglich gehalten hatte. Im Urteil waren Hemmers und seine Kollegen davon aber wieder abgerückt. Letztlich waren es aber nicht die Feststellungen zum Tatverlauf, sondern ein simpler Verfahrensfehler sorgte dafür, dass der Bundesgerichtshof das Verfahren aufgehoben hatte. So hatte die Schwester des Getöteten nur im Gerichtssaal aussagen wollen, wenn sie dem Täter nicht begegne. Für die Dauer der Vernehmung wurde der Angeklagte daher in die Vorführzellen des Gerichtsgebäudes gebracht. Danach hatte der Richter es versäumt, diesen über alle Einzelheiten der Zeugenvernehmung aufzuklären. Ein absoluter Revisionsgrund.

Im Januar 2014 wurde Klaus P. aus der JVA Ossendorf entlassen, die Fortführung der Untersuchungshaft sei nicht verhältnismäßig, sagten die Behörden. Denn mehr als fünf Jahre Gefängnis insgesamt drohten dem Mann nicht mehr, nachdem die Staatsanwaltschaft keine Revision eingelegt hatte und daher das Verschlechterungsverbot in Bezug auf die Strafhöhe greift. Da Haftsachen beim Landgericht vorgehen, blieb der Fall liegen. Bis ins Jahr 2020, doch aufgrund der Corona-Pandemie musste der neue Prozess nach nur einem Verhandlungstag abgebrochen werden. Dem Angeklagten sei es aufgrund seines Alters und mehrerer Vorerkrankungen nicht zuzumuten, sich einer Infektionsgefahr im Gericht aussetzen zu müssen. Nun also der nächste Anlauf.

Richter schlägt Deal zur Abkürzung des Verfahrens vor

Ob man sich denn nicht einigen könne, fragte der Vorsitzende Richter Achim Hengstenberg, der nach Aktenlage auch eine Körperverletzung mit Todesfolge für möglich hielt. Kurt P. sei bei der Tat sehr aufgebracht und gleichzeitig gesundheitlich angeschlagen gewesen, sodass er womöglich nicht damit rechnen konnte, dass Marlon verstirbt. Hengstenberg sprach - nicht wie sonst üblich hinter verschlossenen Türen, sondern in einem offenen Rechtsgespräch - davon, sich eine maximale Strafhöhe von vier Jahren Gefängnis vorzustellen.

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Aufgrund der langen Verfahrensdauer könnten sechs Monate Haft angerechnet werden. Und dann, bei Rechtskraft des Urteils, könnte man sich darüber unterhalten, den Rest der Strafe zur Bewährung auszusetzen. Dann müsste Klaus P., der nicht vorbestraft war, nicht mehr ins Gefängnis, er wäre das Damoklesschwert, das seit vielen Jahren über ihm Kopf schwebe, los. Voraussetzung sei aber ein Geständnis, die Abkehr von möglichen Schutzbehauptungen. Die Verteidigung erteilte dem Vorschlag eine Abfuhr. Der Mandant könne nur das berichten, was er in dem Moment erlebt habe und davon werde er nicht abweichen, sagte Anwalt Marco Heymann. Heymann deutete an, dass der Mandant lieber einen weiteren Haftaufenthalt riskiere, als von seinen Prinzipien abzurücken. Das Ziel der Verteidiger bleibt damit ein Freispruch.

Marlons Mutter zu traumatisiert um auszusagen

Opfer-Vertreter Tobias Westkamp zweifelte an, dass Klaus P. ohne Tötungsvorsatz gehandelt haben könnte, zu heftig sei der Stich mit dem Messer gewesen. Dass der vom Richter vorgeschlagene Deal nicht zustande kommt, bedeutet auch, dass es mehr denn je auf die Zeugenaussagen von Marlons Familie ankommt, mehrere Mitglieder hatten die Attacke beobachtet. Marlons Mutter wird im aktuellen Prozess aber nicht aussagen müssen. Eine Psychiaterin riet dringend von einer Vernehmung ab, die Panikattacken oder sogar Selbstmordgedanken auslösen könne.

Zu traumatisiert sei die 45-Jährige, die von Flashbacks geplagt sei. Stattdessen soll ihre Zeugenaussage, die sie bei der Polizei machte, verlesen werden. Beim ersten Prozess vor neun Jahren hatte die Mutter ausgesagt: „Ich habe gesehen, wie er meinem Sohn das Messer in die Brust gerammt hat. Marlon ist noch drei Meter gelaufen, dann brach er zusammen. Das war der schlimmste Tag in meinem Leben.“ Die Familie hat Köln danach verlassen.