Serie „Schule in Not“Lernen hinter Gittern am Dreikönigsgymnasium in Bilderstöckchen
Köln – Auf dem Gelände des Dreikönigsgymnasiums (DKG) in Bilderstöckchen ist neues Leben entstanden: Die Schüler könnten Brombeeren, Spitzwegerich und Beifuß ernten. Kenner haben die kanadische Goldrute gesichtet.
Solange die Fenster noch nicht zugewachsen sind, kann man sich an den Blüten der gemeinen Zaunwinde erfreuen. Als Rankhilfe dient ein vor zwei Jahren aufgebauter Bauzaun, der die Schule umgibt. Nachdem jahrzehntelang nichts am Gebäude getan wurde, waren 2015 Fassadenteile abgebröckelt, eine Schülerin wurde verletzt. Seitdem lernen die Gymnasiasten hinter Gittern. Die Natur ist deutlich schneller als die Bauabteilung der Stadt.
„Wir wollen nicht in einem Käfig gefangen sein“, sagt die Neuntklässlerin Amiksha Pathania in einem beeindruckenden Film, den Schüler des DKG im vergangenen Schuljahr mit professioneller Hilfe gemacht haben. Eindrucksvoll wird deutlich, was die Schule in einem nicht ganz einfachen sozialen Umfeld leistet.
Die Toilette sei der „einzige geschützte Raum“
Hier treten selbstbewusste junge Persönlichkeiten einer äußerst bunten, interkulturellen Schülerschaft vor die Kamera treten. Ihre Botschaft: „Schule muss ein Ort sein, wo man sich wohlfühlt“, sagt Amiksha, und ihre Klassenkameradin Lucie Heidel ergänzt: „Das ist hier nicht der Fall.“ Die Jugendlichen sagen, dass man sie und ihre Schule „vergessen“ habe. Schülerin Lea Borgert glaubt: „Andere werden bevorzugt.“
Der Film des Musik- und Kunstkurses, der sich mit dem Thema „Bildungsgerechtigkeit“ beschäftigte, berichtet von Räumen, die nicht mehr betreten werden dürfen, Fenstern, die man nicht öffnen kann, weil sie sonst herausfallen, und von einer monatelang beschlagnahmten Turnhalle. Die Ausstattung sei mies, die Toilette der „einzige geschützte Raum“, wie eine Schülerin sagt. Als die Schule 2008 Ganztagsschule wurde, war ihr eine Mensa versprochen worden. Bis heute wird den Schülern in der Schule kein warmes Mittagessen angeboten.
Das DKG zeigt, was Stadt, Staat und Gesellschaft ihre Schulen wert sind
Jetzt hat es das Dreikönigsgymnasium – eine Traditionsschule mit einer mehr als 500-jährigen Geschichte an verschiedenen Standorten in der Stadt – immerhin auf die Liste der Schulen geschafft, die über ein Sofortprogramm saniert werden sollen. Ein privater Partner soll richten, was die Stadt alleine nicht schaffte. Auch wenn jetzt Druck in der Angelegenheit zu sein scheint – der Umgang mit dem DKG zeigt auf ernüchternde Weise, was Stadt, Staat und Gesellschaft ihre Schulen wert sind.
Und solche Beispiele gibt es viele in der Stadt. So wartet die Gesamtschule Holweide seit 2009 auf neue Räume, die als schneller Ersatz nach einem Brand errichtet werden sollten. Die Kinder, die kurz vor dem Feuer als Fünftklässler in die Schule gekommen sind, machen in den nächsten Monaten Abitur. Wie am DKG haben auch sie während ihrer kompletten Schulzeit keine neuen Räume gesehen. Stattdessen haben sie erlebt, wie ein als Provisorium gedachter Containerbau im laufenden Betrieb regelrecht weggeschimmelt ist.
Eigentlich sollte mit dem Container nur ein Jahr überbrückt werden
Sie waren bei den Versuchen dabei, ihnen im Freien oder im Schulflur den Unterrichtsstoff zu vermitteln. Und sie durften schließlich in ein einige Kilometer entferntes Ausweichquartier fahren. Mit dem Containerbau wollte die Stadt eigentlich nur ein Jahr überbrücken. Tatsächlich stand er über fünf Jahre, bevor er vom Gesundheitsamt geschlossen werden musste, weil Schüler und Lehrer während des Unterrichts krank wurden.
Die beiden Beispiele zeigen, welchen Sanierungsstau die Stadt vor sich herschiebt. Sie bieten aber tatsächlich auch Anlass für etwas Optimismus, da die Stadt in Zeiten des Notstands das konzeptionelle Planen nicht vergisst. Den Schülern, die bald die Schule verlassen, nützt das wenig. Aber für die kommenden Schülergenerationen entsteht durchaus Vorbildliches.
Zukunfsweisende Bildungskonzepte sollen im neuen Gebäude möglich sein
Barbara Wachten, stellvertretende Schulleiterin im Dreikönigsgymnasium spricht sogar von einer „perfekten Schule“, die ab 2022 die Kölner Bildungslandschaft bereichern kann. Die Nutzer des Gebäudes seien von Anfang an in die Planungen einbezogen worden. Durch eine gute Zusammenarbeit mit der Stadt und ihren Planern sei es so möglich geworden, pädagogische Ansprüche bei der Bauplanung umzusetzen.
Bauprojekte wie das in Bilderstöckchen folgen einem sogenannten „Planungsrahmen für pädagogische Raumkonzepte“, den die Stadt mittlerweile als Standard vorgibt. Da geht es nicht nur um mehr Qualität des Gebäudes sondern auch um das Möglichmachen von zukunftsweisenden Bildungskonzepten, in denen der althergebrachte Frontalunterricht nur noch einen kleinen Teil des Schulalltags ausmacht.
Mitte 2020 soll alles fertig sein
An die Stelle der alten Klassenräume sollen sogenannte Cluster treten: So nutzen zum Beispiel die Parallelklassen eines Jahrgangs gemeinsam Unterrichts- und Fachräume, die verschiedene Lernformen vom Frontalunterricht bis zur individuellen Begleitung ermöglichen. Zu solchen Raumgruppen gehören Differenzierungsbereiche, eine eigene Küchenzeile und im besten Fall ein Lehrerarbeitsplatz.
Auch die Pläne für die Gesamtschule in Holweide stehen dafür, dass die städtischen Planer durchaus wissen, worauf es ankommt. Die Verbesserung der Raumsituation der Schule wird mit der Errichtung eines „Nawi-Hauses“ verbunden, das den Anforderungen für einen guten naturwissenschaftlichen Unterricht gerecht werden soll. Mitte 2020 soll es stehen.
Unterbesetzte Gebäudewirtschaft ist der Schlüssel zum Problem
Verwaltung und Politik versuchen zurzeit mit mehreren Maßnahmen, das Versäumte nachzuholen. Man setzt auf die Kooperation mit Privaten, hofft auf Beschleunigungen durch modulares Bauen und Notprogramme. Der wesentliche Schlüssel zur Lösung der Probleme liegt aber weiterhin in der unterbesetzten städtischen Gebäudewirtschaft. Bis Anfang September waren in der Abteilung für den Schulbau fast 30 Stellen frei. Hinzu kommen weitere 31 Stellen, die neu geschaffen wurden. Weitere 20 unbesetzte Stellen werden bei der Bestandspflege gezählt, für die ebenfalls die städtische Gebäudewirtschaft zuständig ist.
„Wir kämpfen mit dem Fachkräftemangel“, sagt Isabel Strehle, persönliche Referentin des scheidenden Baudezernenten Franz-Josef Höing. „Wir sind aber trotzdem guter Dinge, dass wir die Stellen in den nächsten Monaten besetzen können.“ Die ersten neuen Mitarbeiter würden in diesen Tagen anfangen.
Der Schulbau soll von den Veränderungen profitieren, die Stadtdirektor Stephan Keller in der vergangenen Woche für die Gebäudewirtschaft angekündigt hat. Einige Verbesserungen zur Personalgewinnung habe man bereits jetzt auf den Weg gebracht, so Strehle. Ein Personaldienstleister hilft bei der Suche, das Auswahlverfahren wurde vereinfacht und beschleunigt. Die neue Freiheit in diesem Bereich zeige bereits Wirkung.