Auch fast 80 Jahre nach Kriegsende ist die Gefahr durch Blindgänger längst nicht gebannt. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) hat die Kampfmittelbeseitigungs-Statistik für 2024 vorgelegt.
Vorsicht, Blindgänger!Kampfmittelfunde in NRW stiegen um 42 Prozent - Köln besonders betroffen

Wenn Kampfmittel gefunden werden, kommt es meist zu großflächigen Evakuierungen.
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„In unserem Job ist Angst ein gefährlicher Begleiter“, sagt Stefan Hansen. Der frühere Zeitsoldat ist Geschäftsführer der Kölner Firma KMBS Kampfmittelbeseitigung & Service GmbH. Seine 36 Mitarbeiter haben alle Hände voll zu tun. „In Köln muss man überall, wo gebaggert wird, mit Blindgängern aus dem Zweiten Weltkrieg rechnen“, sagt Hansen im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.
Das Unternehmen hat sich darauf spezialisiert, Bomben und Munition im Bereich von Baustellen zu finden. „Auch 80 Jahre nach ihrem Abwurf können Kampfmittel hochgefährlich sein“, erklärt Hansen. „Wir haben großen Respekt vor jeder Bombe.“

„Auch 80 Jahre nach ihrem Abwurf können Kampfmittel hochgefährlich sein“, sagt Experte Stefan Hansen, Geschäftsführer der Kölner Firma KMBS Kampfmittelbeseitigung.
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Auch fast 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs werden weiterhin fast täglich Überreste der im Krieg eingesetzten Kampfmittel entdeckt. Das geht aus der „Jahresstatistik Kampfmittelbeseitigung 2024“ hervor, die dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegt. Die Experten der Kampfmittelbeseitigungsdienste haben im vergangenen Jahr 1606 Bomben in Nordrhein-Westfalen gefunden und unschädlich gemacht. Das sind knapp 42 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Stadt Köln stand als wichtiger Industriestandort und Bahnknotenpunkt im Fokus der Angriffe der Alliierten. 262 Mal wurde die Stadt aus der Luft bombardiert, so oft und so heftig wie kaum eine andere deutsche Stadt. Ungefähr 1,5 Millionen Bomben wurden im Zweiten Weltkrieg über Köln abgeworfen.
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Bei der „Operation Millennium“ wurden 11942 in nur einer Nacht 1455 Tonnen Bomben abgeworfen
Der größte Angriff ereignete sich am 31. Mai 1942, als mehr als 1000 Bomber Köln anflogen. Bei der „Operation Millennium“ wurden in nur einer Nacht 1455 Tonnen Bomben abgeworfen.
Aber längst nicht jede Bombe ist damals beim Aufschlag am Boden explodiert. Experten vermuten eine Blindgänger-Quote von bis zu 20 Prozent. Eine äußerst gefährliche Altlast. Denn die Sprengkörper können bis heute unvermittelt detonieren. Die Gefahr wächst, wenn die oft rostigen Metallungetüme aus Versehen bewegt werden. „Sollte eine Baggerschaufel eine Bombe mit Zeitzünder treffen, muss sofort die Polizei oder das Ordnungsamt alarmiert werden“, sagt Stefan Hansen. Die Einsatzkräfte fordern dann bei der Bezirksregierung Düsseldorf unmittelbar die Unterstützung der Kampfmittelbeseitiger an.
In NRW wurden im vergangenen Jahr 82 Bomben ab einem Gewicht von 50 Kilo entdeckt, darunter auch Nebel-, Brand- und Splitterbomben. „Das Team der nordrhein-westfälischen Kampfmittelbeseitigung hat noch immer alle Hände voll zu tun“, sagt NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU). Jede Bombe, die neutralisiert werde, sei „ein Dienst an unseren Kindern, Enkeln und Urenkeln“, so Reul. Diese Arbeit müsse mit Hochdruck weitergehen. Die Kampfmittelbeseitiger setzten alles daran, dass sie eines Tages nicht mehr gebraucht würden. „Aber bis dahin ist es noch ein langer Weg.“
1526 Zufallsfunde gemeldet
Laut NRW-Innenministerium steigen die Zahlen vor allem, weil im Vergleich zum Vorjahr mehr gebaut wird. „Im Rahmen von Bautätigkeiten wurden die Kampfmittelbeseitigungsdienste im Jahr 2024 insgesamt 35.567 Mal beteiligt“, hieß es. Diese Zahl setzt sich aus Anfragen zur Luftbildauswertung sowie weiterführenden Räumungen vor Ort zusammen. Insgesamt wurden landesweit 1526 Zufallsfunde gemeldet. 2023 waren es 1460.

Luftaufnahme der zerstörten Stadt Köln im Jahr 1944.
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Neben diesen Beteiligungen im Bausektor werden die Kampfmittelräumdienste immer mehr in Infrastrukturmaßnahmen z.B. beim Breitbandausbau gebraucht. Auch wenn neue Gleisanlagen errichtet werden, sind sie dabei, aber auch im Energiesektor. Zwölf Bomben wurden direkt am Fundort gesprengt. Je nach Lage im Boden können die Bauteile im Zünder allmählich durchrosten. „Ich habe schon erlebt, dass eine Bombe nur zwischen 50 und 80 Zentimeter tief lag, besonders in Köln und Umland“, erklärt Hansen.
Langzeitzünder sollte Bevölkerung demoralisieren
Bomben mit einem chemisch-mechanischen Langzeitzünder gelten als besonders gefährlich. Der enthaltene Sprengstoff ist meist zeitlich unbeschränkt funktionsfähig und der Zündmechanismus ist bei Langzeitzündern nicht berechenbar. Diese wurden im Zweiten Weltkrieg eingesetzt, um die Bevölkerung zu demoralisieren. „Die wurden so hergestellt, dass sie erst bis zu 144 Stunden später explodieren sollten“, sagt KMBS-Experte Hansen. „Oft gingen die Bomben genau dann hoch, wenn im Schutt noch nach Opfern gesucht wurde. Die Zündvorrichtung kann auch heute noch in Gang gesetzt werden, wenn die Bombe durch Bautätigkeit bewegt wird.“
Die Lage der potenziell gefährlichen Blindgänger können Experten oft anhand von Luftbildern ausfindig machen. Wenn sich in einer Bombenkraterlandschaft dunkle Flecken zeigen, ist das verdächtig.
Regierungsbezirk Köln ist Spitzenreiter bei Blindgängern
Regionaler Spitzenreiter bei der Befassung mit dem Blindgänger-Problem war auch 2024 der Regierungsbezirk Köln. Dort haben die Kampfmittelräumdienste 11.060 Anträge bearbeitet. Um eine Baugenehmigung zu erhalten, müssen in Köln alle Bauherren, die Erdarbeiten planen, ein Gutachten zur Kampfmittelbelastung anfertigen lassen. „Wer nur einen Swimmingpool im Garten plant, kommt vielleicht mit 1000 Euro davon“, sagt Hansen. Bei Großprojekten könnten die Kosten schnell sechsstellig werden.

Luftbild der Bombeneinschläge im Bereich Köln-Müngersdorf.
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Mit hohem finanziellem Aufwand sind regelmäßig zum Teil großflächige Evakuierungen verbunden. Zu den Anliegern, die den Gefahrenbereich verlassen müssen, gehören immer wieder auch Krankenhäuser und Senioreneinrichtungen. Aus dem Landeshaushalt flossen 2024 knapp 20 Millionen Euro in den Bereich Kampfmittelbeseitigung. Der Bund zahlt für die Beseitigung „von ehemals reichseigener Munition“ rund 1,3 Millionen Euro. Bestände der Wehrmacht wurden nach Kriegsende zum Teil in Flüssen und Seen versenkt.
Bestände der Wehrmacht in Flüssen und Seen versenkt
Wie viele Blindgänger in Köln noch unentdeckt in der Erde liegen, kann wohl derzeit niemand seriös sagen. Aber Jan Leipertz, der bei der Stadt Köln im Sachbereich Kampfmittelangelegenheiten tätig ist, wagt eine Prognose: „Man geht davon aus“, sagt er, „dass wir nochmal mindestens so lange absuchen werden, wie wir schon gesucht haben. Also nochmal 70, 80 Jahre, bis man wahrscheinlich sagen kann: Wir haben den Großteil gefunden.“