Eine Geburt in der Kölner Uniklinik hat fatale Folgen. Eine 29-Jährige stirbt nach der Entbindung. Nun wird der komplizierte Fall aufgeklärt.
Geburt wird zur TragödieMutter stirbt nach Entbindung in Kölner Uniklinik
Alles ist vorbereitet für den Tag der Niederkunft, nichts soll schiefgehen. Die Geburt von Ritas Sohn ist ausgerechnet für Mitte Juni, in der Uniklinik soll er zur Welt kommen. Seine Eltern haben sich Meinungen eingeholt, Bewertungen gelesen. Die dortige Geburtsklinik genießt einen hervorragenden Ruf, heißt es. Bett und Kreißsaal sind also bald reserviert.
Mit kugelrundem Babybauch und vielen guten Wünschen für die Geburt betritt Rita an einem Junimorgen hochschwanger Kölns größtes Krankenhaus. Sie weiß noch nicht, dass sie es nicht mehr lebend verlassen wird.
Einige Monate später, ein paar tausend Kilometer entfernt in der Nähe von Hurghada, Ägypten. Es ist ein herrlicher Herbsttag an diesem sonnenbemalten Touristenfleck am Roten Meer. Von Rita sind ein paar Gramm Asche übrig geblieben. Ihre Mutter Marina verstreut einige Krümel im Roten Meer. „So kann sie noch etwas von der Welt sehen“, sagt Marina. Es ist der schmerzliche Abschied von ihrer Tochter, die kurz nach der Geburt ihres Sohnes mit 29 Jahren stirbt.
Mutter schreibt von qualvollen Schmerzen
Vielleicht ist das größte Wunder an diesem so grausamen Fall, dass es dem Baby gut geht. Der inzwischen sechsmonatige Halbwaise entwickelt sich erfreulich. Eines Tages wird er womöglich hören müssen, wie seine Geburt nach und nach zum Horrortrip wurde, an dessen Ende seine Mutter innerlich verblutete. Es wird wohl lange dauern, bis er es überhaupt verstehen kann.
Rita steht in den letzten Stunden ihres Lebens im engen Kontakt mit ihrer Mutter Marina. Aus ihren Chats geht hervor, wie qualvoll Ritas Lebensende gewesen sein muss. Von „Schmerzen, als würde mir jemand die Eingeweide herausschneiden“, schreibt sie ihrer Mutter. Und davon, dass sie damit lange alleine gelassen worden sei. „Ich hoffe, ich überlebe das hier überhaupt“, schreibt sie kurz vor ihrem Tod.
Schwere Komplikationen bei Geburt an Kölner Uniklinik
Mutter zu werden, war Ritas größter Wunsch. Mit Kindern und Jugendlichen hatte die Erzieherin und Gymnasiallehrerin für Russisch und Deutsch viel Erfahrung. „Sie war so eine glückliche und gesunde Frau“, sagt ihre Mutter. Dass die Geburt so schwierig werden sollte, war nicht abzusehen.
Doch dann kommen die Komplikationen. Der Gynäkologin fällt auf, dass sich in der Fruchtblase zu viel Fruchtwasser gebildet hat. Also geht Rita an einem Samstag, ein paar Tage vor dem ausgerechneten Geburtstermin, zur Uniklinik. Dort, sagt ihre Mutter heute, habe man Rita gesagt, dass kein Bett frei sei und sie sich ein anderes Krankenhaus suchen solle. Erst nach drei Stunden habe ein Zimmer für Rita vorbereitet werden können. Die Uniklinik wird zu diesem Zeitpunkt bestreikt. Ob das einen Einfluss hat, ist unklar.
Wie Marina weiter berichtet, seien ihrer Tochter über das Wochenende Tabletten verabreicht worden, damit sich der Muttermund für die Geburt öffnet. „Meine Tochter hat mir da schon geschrieben, dass sie große Schmerzen hat“, sagt sie. Rita habe „gebettelt“, dass ein Kaiserschnitt durchgeführt werde. Sie habe sich vor Schmerzen erbrochen, unkontrolliert ausgeschieden, sei zwischenzeitlich in Ohnmacht gefallen. In dieser Zeit sei sie alleine im Zimmer gewesen, ihre Schreie habe niemand gehört. „Ich will jetzt nur noch schlafen“, schreibt Rita ihrer Mutter am Sonntagabend. Gegen halb 1 in der Nacht zu Montag fragt Marina ihre Tochter „Maus, wie geht’s dir?“ Die Frage wird sie nicht mehr beantworten. Marina schickt ihr noch ein Herz und macht ihrer Tochter Mut: „Maus, heute passiert es. Heute wirst du endlich Mama.“
Komplikationen bei Entbindung: Mutter stirbt nach Geburt in Kölner Uniklinik
Rita ist da inzwischen im Kreißsaal, denn um kurz nach 5 Uhr soll es zu einem „akuten Abfall der fetalen Herztöne“ gekommen sein, wie wenige Monate später aus einem vom medizinischen Dienst der Krankenkasse beauftragten Gutachten hervorgehen wird. Die Plazenta habe sich frühzeitig gelöst, was eine akute Lebensgefahr für Mutter und Kind bedeutet. Die Geburt wird sofort eingeleitet.
Es ist eine Ausnahmesituation, eine Ausnahmegeburt, bei der Rita unter Vollnarkose steht, wie im Gutachten zu lesen sein wird. Gegen 5.30 Uhr gelingt es Rita, der Hebamme und den Ärzten schließlich, das Baby per Notkaiserschnitt zur Welt zu bringen – „in der allerletzten Sekunde“, wie seine Großmutter sagen wird. Das Baby wiegt 3700 Gramm und wird direkt in die angrenzende Kinderklinik verlegt.
Jährlich sterben zwischen 20 und 30 Frauen bei der Geburt in Deutschland
Ritas Leben aber hängt am seidenen Faden. Das Gutachten spricht von einer „sehr blutreichen Operation“, bei der Rita drei Liter Blut verloren haben soll, mehr als doppelt so viel wie ein menschlicher Körper üblicherweise ohne Folgeschäden kompensieren kann. Woher genau die Blutung kommt, erschließt sich dem Gutachter mehrere Monate später nicht gänzlich.
Dass eine Frau im Zusammenhang mit der Geburt ihres Kindes stirbt, ist in Deutschland selten geworden, kommt aber trotzdem gelegentlich vor. Jährlich zwischen 20 und 30 solcher Fälle registrierte das Bundesgesundheitsministerium in den vergangenen Jahren, in NRW waren es zwischen vier und neun. Vor 50 Jahren waren es in der Bundesrepublik noch mehr als 400.
Staatsanwaltschaft in Köln ermittelt nach Todesfall an Kölner Uniklinik
Für Ritas Mutter ist der Todestag ihrer Tochter der schlimmste ihres Lebens. „Ich habe den Glauben an die Menschheit verloren“, sagt sie – und geht nun gegen die Verantwortlichen in der Uniklinik vor. Eine Zivilklage ist in Vorbereitung. „Sie haben meine Tochter im Stich gelassen, als sie sie am dringendsten gebraucht hat“, sagt sie. Auf ihre Schmerzen habe niemand reagiert, ihr Flehen nach einem Kaiserschnitt sei zu lange nicht gehört worden. Die Staatsanwaltschaft hat ein Todesermittlungsverfahren eingeleitet, um herauszufinden, ob es Hinweise auf Fremdverschulden gibt.
Mit einem unabhängigen Sachverständigengutachten soll herausgefunden werden, „ob den behandelnden Ärzten medizinische Befunde eher hätten auffallen können oder müssen und hierdurch der Tod der Betroffenen gegebenenfalls hätte verhindert werden können“, wie Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer sagt. Das Gutachten ist noch nicht abgeschlossen, die Ermittlungen laufen, es gilt die Unschuldsvermutung. Ein Sprecher der Uniklinik sagte, mit Blick auf die Ermittlungen keine Auskünfte geben zu können. Man unterstütze die Behörden „im Rahmen der Aufklärung des Sachverhalts nach besten Kräften.“
Rita stirbt noch am Tag der Entbindung in der Kölner Uniklinik
Die Kräfte verlassen Rita nach der Geburt sehr schnell. Abends kommt noch eine starke Durchblutungsstörung des Darms hinzu – „in Verbindung mit einem totalen Zusammenbruch der Gerinnung“, wie es in dem Gutachten heißt. Die Situation sei „nicht mehr mit dem Leben vereinbar“. Rita stirbt noch am Tag der Geburt, Montag, den 13. Juni 2022 um 20.43 Uhr.
Das Schlimmste, sagt Marina, sei, dass Ritas größter Wunsch nicht mehr erfüllt wurde. „Sie konnte ihr Baby nicht mehr sehen, es nicht mehr in den Arm nehmen.“ Das, sagt ihre Mutter, hätte ihr alles bedeutet. Alles.