Der leitende Polizeidirektor Klaus Rüschenschmidt war schon an vielen großen Einsätzen in Köln beteiligt, unter anderem bei der aus dem Ruder gelaufenen Hogesa-Demonstration im Jahr 2014.
Die Geiselnahme am Hauptbahnhof am Montag war einer der brisantesten Einsätze seiner Laufbahn.
Im Interview erklärt er, wie der Einsatz mit dem SEK im Hintergrund abgelaufen ist und in welcher Sekunde die Entscheidung zur Überwältigung des Täters fiel.
Köln – Herr Rüschenschmidt, was war der heikelste Moment für Sie bei dem Einsatz am Montag?Die Lage war von Anfang bis Ende äußerst brisant. Es war keine – in Anführungszeichen – normale Geiselnahme. Dem Täter ging es nicht darum, Forderungen durchzusetzen, sondern er hat mit dem Molotow-Cocktail bei McDonald’s gezeigt, dass er Schaden anrichten will. Und wir wussten, dass er in der Apotheke Brandbeschleuniger dabeihat. Es war klar, dass wir den Täter so schnell wie möglich finden und ihm die Geisel wegnehmen mussten.
Finden? Sie wussten doch, wo er sich aufhält?
Wir hatten zwar Hinweise, dass er sich mit einer Geisel im hinteren Bereich der Apotheke aufhalten soll. Aber dieser Bereich war für uns zu keinem Zeitpunkt einsehbar. Bis zum Moment des Zugriffs hatten wir keinen Blickkontakt. Wir wussten, dass der Täter mit hoher Wahrscheinlichkeit nur eine Geisel hat, sicher war aber auch das nicht. Wir wussten nicht: Bedroht er die Geisel? Hat er ihr schon etwas angetan? Zündet er sie an? Wir wussten nur, dass jede Sekunde zu spät sein könnte.
Es gab Gespräche zwischen ihm und einem Passanten, auch eines mit einem Polizeibeamten, der Arabisch spricht. Auf eine Verhandlungsstrategie zu setzen, wäre mir aber hier zu riskant gewesen. Für die Zugriffskräfte gab es den Rahmenauftrag: Sobald der Täter brennbare Flüssigkeiten ausbringt, wird zugegriffen. Alles andere hätten wir sonst nicht mehr in der Hand gehabt.
Wie nah waren die SEK-Beamten an dem Täter dran?
Ohne dass er es wahrgenommen hat, haben sie den vorderen Apothekenbereich betreten. Bei dieser Gelegenheit nahmen sie massiven Benzingeruch wahr. Daraufhin bewegten sie sich richtigerweise in den hinteren Bereich und haben den Notzugriff durchgeführt. Das war ein hohes Risiko. Aber ich halte das Vorgehen auch aus heutiger Sicht für alternativlos. Ich habe hohen Respekt vor den Kollegen. Es hätte auch anders ausgehen können.
Wie muss man sich die ersten Minuten im Polizeipräsidium vorstellen, nachdem gegen 12.45 Uhr der erste Notruf wegen des Brandanschlags im McDonald’s eingegangen war?
Diese frühe Phase ist in solchen Situationen mit das Schwierigste, was es überhaupt gibt. Der Dienstgruppenleiter der Leitstelle, wo die Notrufe eingehen, hat die schwierige Aufgabe, die Informationen, die kleckerweise kommen und noch nicht verifiziert sind, einzuordnen und zu bewerten. Er kam am Montag sehr schnell zu dem Schluss, dass eine Geiselnahme vorlag. Die weiteren Schritte, also die ersten Arbeitsaufträge an die Kollegen des Streifendienstes, haben wir gemeinsam abgestimmt. Dann habe ich mit meinem Führungsstab übernommen.
Wie ging es weiter?
Für eine Geiselnahme gibt es ein vorgeplantes Alarmierungsverfahren. Danach haben wir zum Beispiel eine Vollalarmierung aller sechs SEK-Standorte in Nordrhein-Westfalen vorgenommen. Das Verfahren legt auch fest, dass die Kräfte, die als erste eintreffen, auch die Notzugriffsmaßnahmen machen. Das war in diesem Fall ein SEK aus Köln. Das war nach etwa einer Viertelstunde am Bahnhof. Sehr schnell also. Dieses Kommando ist dann etwas später auch in die Apotheke rein.
Wie lief die Abstimmung mit den Beamten der GSG 9?
Auch da sind die Zuständigkeiten klar geregelt. Zuständig für Geiselnahmen und Anschläge ist die Landespolizei. Die GSG 9 unterstützt uns. Zum Beispiel war es eine Ärztin der GSG 9, die den Täter nach dem Zugriff lange reanimiert hat.
Als Einsatzleiter sitzen Sie in der sogenannten Befehlsstelle im Polizeipräsidium in Kalk, eine Art Großraumbüro. Wie war die Atmosphäre dort?
Unmittelbar vor dem Zugriff herrschte absolute Ruhe. Alle schauten auf die Kollegin, die per Telefon mit den Einsatzkräften vor Ort verbunden war. Sie hat eins zu eins in den Raum übermittelt, was die Zugriffskräfte sprachen, also zum Beispiel „Es sind Schüsse gefallen“ oder „Man kann im Moment nichts sehen“. Diese Sekunden, bevor man genau weiß, was passiert ist, kommen einem vor wie eine Ewigkeit. Ich hatte keine Sorge, aber ich habe eine große Anspannung gespürt.
Und dann kam die Entwarnung?
Ja, dann kam die Meldung „ Geisel evakuiert, sie ist ansprechbar, sie wird jetzt behandelt.“ Und Sekunden später „Wir haben den Täter sicher.“ Da herrschte Erleichterung. Aber nur kurz, denn es ging ja sofort weiter. Die Versorgung der Verletzten musste organisiert werden.
Was ist schlecht gelaufen bei dem Einsatz?
Insgesamt bin ich sehr zufrieden, auch die Rückmeldungen sind gut. Wir haben den Einsatz aber noch nicht in allen Facetten nachbereitet. Es gibt sicher kleinere Dinge, wo wir noch besser werden können. Auf dem Bahnhofsvorplatz drohte für einen kurzen Moment eine Panik zu entstehen, weil Polizeibeamte auf den Platz gelaufen sind und etwas von Gasgeruch gesprochen haben. Wie das entstanden ist, müssen wir uns jetzt noch einmal genau angucken.