„Kann das nicht ertragen“Aaron Knappstein über Antisemitismus im Fußball
- Aaron Knappstein ist Präsident der Kölsche Kippa Köpp und macht Stadtführungen durch das jüdische Köln. Der Come-Together-Cup hat ihn mit dem CTC-Herz 2021 ausgezeichnet.
- Der 50-jährige Kölner spricht im Interview über das Verbot der UEFA, das Münchener Stadion in Regenbogenfarben leuchten zu lassen und über Antisemitismus im Sport und Karneval.
Köln – Herr Knappstein, was sagen Sie zum Verbot der UEFA, das Münchner Stadion in Regenbogenfarben leuchten zu lassen? Aaron Knappstein: Ehrlich gesagt habe ich nichts Anderes erwartet. Gegen Rassismus, Antisemitismus und auch Homophobie aufzustehen, braucht mehr als ab und zu ein Plakat, welches man medienwirksam in die Kamera hält. Jetzt zieht man sich zurück auf den unpolitischen Fußball – davon war leider auszugehen. Sport war nie unpolitisch und soll es auch nicht sein, denn er kommt aus der Mitte der Gesellschaft. Übrigens glaube ich, dass der DFB heilfroh ist, dass hier der Ball an die UEFA gespielt werden musste: Ich befürchte, dass er nicht anders gehandelt hätte.
Makkabi Deutschland, der jüdische Turn- und Sportverband, hat in seinen Vereinen eine Mitglieder-Umfrage gemacht: Von etwa 300 Befragten haben aus dem Bereich Fußball zwei Drittel erzählt, dass sie schon antisemitisch beschimpft wurden. Eine Erfahrung, die Sie teilen?
Aus dem Freundeskreis höre ich das auch. Von Erwachsenen wie Kindern. Antisemitische Beschimpfungen, bei Jugendspielen auch durch Eltern, sind gegen Makkabi-Spieler gang und gäbe. Die Emotionen beim Fußball sind extrem hoch und finden dann leider auch in verbaler und körperlicher Gewalt ihren Ausdruck. Und das ist keine Frage des sozialen Stands, nehmen Sie nur die Hooligan-Szene: das sind ja nicht nur arbeitslose Asis, sondern da treffen sich auch Handwerker, Ärzte oder Anwälte, um sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen. Wenn man dann als Makkabi-Spieler mit dem Davidstern auf dem Trikot aufläuft und wissentlich für einen Verein aus dem jüdischen Spektrum spielt, bietet das natürlich Angriffsfläche. Da wird schnell verbal die antisemitische Keule rausgeholt. Obwohl die Mehrzahl der Spieler bei Makkabi gar nicht jüdisch ist. Ich weiß von muslimischen Makkabi-Spielern, die antisemitisch beleidigt werden. Die Hemmschwelle ist deutlich geringer geworden.
Angriff auf Makkabi-Spieler
Alon Meyer, der Präsident von Makkabi Deutschland, berichtet in einem Beitrag der Deutschen Welle von einem Fall, in dem ein Makkabi-Spieler mit einem Messer angegriffen wurde. Er wehrte sich. Beide Kontrahenten landeten schließlich im Krankenhaus und kamen ins Gespräch. Dabei stellte sich heraus, dass beide Spieler iranischer Abstammung waren. Der Angreifer sei perplex gewesen, so Meyer: „Wieso sprichst du persisch? Du bist einer von uns. Du bist ein Idiot. Wenn du mir das gesagt hättest, hätte ich dich nie attackiert.“ Der Makkabi-Spieler habe darauf geantwortet: „Nein, du bist ein Idiot, weil für dich der Davidstern das Böse symbolisiert. Du hättest mich einfach fragen können, was für ein Mensch ich bin, was hinter dem Trikot steckt.“ (stef)
Haben Sie als Dauerkartenbesitzer das im Stadion beim FC auch schon erlebt?
Ja. Ich stehe zwar nicht auf der Süd, aber natürlich gibt es das auch auf der Westtribüne. Das geht von „Schwule Sau“ bis „Du Jude“. Ich stehe dann auf und spreche die Leute an. Ich kann das nicht ertragen, weder im Stadion noch im Restaurant oder in der Bahn. Mindestens die Hälfte der Menschen erschreckt man mit dem Widerspruch, zumal wenn einem dann andere beipflichten. Natürlich bin ich dann auch schon körperlich bedroht worden. Aber das Standing dagegen, da kann man schon Leute mit erreichen. Das ist etwas, was meine Aktivitäten in so vielen Bereichen auch durchzieht, dass man klar macht, wer wir sind. Dass wir da sind. Und dass man sagt: Bis hier hin und nicht weiter. Die müssen merken, dass sie das nicht tun können, nur weil sie glauben, man kann das wieder tun. Die Stimmung in Deutschland ist ja bei Etlichen so: Ich kann das wieder sagen. Das hat sich in den letzten 15 bis zwanzig Jahren verändert.
Weil der Widerspruch früher offensiver war?
Es gab einfach weniger dieser Vorfälle, glaube ich. Zwei Dinge fallen mir dazu ein. Die Verrohung der Gesellschaft, kein rein deutsches Phänomen übrigens. In vielen Bereichen wird es aggressiver, beispielsweise im Verkehr. Und die Aggressiven werden jünger. Das andere ist dieses Gefühl bei einigen, nicht mehr gesellschaftlich geächtet zu werden, wenn sie rassistisch oder antisemitisch auftreten. Dazu tragen natürlich populistische Parteien wie die AfD massiv bei. Die testen Grenzen aus, überschreiten rote Linien, um danach dann halbherzig zurück zu ziehen. „Fliegenschiss der Geschichte“ oder „Mahnmal der Schande“ beispielsweise. Und es gibt dann Menschen, die denken, wenn die das können, kann ich das auch. Es sind wenige, aber oft lautere.
Wie erleben sie das in Köln?
Als ich noch im Vorstand der jüdischen Gemeinde war, haben wir auch antisemitische Zusendungen bekommen, aber die waren zu 99 Prozent anonym. Heute sind mindestens 50 Prozent unterschrieben, mit vollem Namen und Adresse. Das ist erschreckend.
Haben Sie Angst, auf die Straße zu gehen?
Nein. Ich persönlich bin bis heute weitgehend von Antisemitismus verschont geblieben. Ich kann mir aber vorstellen, wenn man dem massiv ausgesetzt ist, dass das etwas mit einem macht. Ich bin aber auch jemand, der relativ lange klar macht, dass ich nicht zurückschrecke vor solchen Attacken. Also Angst habe ich nicht, aber seit dem Anschlag in Halle kommen schon Gefühle hoch, die ich zuletzt Anfang der 90er Jahre hatte, nach den Übergriffen in Mölln, Solingen oder Hoyerswerda. Obwohl ich nicht besonders religiös bin, war ich an dem Tag in der Synagoge, Jom Kippur ist ja unser höchster Feiertag. Als ich nach Hause kam, habe ich von Halle gehört, da kamen mir schon die Tränen. Man denkt darüber nach, ob man so leben will, mit dem Gefühl, immer kämpfen zu müssen. Ob man hier bleiben kann. Immerhin hat man seit Halle das Gefühl, dass die Politik das Thema wieder ernster nimmt. Das ist wichtig, denn es geht nicht um „Wehret den Anfängen“, wir sind mittendrin. Wir müssen die roten Linien verteidigen. Man muss die Härte des Gesetzes anwenden, und wenn die Härte nicht ausreicht, die Gesetzte ändern. Eine Antisemitismus-Beauftragte des Landes NRW? Das reicht mir nicht. Ich mag Frau Leutheuser-Schnarrenberger, und die macht das sicherlich gut, aber sie hat ja keinen politischen Einfluss. Das müsste ein aktiver Politiker in entsprechender Position machen.
Um schneller reagieren zu können?
Genau. Wenn man zulässt, dass immer mehr Einschränkungen passieren, wird es irgendwann auch die Gesamtgesellschaft, die demokratisch denkt und fühlt, einschränken. Das müssen die Menschen verstehen. Als jetzt der Anschlag auf die Synagoge in Ulm war, rührte sich nichts. Da ging keiner auf die Straße. Das war beim Gaza-Konflikt anders. Die gut gemeinte Vehemenz der Protestierenden würde ich mir auch wünschen, wenn es um die Menschen geht, die hier leben und hier bedroht werden. Wir müssen die roten Linien halten. Wenn es im Urteil zum Anschlag auf die Synagoge in Wuppertal heißt, das wäre kein antisemitischer Anschlag gewesen, sondern ein Ausdruck des Hasses gegen Israel gewesen, empfinde ich das als weltfremd. Das kann ja beides sein, aber dass es Antisemitismus ist, steht völlig außer Frage. Ein fatales Zeichen.
Zur Person
Aaron Knappstein (50), ist Niederlassungsleiter bei Start NRW GmbH, arbeitet frei für das NS Dok in Köln und macht Stadtführungen durch das jüdische Köln. Er ist Präsident der Kölsche Kippa Köpp und auch in der Stattgarde Colonia Ahoj aktiv.
Der Come-Together-Cup hat ihn mit dem CTC-Herz 2021 ausgezeichnet, das ihm beim diesjährigen CTC am 26. Juni auf den Stadionvorwiesen überreicht wird. (stef)
Der Come-Together-Cup (CTC) hat sie gerade mit dem CTC-Herz 2021 ausgezeichnet. Was bedeutet ihnen das?
Sehr, sehr viel. Als Fußballfan, als treuer Gast des CTC. Dieser wunderbare Ausdruck von Toleranz und Vielfältigkeit, für den das Turnier steht. Dass mit meinem Preis jetzt der Fokus auf den Kampf gegen Antisemitismus gelenkt wird, ist toll. Für mich persönlich, aber auch für die Leute, die immer mit mir unterwegs waren, ich mache das ja nicht alleine. Auch jetzt in dem kleinen Karnevalsverein, den Kölschen Kippa Köpp (KKK). Viele haben das belächelt, einige an durchaus wichtigen Positionen fanden das gar störend im jüdischen-nichtjüdischen Dialog. Viele Menschen haben aber verstanden, welche Möglichkeiten von diesem Verein ausgehen. Auch gegen Antisemitismus. Dass das jetzt ausgezeichnet wird, ist eine schöne Sache, auch weil es das lebendige Judentum würdigt.
Der Karneval hat seine antisemitische Vergangenheit lange ignoriert.
Ja, aber unter Markus Ritterbach hat man angefangen, das aufzuarbeiten, und der aktuelle Festkomitee-Präsident Christoph Kuckelkorn führt das fort. Beide haben vehement und klar dafür eingestanden und tun das weiterhin. Deshalb ist es schön zu sehen, dass wir wieder Teil dieser Karnevalsfamilie sind. Wir kriegen sehr, sehr viel Zuspruch, viele Menschen und Vereine zeigen uns, dass wir als Kippa Köpp einfach dazugehören. Diese positive Aufmerksamkeit macht es den Ewiggestrigen schwerer, antisemitisch daherzureden. Wir haben bei den Kippa Köpp bis heute keine einzige antisemitische Zuschrift bekommen, selbst in den sozialen Medien nicht. Von daher ist unsere Positionierung genau richtig.
Gibt es keine rechte Gesinnung im Karneval?
Natürlich gibt es auch dort Antisemiten, aber alleine wenn die denken: „Oh, da äußere ich mich besser nicht zu!“ und nicht loszetern, ist das schon ein wichtiger Schritt. Wir dürfen uns ja nichts vormachen: Wir können nicht alle Menschen vom Antisemitismus befreien. Der war immer da, der wird immer da sein. Deswegen müssen wir aufklären einerseits und die Leute stärken, die gegen Antisemitismus aufstehen würden, die einem, der hetzend den Mund aufmacht in ihrem Verein, ein paar Takte dazu sagen würden. Dafür sind die Kippa Köpp wichtig.
Und einer der Gründe, warum sie gerne in Köln leben?
Köln ist meine Heimat! Ich bin hier geboren und aufgewachsen. Ich gehöre hier hin und möchte Köln auch weiter meine Heimat nennen können.
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Was bedeutet Heimat für Sie?
Früher habe ich immer gedacht, wenn man irgendwo ist und sich wohlfühlt, dann ist das Heimat. Davon bin ich etwas abgerückt, denn dann könnte das ja überall sein. Es gibt Traditionen und Gefühle, mit denen man aufgewachsen ist, die man mit Heimat verbindet. Der Karneval ist da ein gutes Beispiel. Für mich persönlich – ich mache ja auch Stadtführungen – spielt auch die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Stadt eine große Rolle. Ich habe eine Zeit lang in Kopenhagen gelebt – eine wunderschöne Stadt und ich war da sehr gerne. Aber Heimat ist das nicht geworden. Das ist Köln. Was nicht heißt, dass man, gerade auch als jüdischer Mensch, blauäugig werden darf. Heimatbesoffen ist ganz schwierig. Man muss gucken, dass es auch lebenswert bleibt hier. Tradition weiterentwickeln, neue Menschen ins Boot holen.
Der Heimatbegriff war nicht zuletzt durch die Vereinnahmung der Nazis lange sehr negativ besetzt.
Genau, deshalb muss man da immer sehr genau hinhören, wer ihn benutzt und wie. Ich hatte das Glück, die Tochter von Hans David Tobar, einer dieser jüdischen Karnevalisten, die vor dem Krieg sehr aktiv waren, kennenzulernen. Ich war mehrfach bei ihr in New York, wohin sie emigriert war, und dann haben wir sie nach Köln eingeladen. Ich habe ihr eine Woche lang die Stadt gezeigt. Als sie gefahren ist, hat sie mich in den Arm genommen und gesagt: „Aaron, du hast es geschafft, dass Köln wieder ein Teil meiner Heimat wurde.“ Wenn sie das sagen kann, nach all dem, was ihrer Familie in der Shoah angetan wurde, dann sollte man den Begriff benutzen. Mit Bedacht zwar, aber benutzen.