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Lachgas als Karnevalsdroge„Ich hatte einen Patienten, der nicht mehr allein laufen konnte“

Lesezeit 5 Minuten
Junge Männer und Frauen sitzen mit Luftballons voller Lachgas auf Tischen an den Kölner Ringen.

Lachgas ist die neue Partydroge auf den Kölner Ringen.

Auch im Kölner Straßenkarneval sind viele Jugendliche mit Lachgas zu sehen. Es drohen schwere Nervenschäden, wie ein Arzt im Interview erklärt.

Prof. Dr. Volker Limmroth ist Chefarzt für Neurologie und Palliativmedizin am Klinikum Köln-Merheim. Seine Spezialgebiete sind Multiple Sklerose, Chronische Schmerzen, Parkinson und Langlebigkeitsmedizin. Er gehört wiederholt zu den besten deutschen Ärzten, u.a. als Top-Mediziner in der „Ärzteliste“ des Magazins „Focus Gesundheit“.

Herr Prof. Limmroth, wie oft haben Sie in der Notaufnahme mit Schäden von Lachgas-Konsum zu tun?

Das Ganze nimmt allmählich endemische Ausmaße an. Im Herbst hatten wir die ersten vereinzelten Fälle, inzwischen kommen fast jede Woche Patienten mit extremem Vitamin B12-Mangel in die Klinik, fast immer junge Menschen im Alter von 18 bis 30 Jahren. Aber klar ist auch: Wir kriegen hier nur die Spitze des Eisbergs mit. Der Konsum ist unter jungen Menschen weit verbreitet.

Ein medizinisches Produkt, das für Narkosen verwendet wird, steht am viel besungenen Kölner Büdchen neben dem Kühlschrank mit dem Kölsch. Das ist doch Live-Satire.
Prof. Volker Limmroth, Chefarzt für Neurologie

In Großbritannien, in den Niederlanden und in skandinavischen Ländern sind Besitz und freier Verkauf von Distickstoffmonoxid, also Lachgas, schon illegal, in Deutschland nicht. Sind Sie für ein Verbot?

Eindeutig ja. Das Thema ist leider auch in der Medizin und erst recht in der breiten Bevölkerung noch gar nicht richtig angekommen. Dabei müsste man längst Prävention in Schulen betreiben. Man muss sich das mal vorstellen: Lachgas-Kartuschen werden in Kiosks in Deutschland frei verkauft. Ein medizinisches Produkt, das für Narkosen verwendet wird, steht am viel besungenen Kölner Büdchen neben dem Kühlschrank mit dem Kölsch. Das ist doch Live-Satire. Das sage ich als Mediziner und als Vater von drei Kindern: Das darf nicht sein.

Porträtfoto von Prof. Volker Limmroth

Prof. Volker Limmroth ist Chefarzt für Neurologie und Palliativmedizin am Klinikum Köln-Merheim

Konsumiert wird das Lachgas meist über Luftballons. Wie fühlt sich so ein Lachgas-Rausch an?

Es flutet schnell an. Manche berichten von einem Kick, manche verlieren auch kurz das Bewusstsein. Aber alles fühlt sich plötzlich leicht an und schwerelos. Man kriegt eine schnelle Distanz vom Leben, manche Konsumenten werden albern. Aber das Gefühl flaut auch schnell wieder ab, nach zehn bis 20 Minuten – je nachdem, wie viel man genommen hat.

Er wird vermutlich sein Leben lang unter Nervenstörungen leiden.
Prof. Volker Limmroth über einen seiner jungen Patienten

Welche Beschwerden haben die Patienten, die zu Ihnen kommen?

Wir bekommen in der Klinik die Spätfolgen mit. Erste Anzeichen für übermäßigen Konsum können ein Taubheitsgefühl oder ein Kribbeln in Armen und Beinen sein. Neulich wurde ein junger Mann in die Notaufnahme gebracht, gestützt von zwei Angehörigen, der gar nicht mehr alleine laufen konnte. Das kann er auch jetzt noch nicht, weil sein Rückenmark schwerstgeschädigt ist. Irreversibel. Er wird vermutlich sein Leben lang unter Nervenstörungen leiden.

Wie kommt das? Sie erwähnten einen extremen B12-Mangel, was bedeutet das?

Die Nervenzellen unseres zentralen Nervensystems sind von einer so genannten Myelinscheide umgeben. Man kann sich das vorstellen wie die Isolationsschicht um das Kupfer bei einem Kabel. Diese Isolationsschicht wird ständig erneuert. Für den Stoffwechsel braucht der Körper Vitamin B12, aber Lachgas blockiert den Stoffwechsel. Das kann Rückenmarksschädigungen zur Folge haben. Wir kennen dieses Krankheitsbild der funikulären Myelose sehr gut von älteren Patienten, die eine Autoimmunerkrankung haben und bei denen Vitamin B12 im Dünndarm nicht mehr richtig resorbiert wird. Auch diese Patienten können immer schlechter laufen, aber bei ihnen ist es eben eine Autoimmunerkrankung. Bei einer Gangstörung im Alter ist es längst Standard, dass wir in der Klinik den Vitamin-B12-Spiegel mitbestimmen. Aber niemand kommt normalerweise auf die Idee, einen eklatanten B12-Mangel bei einem 18-Jährigen zu suchen. Bei Jugendlichen ist das ein unbekanntes Krankheitsbild.

Wie oft und wie viel Lachgas muss man konsumiert haben, bis es so weit kommt?

Pauschal ist das schwer zu sagen. Der junge Mann, der von zwei Begleitern gestützt werden musste, hatte das über ein halbes Jahr intensiv genommen, jeden zweiten Tag. In anderen Fällen hatten die Patienten teilweise ohnehin schon einen niedrigen Vitamin-B12-Spiegel, da ging das dann deutlich schneller. Es kommt also auch darauf an, wie viel Reservekapazität man hat. Das ist individuell verschieden.

Man muss das Lachgas wirklich weglassen. Erst dann kann der Stoffwechsel wieder einsetzen.
Prof. Limmroth, Chefarzt für Neurologie in Köln

Wie reagiert ein 18-Jähriger, wenn Sie ihm sagen, dass er wegen übermäßigen Lachgas-Konsums vielleicht nie mehr richtig laufen kann?

Wissenschaftlich kann ich es zwar nicht belegen, aber mein klinischer Eindruck ist, dass der Übergebrauch von Lachgas manche Patienten auch psychisch verändert. Die haben dann eine regelrechte Egal-Haltung, wirken von sich und der Welt relativ distanziert. Wir sagen „schwingungsarm“ dazu. Diese Menschen zeigen insgesamt wenig Emotionen und nehmen eine solche Nachricht dann auch schicksalsergeben hin. Die sagen: Naja, dann muss ich halt üben. Das trifft aber nicht auf alle zu. Der größere Teil ist schon besorgt und sagt: Dann lasse ich das jetzt ab sofort sein.

Manche Konsumenten sagen, sie gleichen ihren Vitamin-B12-Mangel durch den Konsum einfach mit Vitamintabletten wieder aus. Funktioniert das?

Vielleicht, zum Teil. Aber ich bin weit davon entfernt zu sagen: Macht ruhig weiter, nehmt nur ab und zu ein paar Vitamintabletten. Älteren Patienten mit funikulärer Myelose kann man B12 subkutan oder intravenös verabreichen, dann ist die Sache meist wieder in Ordnung. Aber beim Lachgas liegt die Sache ein bisschen anders. Selbst wenn Sie B12 subkutan oder intravenös geben – der Stoffwechsel ist einfach blockiert, das B12 kommt gar nicht bei den Nervenzellen an. Die Patienten haben B12 dann zwar im Körper, aber der Körper kann es nicht mehr verstoffwechseln. Mit den Tabletten kann man vielleicht seine B12-Speicher hochfahren und hat dann ein bisschen mehr Reserve oder Puffer. Aber das ist schon ein gefährliches Spiel.

Was hilft denn tatsächlich?

Man muss das Lachgas wirklich weglassen. Erst dann kann der Stoffwechsel wieder einsetzen.

Geht das denn so einfach? Macht Lachgas süchtig?

Anders als zum Beispiel Kokain, Heroin oder Opioide macht es nicht körperlich abhängig. Aber bei labilen Menschen kann es eine psychische Abhängigkeit bewirken.

Bleiben bei Überkonsum zwangsläufig körperliche Schäden zurück oder lassen sich die Folgen auch heilen?

Ich habe aktuell zwei Fälle, bei denen sich die Schäden am Rückenmark anscheinend gar nicht mehr zurückbilden. In den meisten Fällen aber, vor allem wenn die Patienten rechtzeitig kommen, kriegt man es gut wieder hin. Aber die müssen halt auch kommen. Ich hatte bisher vier oder fünf Patienten mit dieser Egal-Haltung, die kommen ja gar nicht mehr alleine. Da sagen dann die Angehörigen oder Freunde irgendwann: Du kannst ja gar nicht mehr laufen, das müssen wir jetzt aber doch mal abklären lassen.