Nach sieben Jahren erscheint am Freitag (3. November) Patrice neues Album „9“. Im Interview verrät er, was es mit dem Titel auf sich hat, was diese Zahl ihm bedeutet.
Kölner Reggae-Größe Patrice im Interview„Mir fällt alles schwerer als auf der Bühne zu stehen“
Ein wirklich guter Künstler muss auch immer wieder Anfänger sein. Davon ist Reggae-Musiker Patrice überzeugt. Der hat nun schon eine über 20-jährige Karriere hinter sich und vermisst zuweilen die Naivität, die einem unbelasteten Kopf zu eigen ist. Der in Köln geborene Sänger spüre, wie die Herausforderung von Platte zu Platte wächst.
„Aber ich liebe Herausforderungen. Mittlerweile muss ich über wirkliche Kraftakte kreieren, dafür muss ich mich komplett rausziehen. Das ist mir früher leichter gefallen“, verrät Patrice dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Auf sein neues Album „9“, das am Freitag erschienen ist, haben seine Fans sieben Jahre gewartet.
2016 ist Patrice nach Jamaika gezogen
Dafür ist Patrice Babatunde Bart-Williams, wie der Sänger bürgerlich heißt, 2016 nach Jamaika aufgebrochen und hat sich dort von der Außenwelt abgeschottet. In den Hügeln über der Hauptstadt Kingston hat er ein Studio gebaut. „Ich wollte etwas Neues erleben.“ Mittlerweile ist er wieder zurück und nur noch einige Wochen pro Jahr dort.
100 Lieder sind das Ergebnis eines jahrelangen Schaffensprozesses, eine Mischung aus Dancehall, Afrobeat, Reggae und Pop. Nur neun Songs hat er für die Platte ausgewählt. Und der Rest – für immer weg? „Wir werden sehen, ich hoffe, ich bringe sie noch heraus.“
Das Album „9“ spielt ganz bewusst mit der Zahlensymbolik. „Neun ist meine Geburtszahl und ich bin an dem Tag geboren, als mein Großvater gestorben ist. Mein Vater gab mir daher den Namen Babatunde, was die ‚Wiederkehr des Vaters‘ bedeutet.“ Geburt und Wiedergeburt sind Lebensthemen, die bereits in seinem ersten Album „Ancien Spirit“ anklingen. Da steckt aber noch mehr dahinter: Bei dem Album kam es für ihn darauf an, „sich komplett auseinanderzunehmen und neu zusammenzusetzen“.
Patrice: „Nietzsche auf Afrobeat“
Ein Song, der dies besonders gut verkörpere, sei für ihn „Become Who You Are“. „Das ist eins der jüngsten Lieder. Es ist das passendste Stück, um die Platte zu eröffnen.“ Der Titel ist zugleich das Nietzsche-Zitat „Werde, der du bist“ aus „Ecce Homo“. „Nietzsche auf Afrobeat ist schon witzig. Es ist ein Widerspruch, aber es stimmt, dass es immer ein Bestreben ist zu werden, wer man ist.“
Viel wichtiger als das Album selbst sei für ihn daher auch dieser besondere „state of mind“, in den er sich begeben habe. „An eine Quelle zu gelangen, wo man etwas Neues an sich entdeckt. Das war die eigentliche Arbeit.“ Alles andere drumherum – die Touren etwa, das Auftreten über mehrere Wochen hinweg wie zuletzt in Frankreich und bald auch in Deutschland – sei hingegen für ihn der „Normalzustand“.
Er brauche auch keine bestimmten Rituale vor einem Auftritt wie manch anderer. „Ich bin das durch und durch, mir fällt eigentlich alles andere schwerer, als auf der Bühne zu stehen. Ich bin ja von der Schulbank quasi direkt in den Tourbus gekommen“, sagt Patrice. Für ihn sei der Tourbus seit jeher der „bester Schlafort. Er hat was von einem Mutterleib, in dem man geschaukelt wird“.
Wobei auch an Patrice das Thema Nachhaltigkeit nicht vorbeigeht: Für diese Tour hat er sich für zwei Elektroautos statt einem Tourbus mit Fahrer entschieden. Das habe auch ökonomische Gründe gehabt. „In der Pandemie standen die Busse lange. Kurz danach waren sie vergriffen und auch Fahrer ganz schwer zu bekommen, die Preise sind explodiert. Mit den Autos fühlt es sich jetzt an wie ein Elektro-Roadtrip, man ist als Band näher beieinander.“ Unterwegs sein, im Fluss: Das ist der Alltag von Patrice.
Patrice ist in Köln zuhause sowie in Kingston oder Paris
In Köln geboren, in Kerpen aufgewachsen, hat er sowohl eine Basis in Paris, auf Jamaika sowie in Berlin. „Ich habe nicht die klassische Definition von Zu Hause. Zu Hause ist, was ich für meine Kinder darstelle. Es geht eher um ein Gefühl, was sich mit den richtigen Leuten einstellt, was ortsunabhängig ist. Jede Stadt hat ihre Vorzüge.“
Musikalisch fühlt er sich auf Jamaika und in Westafrika eher heimisch, weil „Musik hier nicht nur Konsumgut ist, sondern viel stärker Teil des Lebens. In der Nähe von Köln ist meine ganze Nachbarschaft: Meine Cousine wohnt zwei Häuser weiter, meine Nachbarin hat meine Mutter gebabysittet, mein Opa hat das Haus gebaut. Das ist sehr vertraut. In Berlin bin ich jetzt nicht so zuhause, aber auch da gibt es gute Seiten.“