Das achte Studioalbum der Kölner Band Fortuna Ehrenfeld ist draußen. Texter und Sänger Martin Bechler über das „Glitzerschwein“.
„Klumpen Matsch an die Wand geworfen“Fortuna Ehrenfeld veröffentlicht mit „Glitzerschwein“ ein Album wie ein Poetry-Slam
Eines muss zuerst geklärt werden: Was bitte ist ein Glitzerschwein? „Das Glitzerschwein ist alles“, sagt Fortuna-Ehrenfeld-Sänger Martin Bechler ein wenig ominös. „Es ist eine Über-Figur, die auch auf uns aufpasst und uns inspiriert und darauf achtet, dass wir nicht einschlafen im Kopf. Es achtet mit Argus-Augen darauf, dass wir im Kopf und im Herzen beweglich bleiben.“ „Glitzerschwein“ ist aber auch der Titel des neuen Albums der Kölner Indie-Band. Fortuna-Ehrenfeld-Album Nummer Acht greift mit dem Titel auf einen älteren Song gleichen Namens aus 2017 zurück. „Das ist immer der Abräumer auf Konzerten“, sagt Bechler.
„Ich mag es, wenn die Figuren bei mir bleiben. Das ist eine ongoing Story.“ Also feiert das Glitzerschwein sein Comeback auf der Platte, die am 8. September erscheint. Die Figuren, die bei Bechler bleiben, das sind auch sprachliche. Track 2 mit dem wohlklingenden Namen „Leck mich am Arsch, amore mio“: „Ich hab in deinen Augen was Gewaltiges gesehen / Es wird schon bald in jedem angesagten Reiseführer stehen“. Bechlers Worte werden umhüllt von spacigen Synthie-Sounds.
Martin Bechler: Glitzerschwein ist der übliche Fortuna-Wahnsinn
Das sprachliche Bild greift er in „Revolution No.9“ wieder auf mit: „Ich hab in deinen Augen was Gewaltiges gesehen / Ja, und daneben saß die Einsamkeit mit allen ihren Schrammen / Bling-bling, weißt du, Mut kommt von Mutter“. Dazu bis aufs Minimum reduzierte Melodien. Weiter: „Der Beat ist mein Baby, denn der Beat ist die Macht / In der Nacht, in der Nacht, in der gottverdammten Nacht“ und „Aus meiner Wut gegen Insomnia schrieb ich noch Stunden später einen allumfassenden Angriffspakt gegen die mir bekannten Großhirnrinden / Paragraph Eins: Hab ich vergessen, also glotz‘ mich nicht so an“ – seitenlang könnten Songzitate folgen, „Glitzerschwein“ ist Musik gewordener Poetry-Slam.
„Der übliche Fortuna-Wahnsinn“, so sagt es Martin Bechler. „Wir greifen tief in die Farbkiste, verrühren es mit einem Klumpen Matsch und werfen den mit aller Wucht an die Wand. Dann schauen wir uns an, wie das langsam heruntersuppt und unten fangen wir es wieder auf.“ Bechler textet für den „verwegenen Haufen“, wie er die Band nennt. Dabei sei er eigen, sagt der 54-Jährige. Der Prozess hört nie auf: „Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht irgendetwas aufschreibe, weil es mich von hinten überfällt. Das ist ein Motor, den ich nicht stoppen kann“, sagt Bechler.
„Wenn nur eine falsche Silbe im Text ist, kann ich nicht ruhig schlafen. Da lasse ich mir wenig reinhuddeln.“ Nichts läge Bechler allerdings ferner als Perfektion, sagt er. „Ich will, dass die Dinge unfertig sind. Weil wir Menschen auch unfertig sind. Wir Menschen sind auch fehlerhaft. Das ist ok so.“ Perfektion ist für ihn „Betrug am Kunden“. „Es gibt so viele Produkte, im Kino oder der Popmusik, die werden so lange durch Marktforschung geprügelt, bis sie zwar eine maximale Wirkung entfalten können, aber nur noch einen minimalen Inhalt in sich tragen“, sagt er.
Fortuna Ehrenfeld: Ohne das Team geht nichts
Eines will Martin Bechler trotz aller Eigenheiten und Imperfektionen nicht unerwähnt lassen: „Ich bin gesegnet mit zwei unfassbar talentierten Menschen. Es wäre ein Verbrechen, dieses frische Blut da nicht reinzumischen. Ohne die beiden geht gar nichts.“ Die beiden sind Jannis Küpfer am Schlagzeug und Keyboarderin Elin Bell. „Das gilt für das gesamte Team.“ Licht- und Tonleute, Gestalter und Techniker – „die gehören ebenfalls zum Prozess. Sie sind nicht im Rampenlicht, aber auch ein Teil des Gesamtkunstwerks.“
Als Essenz von „Glitzerschwein“ nennt Martin Bechler: „Mut, Aufbruch, Veränderung. Es geht darum alles, was uns daran hindert, ein friedliches, respektvolles und achtsames Leben zu führen, in den Rhein zu jagen und die Welt mit einer neuen Aufmerksamkeit einander gegenüber neu zu bauen.“
Fortuna Ehrenfeld spielen am 15. Oktober im Gloria, das Konzert ist ausverkauft. Für das Zusatzkonzert am 29. Dezember gibt es noch Tickets. Außerdem spielen sie am 13. September beim Festival Glow Up Cologne in der Philharmonie.