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Rheinlandtaler für Carl DietmarDer Zurechtrücker der Stadtgeschichte

Lesezeit 5 Minuten
Carl Dietmar erhielt den Rheinlandtaler des LVR.

Carl Dietmar erhielt den Rheinlandtaler des LVR.

Der Kölner Historiker und Journalist Carl Dietmar wurde mit dem Rheinlandtaler ausgezeichnet. Er hat zahlreiche kölsche Mythen als falsch enttarnt.

Er ist Historiker, er hat lange Jahre als Journalist beim „Kölner Stadt-Anzeiger“ gearbeitet – und er hat zahlreiche Bücher zur Kölner und zur rheinischen Geschichte geschrieben: Carl Dietmar, Jahrgang 1949, ist vom Landschaftsverband Rheinland am Dienstag mit dem Rheinlandtaler ausgezeichnet worden. Dietmar habe bei seiner Arbeit „kritisch die Klischees hinterfragt, die es über die Stadt Köln gibt“, urteilt die Jury. In seinen Büchern und Artikeln habe er „liebgewordene Darstellungen und Anekdoten“ der kölschen Selbstverliebheit durch Fakten „dekonstruiert. In seinem Dankeswort betonte Dietmar, dass er den Taler als Anerkennung seiner Arbeit dankbar entgegennehme, es sei angenehm, „wenn man trotz vieler Widrigkeiten wahrgenommen und wertgeschätzt wird“.

Dietmar kam Ende der 1960er Jahre aus dem Ruhrgebiet nach Köln, um an der Universität Geschichte und Geographie zu studieren. Dass man in Köln „schlicht selbstzufrieden“ sei mit vielen historischen Schriften, in denen bestimmte Ereignisse der Stadtgeschichte „beschönigt oder positiv umbewertet werden“, stellte er schon nach dem Staatsexamen fest, als er sich in seiner Doktorarbeit mit dem Haus Luxemburg beschäftigte. „Ein wichtiges Ereignis in der Geschichte der Luxemburger war die Schlacht von Worringen, eine Schlacht, die ja in der kölnischen Stadtgeschichtsschreibung stets als der große Befreiungskampf der Kölner gegen ihren bösen Erzbischof gerühmt wird.“

„Am Beginn der Stadtfreiheit Kölns stand ein Verrat“

Tatsächlich ging es in der Schlacht am 5. Juni 1288 aber um die Erbfolge im Herzogtum Limburg, um die sich der Graf von Luxemburg und der Herzog von Brabant stritten. Der Erzbischof, der Stadtherr Kölns, hatte sich auf die Seite der Luxemburger gestellt – und die Kölner Bürger hatten ihm 1287 versprochen, sich nie und nimmer seinen Gegnern anzuschließen. Ein Jahr später brachen die Kölner indessen dieses Treueversprechen, sie traten auf die Seite des Brabanters und profitierten von dessen Sieg über Luxemburg und den Erzbischof: „Am Beginn der glorreichen Stadtfreiheit Kölns stand also ein Verrat“, urteilt Dietmar.

Von 1983 an hat er im „Kölner Stadt-Anzeiger“ zahlreiche Artikel zu historischen Themen publiziert, festangestellt wurde er dann 1988, als Köln „700 Jahre Worringen“, „600 Jahre Universität“, „100 Jahre Eingemeindungen“ und einiges mehr feierte. Dass „man sich in Köln mit faktenorientierter Arbeit nicht immer Freunde macht“, sei ihm erstmals 1992 klargemacht worden, so Dietmar: Damals fand das berühmte Arsch-huh-Konzert statt, als Reaktion auf die fremdenfeindlichen Anschläge in Rostock-Lichtenhagen – 100.000 Menschen demonstrierten auf dem Chlodwigplatz gegen Ausländerfeindlichkeit und Rassismus. Danach aber habe er eine „unerträgliche Kaskade des Selbstlobs erlebt, „unisono herumposaunt“, in Köln sei alles anders, sagt Dietmar. Auch von der Stadtspitze habe es immer wieder geheißen, „in Köln hätten Einheimische und Fremde seit 2000 Jahren friedlich zusammengelebt“.

Juden und Zigeuner aus der Stadt geworfen

„Was natürlich eine völlig unhistorische Sichtweise war“, so der 75-Jährige. In einen Artikel für den „Kölner Stadt-Anzeiger“ legte er detailliert dar, dass Köln seit dem Spätmittelalter eine äußerst intolerante und fremdenfeindliche Stadt gewesen war. „1424 hat man die Juden ausgewiesen, später wurden die Zigeuner rausgeworfen, schließlich die Protestanten.“ Noch 1787, zwei Jahre vor der Französischen Revolution, habe es wüste Aufläufe in der Stadt gegeben, als der Rat die Einrichtung eines Bethauses für eine kleine evangelische Gemeinde gestatten wollte. „Ganz Deutschland lachte damals über das rückständige, kleingeistige Köln“, weiß Dietmar. Erst die Franzosen hätten Toleranz, Religions- und Gewerbefreiheit eingeführt.

" Die Letzten ziehen ab " - ein Mottowagen im Rosenmontagszug 1934 verspottet die in die Emigration gezwungenen deutschen Juden.

„ Die Letzten ziehen ab “ - ein Mottowagen im Rosenmontagszug 1934 verspottet die in die Emigration gezwungenen deutschen Juden.

Seit 1797 durften sich auch wieder Juden in Köln niederlassen. Die jüdische Gemeinde blühte im 19. Jahrhundert auf – seit 1933 aber waren ihre Mitglieder nach und nach Ausgrenzung und Entrechtung durch die Nazis ausgesetzt, belegte Dietmar: „Ein Prozess, der dann in den Holocaust führte.“ Bebildert waren Dietmars Ausführungen mit einem Foto aus dem Rosenmontagszug von 1934, das einen antisemitischen Mottowagen mit dem höhnischen Titel „Die Letzten ziehen ab“ zeigte.

„Der Gipfel der kölschen Selbstgefälligkeit“

„Der Gipfel der kölschen Selbstgefälligkeit“, wie Dietmar bei seiner weiteren historischen Arbeit konstatierte, sei die allgemeine Einschätzung der NS-Zeit gewesen: „Da hatten sich zahlreiche Legenden breitgemacht, die in der Sparte des Sich-selbst-auf-die-Schulter-Klopfens rekordverdächtig waren.“ Köln und der Nationalsozialismus – zwei Weltanschauungen, die nichts miteinander gemein hatten, so die kölsche Argumentation. Mit Verweis auf das Ergebnis der letzten halbwegs freien Wahlen im März 1933 wurde behauptet, Hitler und seine Partei hätten im Rheinland kaum Anhänger gehabt. Sie hätten ja „nur“ 33 Prozent der Wählerstimmen erhalten, im Reich waren es 43 Prozent.

Das heißt aber, wenn man rechnen kann: jede(r) dritte Kölnerin/Kölner hatte die NSDAP gewählt. Und: Oft gehört – die Erzählung, Hitler habe Köln nur einmal besucht und sei so kühl empfangen worden, dass er nie wieder kam. Was natürlich „völliger Quatsch“ sei, so Dietmar, denn: „Hitler kam mehrmals nach Köln und bei seinen Besuchen 1936 und 1938 wurde er frenetisch empfangen. In seinen Tischgesprächen betonte Hitler später, in keiner anderen Stadt habe man ihm solche Ovationen bereitet wie in Köln.“

Antisemitische Mottowagen im Rosenmontagszug

Schließlich war Dietmar auch einer der Ersten, der die Rolle des Kölner Karnevals in der NS-Zeit untersuchte und herausfand, dass die karnevalistische Widerstandslegende – basierend auf der sog. „Narrenrevolte“ von 1935 – unhaltbar ist. Bei dieser Revolte sei es lediglich um die organisatorische Unabhängigkeit der Narren gegangen, die nicht in die NS-Organisation „Kraft durch Freude“ eingegliedert werden wollten. „Inhaltlich hatten sie sich aber längst den Vorgaben der Nazis angepasst“, berichtet der Historiker, der für seine kritische Berichterstattung oftmals Anfeindungen ausgesetzt war.

„Seit 1934 gab es in jedem Rosenmontagszug antisemitische Mottowagen, in den Sitzungen wurden antisemitische Witze gerissen: Alles in allem: kein Ruhmesblatt für Köln“, so Dietmar. Seine Sicht der Stadt-und Regionalgeschichte hat er auch in zahlreichen Büchern unters Volk gebracht, zu nennen seien hier nur die „Chronik Kölns“, „Das mittelalterliche Köln“, „Köln. Die große Stadtgeschichte“. Die Gesamtauflage seiner verkauften Titel, von denen er mehrere mit Co-Autoren verfasste“, beträgt „stolze 180.000 Exemplare“.

180.000 Bücher verkauft

2014 schied Dietmar, nach Erreichen der Altersgrenze, aus den Diensten des „Kölner Stadt-Anzeiger“ aus. Er habe sich dann vor allem um die Historische Gesellschaft Köln, die die 13-bändige „Geschichte der Stadt Köln“ herausbringt, verdient gemacht, so Laudator Jürgen Wilhelm bei der Verleihung des Rheinlandtalers im LVR-Landeshaus. Die Autoren der Bände 3 und 4 („Köln im Hochmittelalter“ und „Köln im Spätmittelalter“) waren vor Abschluss ihrer Arbeiten gestorben – Dietmar bearbeitete ihre Manuskripte und vollendete die beiden Bände in weiten Teilen.