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Kölner Polizei-Einsatzleiter pensioniert„Im Hauptbahnhof ging es um Leben und Tod“

Lesezeit 6 Minuten
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Klaus Rüschenschmidt, Leitender Polizeidirektor

Köln – Zum letzten Interview seiner Laufbahn erscheint der Leitende Polizeidirektor Klaus Rüschenschmidt (62) im Uniformhemd, kurzärmlig – Rüschenschmidts Markenzeichen, sommers wie winters. Als er 2003 das Kölner Polizeipräsidium für neun Jahre ins NRW-Innenministerium nach Düsseldorf verließ, schenkte ihm die Kölner Belegschaft ein Kurzarmhemd mit Fellbesatz an Ärmeln und Kragen – „weil im Ministerium ein eisiger Wind weht“. Aber auch diese Stürme hat Klaus Rüschenschmidt überstanden. Diese Woche geht Kölns wohl erfahrenster „Polizeiführer für Großlagen“ in den Ruhestand.

Herr Rüschenschmidt, bei der Vorbereitung auf den Ruhestand kann Ihnen kein Führungsassistent helfen, keine Hundertschaft, kein SEK. Ist das Ihre bisher schwierigste Großlage?

Nee, glaube ich nicht. Ich weiß zwar nicht so wirklich, was auf mich zukommt. Nur, dass es wohl einschneidend sein wird. Aber ich schätze mich so ein, dass ich da gut mit umgehen kann. Ich will mehr Sport machen, Skifahren, Laufen, Volleyball spielen. Und ich will mir eine ehrenamtliche Tätigkeit im sozialen Bereich suchen. Den Rest lasse ich auf mich zukommen.

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Es heißt, Sie häkeln gerne.

Stimmt. Kollegen der Fliegerstaffel hatten mal damit angefangen und mich angesteckt. Eine Zeitlang habe ich Mützen ohne Ende gehäkelt, richtig gute. Etwas anderes konnte ich auch nicht. Aber jetzt liegen jede Menge Mützen zu Hause rum, so dass ich damit auch wieder aufgehört habe.

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Sie haben in Köln und Umgebung mehr als 150 Großeinsätze geleitet – welcher ist Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben?

Es sind fünf: Die Gipfeltreffen im Sommer 1999 in Köln, der AfD-Bundesparteitag im Kölner Maritim 2017 mit vielen Gegenveranstaltungen und der Staatsbesuch des türkischen Regierungschefs Erdogan in Köln 2018 waren allein wegen ihrer Dimension beeindruckend. Die Geiselnahme in der Landeszentralbank in Aachen kurz vor Weihnachten 1999 und die Geiselnahme im Kölner Hauptbahnhof 2018 waren es wegen der Brisanz der Lage und der schwierigen Entscheidungen, die wir treffen mussten. Es ging um Leben und Tod.

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In Aachen hat die Polizei drei Geiseln gerettet und den Täter erschossen, in Köln wurde der Täter beim dramatischen Zugriff durch ein SEK schwer verletzt, die Geisel aber – eine Apothekenangestellte – mit leichten Brandverletzungen gerettet. Hatten Sie danach jemals Kontakt zu der Frau?

Ja. Zwei oder drei Monate nach der Tat hat sie sich über die Landesopferschutzbeauftragte an die Polizei gewandt, um sich zu bedanken. Sie hatte den Wunsch, mit dem Einsatzleiter zu sprechen sowie mit dem Beamten, der sie gelöscht hat, mit dem, der sie da rausgezogen hat und mit dem, der sie aus der Apotheke rausgetragen und mit ihr gesprochen hatte – drei Kölner SEK-Beamte. Sie hatte uns kleine Präsente mitgebracht. Zwei Stunden haben wir mit ihr, ihrem Mann und den Kindern gesprochen. Sie hat das Geschehen aus ihrer Sicht dargestellt. Es war ein wirklich beeindruckendes Gespräch. An die Kollegen vom SEK gewandt sagte sie: Sie haben unsere Familie gerettet.

Gibt es bei jedem Großeinsatz den einen zentralen Moment, die eine Entscheidung, von der abhängt, ob das Ganze gut oder schlecht ausgeht?

Es gibt mehrere Momente. Der Ablauf wird ein anderer, je nachdem wie man entscheidet. Zentral sind finale Entscheidungen wie: Lassen wir den Geiselnehmer fahren, wenn er ein Fluchtauto gefordert hat, oder nicht? Im Fall Hauptbahnhof war es die Frage: Gehen wir in die Apotheke rein, oder setzen wir auf Verhandlungen mit dem Geiselnehmer? Das sind Momente, wo ich sage: Gleich entscheidet es sich, danach geht es nicht mehr lange weiter.

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Klaus Rüschenschmidt, Leitender Polizeidirektor

Auf welcher Grundlage treffen Sie diese finalen Entscheidungen?

Das ganze Team, das während einer Großlage hier im Präsidium mit mir im Führungsstab sitzt, macht nichts anderes als Informationen zusammenzutragen und den Einsatzleiter zu beraten. Auch die Kollegen draußen vor Ort, der Kommandoführer oder der Einsatzabschnittsführer, tragen dazu bei. Gemeinsam wägen wir die Risiken ab und prüfen Alternativen. Und am Ende muss einer entscheiden – und entscheidet auch. Im Fall der Apotheke am Hauptbahnhof war es richtig reinzugehen. Alles andere wäre zu riskant gewesen. Wir haben nach dem Einsatz viel Lob bekommen. Aber es hätte natürlich auch schiefgehen können. Und ob dann auch alle gesagt hätten, es war richtig, da reinzugehen… dahinter möchte ich mal ein Fragezeichen setzen.

Welche Entscheidung würden Sie aus heutiger Sicht anders treffen?

Keine Entscheidungen aus dem Einsatzbereich. Da geht es auch weniger um richtig oder falsch, sondern darum, ob eine Entscheidung in dem Moment vertretbar ist oder nicht. Aber es gibt schon die ein oder andere Personalentscheidung in den vergangenen Jahren, wo ich heute sage: Das hätte ich auch anders machen können.

Nach der eskalierten Hogesa-Demonstration 2016 in der Innenstadt standen die Kölner Polizei und Sie als Einsatzleiter schwer in der Kritik. Wurden da keine Fehler gemacht?

Wenn wir gewusst hätten, dass das so ausarten würde, dann hätten wir natürlich mehr Kräfte eingesetzt. Aber wir hatten im Vorfeld dahingehend keine Erkenntnisse. Es hatte ja schon ein paar Hogesa-Demos in anderen Städten gegeben, die nicht ausgeartet waren. Taktisch und fachlich ist der Einsatz auch gar nicht mal schlecht gelaufen. Aber danach hätten wir als Polizei in der Öffentlichkeit deutlich besser und offener agieren müssen.

Klaus Rüschenschmidt

Klaus Rüschenschmidt (62) war zuletzt Leiter der Direktion Besondere Aufgaben bei der Polizei Köln, zuständig zum Beispiel für Großeinsätze wie Demonstrationen, Entführungen oder Geiselnahmen. Damit einher geht die Verantwortung für die Bereitschaftspolizei, Spezialeinheiten und Hundestaffel. Abgesehen von einer neunjährigen Tätigkeit als Einsatzreferent im NRW-Innenministerium im Düsseldorf (2003 bis 2012) war der gebürtige Münsterländer seit 1978 immer bei der Polizei Köln beschäftigt. Am 1. April ist Rüschenschmidt in den Ruhestand getreten. (ts)

Kritik gab es 2015 auch an gewissen Aufnahmeritualen beim SEK – einem Anwärter wurde damals Alkohol durch eine Tauchermaske eingeflößt.

Das war eine ganz unangenehme Zeit. Die Vorwürfe, die da erhoben wurden, waren schwerwiegend, denen musste man nachgehen, und das haben wir auch getan. Das ein oder andere war geschmacklos und nicht in Ordnung, Sie sprechen zum Beispiel die Tauchermaske an. Was mich aber am meisten gestört hat: Durch die mediale Darstellung der Ereignisse ist ein Bild der Spezialeinheiten entstanden, als würden die über dem Gesetz stehen. Als hätten die nichts Besseres zu tun, als den ganzen Tag gegen Polizeidienstvorschriften zu verstoßen. Das tat mir in der Seele weh. Denn mein Erleben im täglichen Zusammenspiel ist ein ganz anderes. Die Kollegen bei den Spezialeinheiten sind sehr kompetent und reflektiert, was ihr Handeln betrifft, erst recht seit diesen Vorfällen.

An dem entstandenen Bild war allerdings auch der damalige Polizeipräsident nicht unbeteiligt. Er hatte das betreffende Kommando in den Augen auch vieler Polizisten vorverurteilt und vorschnell aufgelöst.

Ja, und auch Vertreter aus dem Innenministerium hatten da ihren Anteil dran.

Sie haben selbst neun Jahre im NRW-Innenministerium gearbeitet. Stimmt es, dass Sie immer die Vorhänge geschlossen hielten, weil Sie die Aussicht auf Düsseldorf nicht ertragen haben?

Ja, das stimmt. Ich bin gebürtiger Münsterländer, wollte aber schon gleich nach meiner Ausbildung unbedingt in eine große Stadt am Rhein. Da blieb nur Köln. Bonn war damals Bundeshauptstadt, aber ich wollte keinen Objektschutz machen. Und Düsseldorf? Ist halt ein Dorf an der Düssel.