Luftangriff seit WeihnachtenDie letzten Tage der Festungsstadt Köln
- Selbst am Heiligen Abend ist die Stadt alliierten Luftangriffen ausgesetzt. Christmetten werden nur in Krypten einiger zerstörter Kirchen abgehalten.
- Nach dem Willen der Kölner Gauleitung sollen 14- bis 17-jährige Jugendliche die ausgezehrte Stadt verteidigen.
- Nach dem Bombardement herrscht in Köln ein Durcheinander kaum vorstellbaren Ausmaßes – Kanalisation und Versorgungsleitungen sind endgültig zerstört, die Reste der städtischen Verwaltung lösen sich auf.
- Aus unserer Serie: 75 Jahre Weltkriegsende.
Weihnachten 1944: Es ist das traurigste Weihnachtsfest, das Köln je erlebt hat. Selbst am Heiligen Abend ist die Stadt alliierten Luftangriffen ausgesetzt. Christmetten werden nur in Krypten einiger zerstörter Kirchen abgehalten, aber keine Glocke läutet.
Am nächsten Tag notiert Robert Grosche, Pfarrer von St. Mariä Himmelfahrt und Stadtdechant, in sein Tagebuch: „Einige Minuten vor 6 Uhr stehe ich in der Sakristei von St. Andreas, da krachen gleichzeitig mehrere Bomben, dann heftiger Bordwaffenbeschuss, der in unsere unmittelbare Nähe am Bahnhof zielte.“ An diesem ersten Weihnachtstag kommt Erzbischof Josef Frings, der seit geraumer Zeit in Bad Honnef untergebracht ist, trotz der pausenlosen Fliegerangriffe nach Köln, um in St. Maria im Kapitol die Bischofsmesse zu lesen. „Der Erzbischof war sichtlich erfreut, unter seinen Kölnern zu sein.“
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Grosche hat die verbliebenen katholischen Geistlichen aufgefordert, Köln nicht zu verlassen – „die Stadt soll nicht sterben, wir wollen ihr betender Mund sein“. Damals hausen schätzungsweise noch etwa 120 000 bis 150 000 Menschen in der Ruinenlandschaft, in Kellern und Bunkern.
Im Januar 1945 nehmen die Amerikaner ihren Vormarsch Richtung Rhein wieder auf – nach dem Scheitern der deutschen Ardennenoffensive können ihnen die ausgelaugten Kräfte der Wehrmacht kaum noch Widerstand leisten.
Als letzte verzweifelte Abwehrmaßnahme wird am 9. Februar 1945 die Rurtalsperre gesprengt – das Flüsschen Rur wird zum reißenden Strom und kann so die US-Verbände für einige Tage aufhalten. Amerikanische Tiefflieger setzen aber unaufhörlich ihre Angriffe fort – einen davon hat Christa Kreuder (Jahrgang 1934), die heute in Zollstock wohnt, miterlebt. Sie war bei Verwandten in der Voreifel untergebracht und sollte Brot holen. Auf dem Weg ins nächste Dorf bemerkt sie über den Wipfeln eines kleinen Wäldchens ein US-Flugzeug, das direkt auf sie zurast. „Ich habe mich ins Gebüsch geschlagen und ganz laut gebetet. Nur wenige Meter über mir musste der Pilot, dessen Gesicht ich sehen konnte, die Maschine wieder hochziehen.“
Das letzte Aufgebot der Festung Köln
Nach dem Willen der Kölner Gauleitung sollen neben den dezimierten Wehrmachtseinheiten vor allem 14- bis 17-jährige Jugendliche, die noch nicht zum Arbeitsdienst oder als Flakhelfer eingezogen sind, die ausgezehrte Stadt verteidigen – als Fronthelfer, es ist das letzte Aufgebot der „Festung Köln“. Tausende Kölner Jungen sind einem entsprechenden Aufruf der NSDAP-Kreisleitung nachgekommen und zum „Ehrendienst der Heimatverteidigung“, so ein HJ-Oberbannführer, angetreten.
Zudem werden einige Kompanien des im Herbst 1944 im ganzen Reichsgebiet gebildeten „Volkssturms“ aufgeboten, der hauptsächlich aus älteren Männern bis zu 60 Jahren besteht, die aber schlecht ausgebildet und ausgerüstet sind, teilweise noch mit Gewehren aus dem Ersten Weltkrieg.
Zu den Jugendlichen, die sich im Januar melden müssen, gehörte auch Willy Niessen, Mitautor des Buches „Frontstadt Köln“ (Niessen starb 2011 im Alter von 84 Jahren).
Er wurde als Angehöriger einer Volkssturmeinheit im Grüngürtel als Flakhelfer eingesetzt. Seit Ende Februar ist die Stadt aber schon amerikanischem Artilleriebeschuss ausgesetzt. Am 2. März 1945 registrieren Niessen und seine Kameraden Tieffliegerangriffe und vereinzelte Bombenabwürfe in den westlichen Stadtteilen; um 9.46 Uhr wird Großalarm ausgelöst – bei teilweise klarem Wetter überfliegen etwa 850 britische Lancasterbomber in zwei Wellen die Stadt und werfen Tausende von Sprengbomben und Minen ab, die die Trümmer der Stadt noch einmal „umpflügen“. Die großen Hochbunker werden durch die Einschläge hin und her geschüttelt, Häuserreste erneut zugeschüttet. Überall liegen Tote in den Straßen, darunter viele ausländische Zwangsarbeiter.
Der letzte große Luftangriff
Niessen schildert das Geschehen so: „Es hat praktisch keine Vorwarnung gegeben. Als die Flak zu schießen begann, waren die Lancaster schon über uns. Wir suchten im Keller eines nahen Hauses Schutz – dann ging es los, als kämen Güterzüge herunter. Die Druckwellen einer detonierenden Luftmine rissen uns alle zu Boden.“
Dann verlagern sich die Einschläge in Richtung Innenstadt. Das Dröhnen der viermotorigen Bomber geht den Jugendlichen in Mark und Knochen – „nach einer halben Stunde war der Angriff vorbei, wir zerstreuten uns in alle Winde, ich war sehr froh, als ich nach Nippes kam: Meine Eltern lebten noch.“
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Nach dem Bombardement herrscht im ohnehin schon chaotischen Köln ein Durcheinander kaum vorstellbaren Ausmaßes – Kanalisation und Versorgungsleitungen sind endgültig zerstört, die Reste der städtischen Verwaltung lösen sich auf, es gibt keine behördliche Aufzeichnung über diesen Angriff, lediglich die Anfangszeit des Alarms ist in einem Dokument festgehalten – 9.46 Uhr.
Zerstört wird auch das bisher nur leicht beschädigte Polizeipräsidium in der Krebsgasse; in seinem Luftschutzkeller finden mehr als 150 Beamte und SS-Leute den Tod durch den Bombenhagel. Schwere Treffer verzeichnen die Kirche Groß St. Martin und das Rathaus. Auch der Dom wird erneut durch Bombensplitter an der Nordseite beschädigt.
Flucht war die einzige Option
In den – 1954 herausgegebenen – statistischen Mitteilungen der Stadt mit dem Titel „Köln im Luftkrieg“ liest man über diesen letzten Angriff: „Nur aus Augenzeugenberichten ist bekannt, dass die Zahl der Bomben, aber auch deren Zerstörungskraft, als außergewöhnlich angesprochen werden müsse, so dass nicht nur vieles noch erhalten Gebliebene nunmehr seiner endgültigen Zerstörung anheimfiel, sondern auch für die noch verbliebene Einwohnerschaft ein weiteres Verweilen in der Stadt unmöglich erschien.“ Mehr als 80 000 Menschen fliehen in den nächsten Tagen aus der Trümmerstadt. Die Zahl der Kölner Opfer des Bombenkrieges ist mit diesem Angriff auf mindestens 20 000 gestiegen.
NS-Dokumentationszentrum beschreitet neue Wege
Vom 6. März bis zum 24. Mai wird das Gewölbe des Kölner EL-DE-Hauses zu einer „Media Box“. Zur 75. Wiederkehr des Kriegsendes werden in einer Ausstellung Kombinationen aus Licht- und Audioinstallationen sowie Film- und Bild-Projektionen gezeigt, womit das NS-Dokumentationszentrum (NS-Dok) völlig neue Wege beschreitet. Diese Projektionen, kombiniert mit einer Lesung und Musik, werden an zwei Tagen auch an Originalschauplätzen im Kölner Stadtgebiet gezeigt. Zur Eröffnung der Ausstellung am 5. März findet dies ab 19 Uhr am Neptunplatz statt, US-Truppen stießen am 5. März 1945 auch über die Venloer Straße in Richtung Dom vor.
Nach Unterlagen der britischen Royal Air Force fliegen zwischen September 1944 und Anfang März 1945 mehr als 4000 Flugzeuge gen Köln und klinken 18 000 Tonnen Bomben über der Stadt aus, mehr als in den vergangenen vier Kriegsjahren zuvor. Die US Air Force, die erst Ende September in den Luftkrieg gegen Köln eingreift und im Gegensatz zur RAF Tagesangriffe bevorzugt, setzt bis März 7000 Maschinen ein, die etwa 12 000 Tonnen ihrer Bombenlast abwerfen.
Vor allem der Angriff vom 2. März 1945 ist eine Antwort von Briten und Amerikanern auf die erbitterten Kämpfe um Aachen und im Hürtgenwald: Da die NS-Propaganda in ihrem blinden Fanatismus großsprecherisch verkündet, Köln werde bis zum letzten Mann und bis zum letzten Atemzug verteidigt und unter keinen Umständen dem Feind überlassen, will man seitens der Alliierten kein Risiko eingehen und beschließt, den entscheidenden Angriff mit einem schweren Luftschlag einzuleiten.
Auf der anderen Seite finden die verantwortlichen deutschen Kommandeure – denen angesichts der desolaten Lage klar ist, dass der Fall der Stadt unmittelbar bevorsteht – nicht den Mut, über eine kampflose Übergabe zu verhandeln.
Und so wird bei diesem letzten von insgesamt 262 Luftangriffen wieder ungezählten Menschen Tod und Verderben gebracht und auch noch zerstört, was bis dahin noch nicht den Bomben zu Opfer gefallen ist. Etwa St. Georg am Waidmarkt als letzte Altstadtkirche.
Als amerikanische Bodentruppen am 5. März 1945 in die westlichen Vororte Kölns einrücken, setzen sich die führenden Nazis, darunter Gauleiter Grohé, ins Rechtsrheinische ab.